Wie offen ist Neukölln?

Flüchtlingsdebatte In Britz wird ein Asylbewerberheim gebaut. Auch wenn sich einige Anwohner noch sträuben. Es ist längst überfällig, dass Neukölln mehr Flüchtlinge aufnimmt

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Infoveranstaltung des Bezirks Neukölln zur geplanten Flüchtlingsunterkunft in Britz
Infoveranstaltung des Bezirks Neukölln zur geplanten Flüchtlingsunterkunft in Britz

Foto: neukoellner.net

Nachdem es zwischenzeitlich andere Meldungen gab, kommt nun doch eine Flüchtlingsunterkunft nach Britz. Der Bezirk Neukölln wird damit dazu genötigt, die enorme Diskrepanz zu anderen Stadtteilen auszugleichen. Derzeit leben hier nur elf Flüchtlinge - in Lichtenberg sind es im Vergleich dazu deutlich über 1000. Insgesamt muss Neukölln in den kommenden Jahren 543 Asylsuchende aufnehmen.

Ein erster Schritt ist die nun entstehende Flüchtlingsunterkunft an der Haarlemer Straße, Ecke Neue Späthstraße, die voraussichtlich ab kommendem Februar beziehbar ist. 401 Flüchtlinge sollen in zwei länglichen Gebäudeblöcken mit einem dazwischen liegenden Spiel- und Aufenthaltsbereich Platz finden. Anders als zunächst vom Bezirk gefordert, wird die Unterkunft nicht auf dem östlichen Teil des Geländes direkt an der Autobahn entstehen, sondern näher an den dortigen Wohnsiedlungen.

Notsituation zwingt zur Notunterkunft

Was zunächst gut klingt, hat einen gewaltigen Haken: Zum 1. Januar 2016 muss der Bezirk das vom Möbelunternehmer Kurt Krieger gemietete Grundstück schon wieder zurückgeben – vollkommen unbebaut. Die in Leichtbauweise errichteten Gebäude können somit nur 22 Monate lang als Unterkunft dienen. Dann wird alles wieder abgerissen. Als eine „Wahnsinnstat“, um die man nicht herum komme, bezeichnete Bezirksstadtrat Bernd Szczepanski diese Pläne am letzten Mittwoch bei einem Infoabend in der Otto-Hahn-Schule in Britz.

„Wir brauchen einfach Plätze“, sagte der etwas hilflos wirkende Präsident des zuständigen Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), Franz Allert, vor den Britzer Anwohnern. Momentan gibt es in Berlin deutlich mehr Flüchtlinge als Unterkünfte. Auch Neukölln müsse deshalb in die Pflicht genommen werden. Dass das Problem hausgemacht ist, erwähnte er nur beiläufig. Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass Anfang der 90er Jahre noch genug Kapazitäten bestanden, diese aufgrund des geringen Bedarfs jedoch nach und nach zurückgefahren wurden. Nur weil die rasante Entwicklung des Berliner Immobilienmarktes nicht rechtzeitig erkannt wurde, bestehen heute enorme Probleme, Gebäude und Grundstücke für neue Unterkünfte zu finden.

Überzeugungsarbeit für eine „Wahnsinnstat“

Um die Anwohner dennoch positiv gegenüber der Notunterkunft zu stimmen, veranstaltete der Bezirk Neukölln mit dem LAGeSo den Informationsabend in der Otto-Hahn-Schule. Zutritt zur nicht öffentlichen Veranstaltung hatten dabei lediglich eingeladene direkte Nachbarn der neuen Einrichtung, von denen sich letztlich ca. 90 meist ältere Bewohner in der Schulmensa zusammenfanden. Rede und Antwort standen dabei neben Bürgermeister Heinz Buschkowsky und den Bezirksstadträten Dr. Franziska Giffey, Falko Liecke und Bernd Szczepanski der Präsident der LAGeSo, Franz Allert, sowie Hauptkommissar Claus Röchert als Vertreter der Polizei und Ilse Ullrich von der privaten Betreiberfirma PeWoBe.

Willkommenskultur noch ausbaufähig

Neben Fragen zu den schon jetzt begrenzten Schulplätzen in der Gegend und offen geäußerten Ängsten vor Auseinandersetzungen, wie es sie zuletzt in Hellersdorf zwischen Linken und Rechten gegeben hatte, wurden dabei immer wieder auch deutliche Ressentiments spürbar. Etwa wenn von „fremden Kulturen“ die Rede war, denen sich manche Anwohner aufgrund der großen Anzahl der Flüchtlinge nicht gewachsen fühlten. Oder die Frage nach der angeblich steigenden Kriminalität in der Gegend durch die Flüchtlingsunterkunft. Dass Hauptkommissar Röchert auf die vollkommen unveränderten Kriminalitätsstatistiken in Gegenden mit Flüchtlingsunterkünften verweisen konnte, stieß bei einigen Anwesenden auf taube Ohren. Hinter vorgehaltener Hand tauchten immer wieder rassistische Kommentare im Publikum auf.

Da half es auch nur kurz, als eine Anwohnerin von der schlimmen Situation Asylsuchender nach schrecklichen Erfahrungen in Krisengebieten und der noch ungewissen Zukunft sprach. Die Einsicht über die Notwendigkeit einer menschenwürdigen Unterbringung und eines unterstützenden Umgangs mit den Flüchtlingen wurde nach diesem wichtigen Einwurf sofort durch einen, in keinem Zusammenhang dazu stehenden, Beitrag zu der Zuwanderungsschwemme der Roma untergraben.

Überzeugungsarbeit konnte so leider kaum geleistet werden. Wer schon vorher gegen die Unterkunft war, war dies auch noch nach der Veranstaltung. Daran änderte auch Bürgermeister Heinz Buschkowsky nichts. Dieser appellierte, obwohl er selbst nicht wie ein großer Freund des Projekts wirkte, notgedrungen an die Verantwortung Neuköllns: „Auch wir haben unseren Beitrag zu leisten“, sagte er, so schmerzlich das manchmal auch sei. Denn dass die Unterkunft kommt, ist sicher. Dafür ist die Notlage einfach zu groß.

Dieser Artikel erschien zuerst bei neukoellner.net.

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hierundjetzt

Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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