Manchmal muss man da sein

Kanzlerin Angela Merkel arbeitet nach ihrem Skiunfall im Home Office, ließ sich die erste Kabinettssitzung aber nicht entgehen. Über Machtausübung mit eingeschränkter Präsenzkultur
Ausgabe 02/2014
Kanzleramt, Mittwochmorgen, 9.30 Uhr, 6. Stock. Wichtiges Detail: Aufzug (nicht im Bild)
Kanzleramt, Mittwochmorgen, 9.30 Uhr, 6. Stock. Wichtiges Detail: Aufzug (nicht im Bild)

Foto: Odd Andersen/ AFP/ Getty Images

Die Bilder stammen aus anatomischen Lehrbüchern. Dabei haben die gerade in zahlreichen Medien gezeigten Darstellungen menschlicher Beckenknochen einen eher abstrakten Charakter – und doch hat man beim Betrachten das Gefühl: So nah ist man Angela Merkel noch nie auf den Leib gerückt.

Die Bundeskanzlerin ist im Winterurlaub beim Skilanglauf gestürzt und hat sich den linken hinteren Beckenring angebrochen. Sie muss in den nächsten drei Wochen viel liegen. Die Verletzung hat dabei zwei Effekte: Zum einen macht der Unfall, der im Vergleich zum Sturz von Michael Schumacher glimpflich verlaufen ist, Merkel nahbar. Er holt sie aus dem Reich der großen Politik auf die Ebene des Allgemeinmenschlichen. Eine Wandlung, mit der sie sich sonst schwertut. So ein Missgeschick hätte aber nun ja wirklich jedem passieren können! Eine Boulevardzeitung titelte mit völliger Identifikation: „Autsch! Deutschland hat Becken“.

Zum anderen ermöglicht die temporäre Abwesenheit der Kanzlerin Aufschlüsse darüber, wie Machtausübung mit eingeschränkter Präsenzkultur und Home Office funktionieren kann. In der Lehre von den zwei Körpern des Herrschers wird zwischen dem natürlichen und dem politischen Körper unterschieden. Während ersterer im Fall der Bundeskanzlerin in nächster Zeit vor allem in ihrer Berliner Privatwohnung gegenüber dem Pergamonmuseum weilen wird, muss der politische Körper, also die Funktion der Regierungschefin, unbedingt weiter ausgefüllt werden. Damit nur kein Vakuum entsteht. Und so beeilte sich Regierungssprecher Steffen Seibert zu versichern, dass Merkel daheim selbstverständlich „bei der Arbeit“ sowie „handlungsfähig und kommunikationsfähig“ sei. Als ob sonst jemand auf den Gedanken käme, sie ließe die Dinge schleifen.

Aber auch im Zeitalter digitaler Kommunikation geht es nicht völlig ohne körperliche Anwesenheit. Das zeigt die Tatsache, dass die Kanzlerin unter Schmerzen ausgewählte Termine wahrnimmt. Weder den Besuch der Sternsinger noch die erste Kabinettssitzung ließ sie sich entgehen. Bei dieser dürfte die Angst vor symbolischen Bildern größer gewesen sein als die Sehnsucht nach dem persönlichen Austausch mit den Ministern. Merkel wollte wohl vermeiden, dass wegen ihrer Abwesenheit Vizekanzler Sigmar Gabriel die Sitzung leiten würde. Denn auch wenn sie durch ihre unterkühlten Auftritte die Inszenierungskraft von Macht mittlerweile auf ein Minimum zurückgefahren hat, weiß sie doch eins genau: Manchmal muss man einfach da sein.

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