Immerhin geht es um große Leidenschaft

Kanzlerin Angela Merkel sieht im Kino ihren Lieblingsfilm "Die Legende von Paul und Paula". Mit dem DDR-System hat der Film mehr zu tun, als die Politikerin sich erinnert haben mag
Ausgabe 20/2013
Winfried Glatzeder (L) und Angelica Domröse (M)
Winfried Glatzeder (L) und Angelica Domröse (M)

Foto: Fabrizio Bensch / AFP / Getty

Und der Sohn, fünf, rief einem, da war man schon im Treppenhaus, noch hinterher, man solle Angela Merkel schöne Grüße sagen. Die Tatsache, dass man mit jener Frau, die das Kind aus den Nachrichten offenbar ganz gut kannte, ins Kino ging, schien bei ihm keine Irritation auszulösen. Ihm war daran nichts Fremdes.

Winfried Glatzeder muss es auch so gegangen sein. Im Foyer des Filmkunst 66, einem etwas staubigen Westberliner Kino, stand der noch immer sehr große und nicht mehr ganz so schöne Schauspieler und drückte seiner Bundeskanzlerin einen Strauß offenbar von ihm selbst in Alufolie gewickelter Maiglöckchen in die Hand. 185 Kameras. Ach, sagte die mächtigste Frau der Welt, wie schön. In meinem Garten sind die noch nicht so weit. Dann umarmte sie Herrn Glatzeder, Angelica Domröse, Hilmar Thate und Andreas Dresen für die Fotografen, und das Ganze sah so aus, als hätte die SuperIllu zu einem Heimatabend geladen.

Also ehrlich: ganz schön eigentlich. Einem selbst war an diesen Menschen ja auch nichts Fremdes, denn was sie verband, lag hier und heute offen zutage. Oft kommt so etwas nicht vor.

Seit 40 Jahren nicht gesehen

Die Legende von Paul und Paula ist Angela Merkels Lieblingsfilm, deshalb hat sie ihn sich für die Reihe „Mein Film“ ausgesucht. Mit dem zeitgleichen Erscheinen eines Buches über ihr angeblich erstes Leben, in dem wenig Neues steht, hatte dieser Abend nichts zu tun. Und so gestand sie, den Film seit 40 Jahren nicht gesehen zu haben. Vörzig!, raunte es erschrocken durchs Publikum. Und wirklich, der Film stammt aus dem Frühjahr 1973, und Merkel hat ihn als 19-jährige Studentin in Leipzig gesehen. Mit wem, wisse sie nicht mehr, und nein, geknutscht habe sie im Kino damals auch nicht. Sagt sie, so sinngemäß.

Die Kanzlerin, das einst eiserne Mädchen, hatte sich also einen Film ausgesucht, in dem eine, heute würde man sagen, etwas überspannte und obendrein alleinerziehende Frau nach Liebe sucht. Erst ihren Sohn durch einen Autounfall verliert und dann ihr eigenes Leben, weil sie noch ein Kind von jenem Mann auf die Welt bringen will, von dem sie weiß, er ist es. Wie man diese Entscheidung interpretieren soll, keine Ahnung.

Mit dem „System“ hatte der Film aber mehr zu tun, als Angela Merkel sich erinnert haben mag. Schließlich wohnt Paula in einem abbruchreifen Mietshaus und Paul ihr gegenüber in einer Platte, einem Zukunftshaus gewissermaßen. Unwichtig war das im weiteren Verlauf des Abends nicht, denn nicht selten werden über das verschwundene Land ja falsche Sätze gebildet. Und prompt stand ein Mann wie befohlen auf und fragte, ob man in der DDR über so einen Film auch lachen konnte?

Angela Merkel hat diesen Satz weggelacht. Und richtige Sätze auf die Bühne gestellt, ganz so, wie Mutter oder Vater es manchmal tun, wenn man nachts im Sommer im Garten sitzt, Kerzen, und sie von früher zu erzählen beginnen. Von den Ernteeinsätzen während des Studiums. Oder Angela Merkel: Von der Westmusik auf den Partys im Institut, 60:40 natürlich. Oder davon, wie ihr Vater zum 30. Geburtstag in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg stand, das Sofa, das sie auf der Straße gefunden hatte, sah und sagte: Na Mädel, weit gebracht hast du es ja nicht!

Also ganz schön eigentlich. Im Garten mit Mutter und Vater genauso wie im Kino mit fremden Menschen.

Und wenn der Sohn einen fragen wird, wie es mit Angela Merkel so war, kann man sagen: wie zu Hause. So oft kommt das ja nicht vor.

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