Die Wut muss raus

Alltagskommentar Bruno Labbadia und Kurt Beck fielen gerade mit Wutausbrüchen vor laufenden Kameras auf. Dieses Ausstellen eigener Erregung hat aber auch eine gesellschaftliche Funktion
Bruno Labbadia will ein Fußballtrainer sein, kein Mülleimer
Bruno Labbadia will ein Fußballtrainer sein, kein Mülleimer

Foto: Thomas Kienzle / Getty Images

Schon länger nichts mehr vom Wutbürger gehört: Möglicherweise liegt es daran, dass Personen des öffentlichen Lebens ihre Wut zurzeit gehäuft selbst vor laufenden Fernsehkameras ausleben, so dass man auf die Inszenierung heftiger Affekte von Normalbürgern in der Mediendemokratie vorerst verzichten kann.

Vorgelegt hatte am 3. Oktober Kurt Beck, Noch-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Während er bei der Einheitsfeier in München ein Fernsehinterview geben wollte, erinnerte ein Zwischenrufer ihn daran, dass die Bayern über den Länderfinanzausgleich nicht nur für das 330-Millionen-Euro-Desaster des Nürburgrings mitzahlen, sondern auch noch für den Betzenberg, wo der 1. FC Kaiserslautern gerade in der Zweiten Bundesliga finanziell wenig erfolgreich kickt. Spätestens beim Fußball war für Beck Schluss mit lustig. "Können Sie mal das Maul halten einen Moment?", rief er dem Mann zu. Der antwortete, er sei nur ehrlich. Becks Replik: "Sie sind nicht ehrlich, Sie sind dumm." Darf ein Politiker Bürger so anblaffen?, fragte sofort höchst besorgt die Bild als Hüterin des Anstands im Land.

Am vergangenen Sonntag folgte eine öffentliche Wutrede von Bruno Labbadia, Noch-Bundesligatrainer des VfB Stuttgart. Er hatte sich beim Unentschieden seiner Mannschaft gegen Leverkusen viele "Bruno raus"-Rufe anhören müssen. Deswegen stellte er in der anschließenden Pressekonferenz klar: "Die Trainer in der Bundesliga sind nicht die Mülleimer von allen Menschen hier." Um hinzuzufügen, man müsse sich als Trainer tatsächlich fragen, ob man den schweren Weg des VfB mitgehe oder sage "am Arsch geleckt".

Ehrwürdige Tradition

Labbadias Ausbruch reiht sich dabei in die ehrwürdige Tradition der Fußballer-Wutreden ein, die mit Giovanni Trapattoni ("Was erlauben Struuunz?") und Rudi Völler ("Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören") bereits auf echte Klassiker zurückblickt.

Man kann nun in diesem öffentlichen Gebrauch von Kraftausdrücken einen Verfall der Sitten bemerken – oder daraus schließen, dass einige Männer in Führungsverantwortung mit dem ständigen Druck nicht mehr klar kommen, was je nach Standpunkt dann etwas über individuelle Probleme, die Krise des Mannes oder die Abgerocktheit der gegenwärtigen Leistungsgesellschaft insgesamt erzählt.

Man kann aber auch schlicht darauf hinweisen, dass die öffentliche Wut eine wichtige Funktion hat. Sie hat eine kathartische Wirkung. Früher gingen Menschen ins Theater, um sich starken Affekten auszusetzen. Heute schauen sie sich dafür eben Politiker oder Bundesligatrainer an.

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