Die neue Symbolik des Bußetuns

Alltagskommentar Fast 1.000 Jahre galt ein König im Hemd als Inbegriff des Büßers. Nun gibt es eine Aktualisierung des Gangs nach Canossa: Bischof Tebartz-van Elst im Ryanair-Flieger
Ausgabe 42/2013
Die ganz große Show: Heinrich IV., exkommunizierter römisch-deutscher König, bittet im Büßerhemd vor der Burg Canossa um die Aufhebung des Kirchenbanns
Die ganz große Show: Heinrich IV., exkommunizierter römisch-deutscher König, bittet im Büßerhemd vor der Burg Canossa um die Aufhebung des Kirchenbanns

Foto: Hulton Arvhive/ AFP/ Getty Images

Wer erfolgreich Buße tun will, braucht ein Gespür für das Angemessene. Er muss den richtigen Ton treffen. Wer wüsste das besser als die Katholiken? In keiner anderen gesellschaftlichen Sphäre ist der Sinn für Symbolik so ausgeprägt wie in der katholischen Kirche.

Knapp 1.000 Jahre bestimmte der Gang nach Canossa die Vorstellung davon, wie ein Sünder Abbitte zu leisten hat. Erinnern wir uns kurz an unseren Geschichtsunterricht: Der aufmüpfige deutsche König Heinrich IV. wurde 1076 von Papst Gregor VII. exkommuniziert, was sein politisches Standing daheim empfindlich schwächte. Um eine Aufhebung des Kirchenbanns zu erreichen, reiste Heinrich mühsam ins norditalienische Canossa. „Sie krochen bald auf Händen und Füßen vorwärts, bald stützten sie sich auf die Schultern ihrer Führer“, beschrieb ein Zeitgenosse die Alpenquerung.

Drei Tage soll Heinrich anschließend bei strammer Kälte barfuß und im Büßerhemd vor der Burg Canossa gewartet haben, bevor der Papst ihn vorließ und den Bann aufhob. Und auch wenn Historiker heute streiten, wie viel davon Legende ist, wie viel drastische Ausschmückung von Papstanhängern – das Bild des Königs im Nachthemd hat sich doch als effektvoller Ausdruck von Buße in die europäische Kulturgeschichte eingebrannt.

Zeitgemäße Konkurrenz

Seit vergangenem Sonntag hat es allerdings zeitgemäße Konkurrenz bekommen. Da fotografierte ein Mitreisender den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, wie er sich in den engen Sitz eines Billigfliegers drückte, um nach Rom zu Papst Franziskus zu reisen. Der Bischof hatte daheim einigen Unmut auf sich gezogen, als er bekannt gab, dass der Bau seines Amtssitzes statt eines niedrigen einstelligen Millionenbetrags mehr als 31 Millionen Euro kosten werde.

Tebartz-van Elst wollte wohl auch wartenden Journalisten am Flughafen Frankfurt ein Schnippchen schlagen, als er um sechs Uhr morgens im Hunsrück beim Ryanair-Schalter eincheckte. Dennoch kann man ihm einen Sinn für Symbolik nicht absprechen: Vom Erste-Klasse-Flug nach Indien zur Büßerreise im Billigbomber – das signalisiert den Willen zur Umkehr, und darum geht es ja in erster Linie bei Bußritualen.

Der nächste ARD-Brennpunkt

Aber selbst wenn man Ryanair als Vorhölle des modernen Tourismus versteht, mit dem Gekraxel Heinrichs und seinem Hemd-Auftritt kann die Geste nicht mithalten. Zumal sie einen Papst, der sich bevorzugt in alten Gebrauchtwagen herumfahren lässt, kaum beeindrucken wird. Da muss dann doch noch mehr kommen. Die ARD wird sicher in einem Brennpunkt darüber berichten.

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