Gerechtigkeit für Medet Önlü

Auftragsmord Medet Önlü, politischer Vertreter der tschetschenischen Minderheit in der Türkei, wurde am 22.5.2013 ermordet. Es folgt ein Interview mit seinem Neffen Abrek Önlü.

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Am 22.5.2013 wurde Medet Önlü, ein bedeutender politischer Vertreter der tschetschenischen Minderheit in der Türkei, in seinem Büro in Ankara ermordet. Die rechtliche Aufarbeitung läßt auf sich warten, eine angemessene Berichterstattung auf nationaler und internationaler Ebene ebenfalls. Deutsche Medien haben den Fall bisher komplett ignoriert.

Das Interview mit Abrek Önlü, Neffe von Medet Önlü und Aktivist in der türkisch-nordkaukasischen NGO Caucasus Forum, wurde zwecks besserer Verbreitung und leichterer Kontaktaufnahme auf Englisch geführt. Die Originalfassung ist nachlesbar auf meinem blog "Sochi 2014 nachgefragt".

Irma Kreiten: Könnten Sie damit beginnen, uns etwas über Sie selbst und Ihre Familiengeschichte zu erzählen?

Abrek Önlü: Ich heiße Abrek. Ich bin ein Tschetschene aus der Türkei. Ein türkischer Staatsbürger. Meine Mutter ist eine tschetschenische Immigrantin der zweiten Generation, während mein Vater aus einem der tschetschenischen Dörfer der Türkei stammt. Lassen Sie mich letzteres erklären: wie manche der Leser vielleicht wissen mögen, endeten die langjährigen Russisch-Kaukasischen Kriege des 19. Jahrhunderts in schwerwiegenden Massakern und einem Genozid. Anschließend gab es Deportationen und Migrationen aus dem gesamten Nordkaukasus nach Anatolien. Viele kaukasische Dörfer wurden in der Türkei gegründet. Mein Vater ist aus einem von ihnen.

Ich wurde in der Türkei geboren und bin dort aufgewachsen. Ich habe die Middle East Technical University absolviert mit einem Diplom in Mathematik. Jetzt bin ich Consultant auf dem Gebiet der Enterprise Technologies (Unternehmensinformatik).

Irma Kreiten: Sie selbst sind politisch aktiv. Können Sie ein paar Worte zu Ihrer Arbeit für die türkische NGO Caucasus Forum sagen? Was hat Sie dazu bewegt, bei dieser Organisation mitzumachen?

Abrek Önlü: Caucasus Forum ist eine Jugendorganisation für politischen Aktivismus, der sich hauptsächlich auf die Völker des Kaukasus und die kaukasische Diaspora konzentriert. Sie ist mittlerweile ca. 10 Jahre alt, gut organisiert und ziemlich populär in der Türkei. Um mehr zu erfahren, können Sie einfach auf ihrer Webseite surfen unter caucasusforum.org.

Ich bin vor ca. 8 Jahren beigetreten und habe an vielen Projekten und Aktivitäten des Caucasus Forum teilgenommen. Meine Gründe für meine Mitarbeit sind in Kürze: weil ich den Angelegenheiten meines Volkes gegenüber sensibilisiert bin, plus, weil ich mitmachen wollte bei der Bemühung, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln. Was „besser“ in diesem Kontext für mich bedeutet ist mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichheit unter den Völkern wie auch den Individuen.

Irma Kreiten: Lassen Sie uns nun über Ihren Onkel Medet Önlü sprechen. Warum wird er als Honorarkonsul bezeichnet? Was bedeutet es, daß er Repräsentant der Republik Itschkeria war? Warum existieren zwei rivalisierende politische Gebilde, die beide den Anspruch erheben, einen tschetschenischen Staat zu repräsentieren? Welche Art von politischen Visionen hatte Ihr Onkel für Tschetschenien? Was war seine Einstellung gegenüber dem Kadyrow-Regime?

Abrek Önlü: Er wurde seinerzeit von dem Präsidenten der Tschetschenischen Republik Itschkeria (ChRI) zu diesem Amt ernannt. ChRI ist der Staat, der 1991 von Tschetschenen in Tschetschenien gegründet wurde, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der erste Präsident, Dschochar Dudajew, kam mit voller Unterstützung der Tschetschenen an die Macht und rief dann ChRI als unabhängige Republik aus. ChRI ist der letzte legitime Staat auf tschetschenischem Boden, der 1997 die letzten legitimen Wahlen abhielt, die im Sieg Aslan Maschadows (3. Präsident) resultierten. Nach dem zweiten Krieg okkupierte die russische Regierung die ChRI und ernannte eine andere Regierung in Kooperation mit Achmat Kadyrow, dem Vater von Ramsan Kadyrow.

Mein Onkel als offizieller Repräsentant der ChRI war sich der Tatsache bewußt, daß Ramsan Kadyrow und sein Regime nicht legitim sind. Es handelt sich lediglich um ein Regime des Okkupanten, das dem tschetschenischen Land aufgezwungen wurde mit Hilfe lokaler Kollaboratoren, aktuell ist das Ramsan Kadyrow.

Ich würde die Leser gerne an einen Fakt bezüglich der ChRI erinnern: Es handelt sich um einen legitimen Staat, der auf korrekte Weise gegründet wurde und all die Institutionen besitzt, die eine moderne Staatsstruktur aufweist. Die Spekulationen über Wahhabiten, radikale Islamisten etc. haben keine reale Grundlage in den Strukturen der ChRI. Die Verwaltung der ChRI hatte nie Teil an gewissen Ereignissen, die zu diesen Spekulationen führten, wie die Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Rußland in 1999, die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater in 2002, die Geiselnahme von Beslan in 2004, der Terroranschlag am Flughafen Moskau-Domodedowo in 2010. ChRI gibt nur den natürlichen und kollektiven Willen des tschetschenischen Volks wieder, dessen Mitglieder zum größten Teil diese Akte gegen unschuldige Zivilisten verurteilen und strikt jegliche Verbindung dazu ablehnen.

Irma Kreiten: Ich habe Menschen von Ihrem Onkel mit großem Respekt und mit Liebe sprechen gehört, nicht nur aufgrund der politischen Rolle, die er gespielt hat, sondern auch aufgrund seiner warmen und großzügigen Persönlichkeit. Können Sie uns die Funktionen beschreiben, die er erfüllt hat, indem er Tschetschenen half, die aus dem vom Kriege zerissenen Kaukasus in der Türkei Zuflucht suchten?

Abrek Önlü: Es ist richtig daß viele Menschen meinen Onkel respektierten und mochten, besonders tschetschenische Asylbewerber (oder Flüchtlinge) in der Türkei. Neben seiner politischen Role hat er persönlich Verantwortung übernommen für jeden einzelnen Tschetschenen, der in der Türkei Hilfe benötigte, unabhängig von seinem/ihrem politischen Standpunkt oder „Lager“. Diese Hilfe schloß allen offiziellen Schriftverkehr, die Vertretung ihrer Rechte vor der Regierung, soziale und rechtliche Unterstützung etc. mit ein. Das war deswegen wichtig, weil das, was er tat, offiziell von der türkischen Regierung hätte geleistet werden sollen, wenn wir uns die Beispiele westeuropäischer Staaten vor Augen halten.

Irma Kreiten: Wie ist der Mord geschehen? Was wissen Sie bisher darüber und wie sind Sie an diese Informationen gelangt? Legt die Beweislage nahe, daß es sich um lediglich einen Täter gehandelt hat oder gibt es Hinweise darauf, daß möglicherweise weitere Personen in die Tat verwickelt waren? Welche Rolle spielten die Ermittlungen der türkischen Polizei?

Abrek Önlü: Es handelt sich um einen professionell ausgeführten Mord, der von einem professionellen Team geplant und organisiert wurde. Wir wissen, wer die Operation durchführte: ein tschetschenischer Mann namens Rizvan Esbulatov. Seine lokalen Verbindungen, die daran beteiligt waren, sind ebenfalls klar. Rizvan selbst hatte ein paar Monate vor dem Mord Kontakt mit Medet Önlü aufgenommen. Er kam auf ihn zu unter dem Vorwand von geschäftlichen Angelegenheiten. Anschließend stellte er den Auftragsmörder als „lokalen Geschäftspartner“ vor. Da es viele Tschetschenen und Türken gab, die mit ihm Geschäftliches besprachen, hat Medet Önlü offenbar keinen Verdacht geschöpft.

Der echte Name des Auftragsmörders ist Murat Aluç. Er besuchte das Büro von Medet Önlü erstmals zwei Wochen vor dem Ereignis, für ein kurzes Treffen. Danach kam er am 21. Mai zum zweiten Mal zum Büro meines Onkels, mit dem Vorsatz, ihn zu ermordern, aber da mein Onkel nicht alleine war, mußte er dies auf den nächsten Tag verschieben. Der Mord geschah am 22. Mai um 19:08, als mein Onkel gerade sein Büro verlassen und nach Hause gehen wollte. Seine Familie begann sich gegen 23:00 Uhr Sorgen zu machen und versuchte, ihn anzurufen, aber er antwortete nicht. Dann wurde gegen Mitternacht seine Leiche in seinem Büro gefunden, von der Polizei und seiner Familie.

Der Beweislage zufolge hatten Murat Aluç und sein Team Medet Önlü die letzten zwei Wochen rund um sein Büro und sein Zuhause verfolgt, um seine Gewohnheiten in Erfahrung zu bringen und ihren Mordplan zu vervollständigen. Er tat alles in Kooperation mit seinem Fahrer und Verbündeten Ömer Peltek (der nun auch verschollen ist), mit der Hilfe seiner Schwester, seiner Freundin und einigen anderen Leuten. Vor dem Mord hat er nachweislich Rizvan Bericht erstattet, sowohl direkt als auch vermittelt über seine Verbündeten.

Ein erheblicher Teil dieser Informationen stammt aus Medet Önlüs persönlichem Tagebuch und den zufälligen Beobachtungen von Informanten, nicht der Polizei, die nicht in der Lage war, auch nur eine einzige der oben genannten Personen zu fassen.

Irma Kreiten: Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, daß Medet Önlü unmittelbar bedroht war? Hat er irgendwelche Drohungen empfangen? Hatten er oder seine Familie jemals darüber nachgedacht, um Polizeischutz zu bitten?

Abrek Önlü: Da einige der Gegner von Kadyrow an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermordet worden waren, war es nicht der unwahrscheinlichste aller Fälle, daß so etwas passiert – wir haben stets an diese Möglichkeit gedacht. Abgesehen von diesem Gedanken und ein paar leisen Gerüchten hat es jedoch, so weit ich weiß, vor dem Mord keine klare Drohung gegeben. Deswegen haben er oder seine Familie nie um Polizeischutz gebeten.

Irma Kreiten: Warum denken Sie, daß Ihr Onkel als Zielscheibe auserkoren wurde? Wer, glauben Sie, war die treibende Kraft hinter dieser Straftat? Was könnte das Motiv gewesen sein? Denken Sie, daß der Mord auch als Botschaft an andere nordkaukasische Aktivisten oder Exilpolitiker gedacht war?

Abrek Önlü: Lassen Sie mich mit der zweiten Frage beginnen. Es gibt nur eine einzige Person in dieser welt, die die notwendigen Kapazitäten wie auch das Motiv hat, um meinen Onkel zu ermorden. Diese Person ist Ramsan Kadyrow. Warum dies jetzt geschah und warum mein Onkel die Zielscheibe wurde sind ebenfalls klar. Im Vergleich zur Vergangenheit war Medet Önlü in der Türkei immer mehr alleine geblieben. Der Großteil an öffentlicher Unterstützung für die tschetschenische Sache war verschwunden. Bedeutende Investionen waren getätigt und Beziehungen geschaffen worden im Zuge der Kooperation zwischen Kadyrows Tschetschenien und der Türkei. Und, am wichtigsten, die türkische Regierung hatte vollkommen aufgehört, die Idee eines unabhängigen tschetschenischen Staates zu unterstützen. Das heißt, daß die Regierung einen größeren Nutzen darin hatte, seinen Mord zu vertuschen als darin, die Kriminellen dingfest zu machen. Ich glaubbe, daß „die treibende Kraft hinter dieser Straftat“ über die Quellen verfügte und verfügt, um diese Umstände vor dem Angriff abzuwägen. Sechs andere Morde an Kaukasiern, die in den letzten 4 Jahren in der Türkei geschehen sind, verweisen ebenfalls auf diesen Fakt. Wenn sie gedacht hätten, daß die türkische Regierung wirklich versuchen würde, die Straftäter zu verfolgen, dann hätten sie dies nie gewagt. Und zu Ihrer Information: Keiner dieser Morde wurde bisher aufgeklärt.

In Bezug auf letztere Frage, so lange wie Regierungen vom Typ Kadyrow existieren und von Imperien wie Rußland unterstützt werden, und so lange wie Regierungen nach Art der „3. Welt“ wie die Türkei da sind, um die Dinge zu verschleiern – wenn nicht gar direkt zu kooperieren! - wird jeder, der irgendetwas für Gerechtigkeit im oder die Freiheit und Unabhängigkeit des Kaukasus sagt oder tut, in Gefahr sein.

Irma Kreiten: Sie haben bereits Ihre Ansicht erwähnt, daß der Mord ursprünglich für den 21. Mai geplant gewesen war. Was veranlaßt Sie, eine solche Verbindung zwiscen der Ermordung Ihres Onkels und Tscherkessischer Angelegenheiten zu ziehen, und sehen Sie ebenfalls eine Verbindung zur NoSochi Kampagne?

Abrek Önlü: Es wäre ein zu großer Zufall, wenn die Wahl des Zeitpunktes nicht bewußt getroffen worden wäre. Man könnte vermuten, daß es keine direkte Verbindung zwischen der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung und der tscherkessischen Opposition gebe. Ich jedoch sehe eine augenfällige Verbindung, da diese zwei Angelegenheiten die zwei Foki der Völker des Kaukasus, die eine starke Opposition gegenüber Rußland und seinen Untergebenen aufrechterhalten, bilden.

Irma Kreiten: In Bezug auf die Morsache Anna Politkovskaya treffe ich oft auf Kommentare, die die politische Natur ihrer Ermordung verleugnen und statt dessen suggerieren, daß sie das Opfer von „bloßer“ Wirtschaftskriminaität wurde, als Folge ihrer vermeintlichen Kontaktaufnahme zur „tschetschenischen Mafia“. Im Falle Ihrese Onkels scheinen etliche türkische Zeitungsartikel seine Identität als Geschäftsmann hervorgehoben zu haben. Gibt es eine Tendenz, ähnliche Anschuldigungen in Bezug auf Ihren Onkel vorzubringen? Falls ja, wie würden Sie Leuten, die derartige Anschuldigungen vorbringen, antworten wollen?

Abrek Önlü: In Bezug auf Anna ist es einfach nur seltsam, daß einige Leute behaupten, es hätte einen wirtschaftlichen Hintergrund gegeben. Aber russische Autoritäten hatten klare Beweggründe dafür, es auf diese Weise darzustellen. Die Ermordung von Medet Önlü wird wahrscheinlich auf ähnliche Weise gehandhabt, denn es gab einige Nachrichtenbeiträge, die seine geschäftliche Identität betonten. Seine Geschäftstätigkeit hatte jedoch aufgrund ihrer Natur und ihres Umfangs in keinster Weise das Potential, eine Gefahr für ihn zu schaffen – dagegen hatte sich viele Male gezeigt, daß seine politischen Aktivitäten extrem gefährlich waren.

Irma Kreiten: In welchem Stadium befindet sich die rechtliche Verfolgung zur Zeit? Möchten Sie ihren Fortgang kommentieren? Was muß getan werden? Haben Sie irgendwelche internationalen Menschenrechtsorganisationen kontaktiert? Wenn ja, haben diese irgendeine Unterstützung angeboten?

Abrek Önlü: Ja, ich kann ein paar Bemerkungen zum rechtlichen Verfahren machen. Die Polizeibehörde hat vor kurzem ihre Ermittlungen abgeschlossen und die Akte an die Staatsanwaltschaft übergeben. Der Auftragsmörder Murat Aluç, seine Verbündeten oder der Anstifter Rizvan Esbulatov wurden nicht gefaßt. Die Ermittlung geht sehr langsam voran und es ist bereits zu einigen ungewöhnlichen Vorkommnissen gekommen. Obowhl sie offensichtlich involviert waren, wurden einige Verbündete von Murat Aluç kurz nachdem sie verhaftet worden waren wieder auf freien Fuß gesetzt. Einige Polizeieinsätze zum Ergreifen von Aluç, die auf Berichten von Informanten fußten, wurden plötzlich in letzter Minute abgeblasen, ohne daß dafür ein Grund genannt worden wäre. Außerdem wurde auf Regierungsebene keine Stellungnahme abgegeben. Massenmedien wie Zeitungen und Fernsehsender lehnen es definitiv ab, über die Angelegenheit zu berichten. Für uns als seine Familie ist es nun deutlich, daß die türkische Regierung nicht den Willen hat, die Menschen, die für seine Ermordung verantwortlich sind, aufzuspüren und sie zur verantwortung zu ziehen, sie scheinen sie vielmehr zu verschleiern.

Wie ich oben bereits mehrere Male erklärt habe, vertrauen wir als seine Familie nicht den offiziellen Autoritäten. Wir beobachten die offiziellen rechtlichen Verfahren genau, aber suchen währenddessen ebenfalls nach alternativen Möglichkeiten. Wir haben bereits mit mehreren internationalen Menschenrechtsorganisationen Kontakt aufgenommen und werden sehr bald mit ihnen zusammen einige Schritte unternehmen.

Irma Kreiten: Der Tod von Medet Önlü ist nicht nur ein herber Verlust für die tschetschenische Gemeinschaft er Türkei im weiteren Sinne, er hat auch eine Familie zurückgelassen. Möchten Sie etwas sagen darüber, was seine Verwandten nun empfinden, mehrere Monate nach dem Mord und nachdem der oder die Straftäter weiterhin unverfolgt geblieben ist/sind? Wie gehen seine Kinder mit dem Verlust ihres Vaters um?

Abrek Önlü: Zunächst einmal hat die tschetschenische Freiheitsbewegung viele große Männer wie Dudaev, Yandarbiev, Mashadov, Sadullaev, Basaev und viele andere verloren. Mein Onkel hat glücklicherweise nicht nur an ihren Kampf teilgehabt, sondern auch an ihrem Schicksal. Wir sind stolz darauf und werden es auch immer sein.

Davon abgesehen ist es sehr sehr hart, einen Onkel, einen Bruder, einen Vater, einen Ehemann zu verlieren. Wenn die Person, die sie verlieren, jemand wie Medet Önlü ist, ist es sogar noch härter. Wenn die Art und Weise, wie sie ihn verlieren, Mord durch eine professionelle Bande ist, steigt der Schmerz noch höher. Nichts jedoch kann so hart und schmerzhaft sein wie dabei zuzusehen, wie Deine eigene Regierung nichts unternimmt gegen die Mörder Deiner Familie. Das ist wie ein offizielles Schweigen angesichts der größten Ungerechtigkeit, die einem passieren kann.

Irma Kreiten: Wie fügt sich die Ermordung Ihres Onkels ein in die allgemeine Situation von Tschetschenen in der Türkei und anderswo? Inwieweit ist der Mord an Medet Önlü ähnlich oder anders als andere Anschläge gegen Nordkaukasier? Wie würden Sie den Stand des Schutzes beschreiben, der Nordkaukasiern außerhalb der Russischen Föderation zu Teil wird?

Abrek Önlü: Ich glaube, wir haben einen Teil dieser Fragen bereits oben behandelt. Es gibt einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesem Fall und anderen Morden an Tschetschenen oder Kaukasiern, die in der Türkei stattgefunden haben. Ein wichtiger Unterschied ist, daß kein anderes Opfer türkischer Staatsbürger war. Gemeinsamkeiten seind, daß diese anderen Morde ebenfalls politischer Natur waren, sie wurden ebenfalls auf professionelle Weise geplant und umgesetzt, ihre Anstifter waren ebenfalls russische Staatsbürger und die bedeutendste Gemeinsamkeit ist, daß alle währen der Amtszeit von Tayyip Erdoğans Regierung geschehen sind. Keiner dieser Morde wurde aufgeklärt und es hat keine einzige Stellungnahme von Seiten der Regierung gegeben.

Bei der Gelegenheit möchte ich die Leser daran erinnern, daß der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu letzte Woche (in Bezug auf ein anderes Thema) gesagt hat: „Die Türkei ist kein Land, in dem fremde Geheimdiensteinheiten einfach ihre Operationen durchführen können. Dies ist eine Voraussetzung für die Unabhängigkeit“. Ich sehe hierin einen furchtbaren Widerspruch.

Der Stand des Schutzes von Kaukasiern hängt voll und ganz davon ab, wo diese leben. Wenn das Gastland ein zivilisiertes, entwickeltes ist, das sich auf die richtige Weise um Menschen sorgt, sind sie relativ sicher, wenn es aber ein „Entwicklungsland“ ist, das, wie der obige Widerspruch des Außenministers zeigt, Probleme mit seiner Unabhängigkeit hat, werden Kaukasier niemals sicher sein, sogar, wenn sie Staatsbürger dieses Landes sind und nicht Flüchtlinge in diesem Land.

Irma Kreiten: Wie könnten normale Bürger, die dies lesen, Ihnen dabei helfen, Gerechtigkeit für Ihren Onkel zu fordern? Gibt es eine Petition, die sie unterzeichnen könnten oder irgendeine gemeinsame politische Aktion, bei der sie mitmachen können? Wer könnte Ihrer Meinun nach dabei helfen, daß dieser Fall nicht vertuscht und vergessen wird, und was könnte und sollte auf internationaler Ebene getan werden?

Abrek Önlü: Wir sind dabei, eine neue Kampagne ins Leben zu rufen, sowohl online als auch off line, diese wird demnächst bekanntgegeben.

Irma Kreiten: Gibt es eine Botschaft oder einen Appell, die Sie gerne Ihrem deutschen Publikum mitteilen würden?

Abrek Önlü: Danke für Ihre Aufmerkamkeit. Wenn Sie uns unterstützen oder kontaktieren wollen, so ist meine email-Adresse abrech@gmail.com.

Nachtrag Irma Kreiten: Hinweise auf Petitionen und Kampagnen zur Aufklärung des Mordes an Medet Önlü werden folgen, sowie sie bekannt gegeben werden.

Abrek Önlü, Aktivist der türkisch-nordkaukasischen NGO Caucasus Forum/ Kafkasya Forumu
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