Machen wir uns mal ein Bild

Alltagskommentar Nur selten bringen Reisende solche aufsehenerregenden Erinnerungsfotos mit wie Hans-Christian Ströbele von seinem Trip nach Moskau. Was sagt uns sein Bild mit Snowden?
Ausgabe 45/2013

Wenn einer eine Reise macht, bringt er meist auch ein paar Fotos zur Erinnerung mit. Aber schon lange dürfte ein Schnappschuss nicht mehr für so viel Aufruhr gesorgt haben wie jener, den der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele vergangene Woche über Twitter mit dem Rest der Welt teilte. Vor ein paar impressionistischen Gemälden mit Goldrahmen steht da Ströbele neben Edward Snowden, der 74-jährige Deutsche neben dem 30-jährigen US-Amerikaner, Friedrichshain-Kreuzberg neben Hawaii-Hongkong-Moskau, den letzten Aufenthaltsorten des Whistleblowers.

Ströbele lächelt auf dem Bild zufrieden. Noch im September wurden seine Wahlplakate mit Fotos von Jopi Heesters überklebt, musste er sich die Kritik gefallen lassen, nicht den richtigen Zeitpunkt für seinen politischen Abschied zu finden. Auf einmal findet er sich auf der ganz großen Bühne der Weltpolitik wieder. Bezeichnend war der Fehler des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, der bei einer Einblendung in der Nachberichterstattung Ströbele zum deutschen Außenminister erklärte. Zumindest „Außenminister der Herzen“ ist der linke Grüne für viele Deutsche ja seit seinem Kurztrip.

Das Snowden-Ströbele-Foto mag ein Bild sein, das nicht dieselben ikonischen Qualitäten hat wie Che Guevaras Blick in die Ferne einer besseren Zukunft oder Willy Brandts Kniefall von Warschau. Snowden und Ströbele versuchen auch gar keine großen Gesten, sondern stehen schnöde nebeneinander, wie man das bei Erinnerungsfotos halt so macht. Und doch ist dieses Bild wichtig. Es schwächt eine Argumentation, die den NSA-Skandal fast seit seinem Beginn begleitet. Diese besagt, der Widerstand gegen die Online-Überwachung und Big Data falle so gering aus, weil ihm die Bilder fehlten, weil sich folglich die neue Qualität des Ausspähens nicht erzählen lasse.

Das klingt auch durchaus plausibel. Sicher, ein Algorithmus lässt sich schwer fotografieren, und eine unüberschaubare Datenflut, die durch Glasfaserkabel geschickt wird, gibt noch keine Geschichte, weil ihr eine narrative Form fehlt.

Es ist aber doch nur ein Teil der Wahrheit – und zudem ist die Stoßrichtung dieser Argumentation eine fatalistisch-unpolitische. Terabyte hin oder her, am Ende entscheiden doch Menschen, ob aufgeklärt oder vertuscht wird, ob jemand Asyl erhält oder ausgeliefert wird, ob wir uns mit totaler Überwachung abfinden oder eben nicht. Und von diesen Menschen kann man sich natürlich ein Bild machen und von ihnen erzählen. Daran erinnert der Schnappschuss von Moskau.

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