Über das Glück

Rückblick Soeben ist mit „August“ die letzte Erzählung von Christa Wolf erschienen

Eine letzte Erzählung von Christa Wolf, man nimmt sie dankbar in die Hand. Denn, ja, seit ihrem Tod im September vergangenen Jahres hatte die Schriftstellerin gefehlt. Nicht, weil sie nicht mehr in Talkshows gesessen oder in Zeitungen veröffentlich hatte, nein, das hatte sie in den letzten Jahren ohnehin nicht mehr getan. Einfach so, Christa Wolf hatte gefehlt, weil man wusste, sie ist nicht mehr da.

Eine letzte Erzählung steht natürlich in der Gefahr, als eine Art Testament gelesen und daher überinterpretiert zu werden. Ein Testament ist August nicht. Stattdessen aber taucht man noch einmal in den behänden, leisen, aber doch immer durchdringenden Ton Christa Wolfs ein, und geht mir ihr in jene Vergangenheit zurück, die 1945 begonnen hatte.

Der kundige Leser kennt August bereits aus dem Roman Kindheitsmuster. Wolf kehrt zu dieser Figur noch einmal zurück. Nun ist der Junge acht Jahre alt, und seine Mutter kam bei einem Bombenangriff auf einen Flüchtlingstreck ums Leben. Allein zieht er weiter und kommt schließlich in einer Lungenheilanstalt an. Hier verbringt das Kind einige Monate seines Lebens, in einer Einsamkeit, die nicht bemessen kann, wer sie so nicht erlebt hat. Dort heftet er sich an die Fersen einer Krankenschwester, Lilo, die mit 17 Jahren freilich auch noch fast ein Kind ist. Er schleicht hinter ihr her, setzt sich an den Abenden in eine Ecke, von der aus er sieht, wie sie mit den anderen Mädchen Schlaflieder singt.

Ein kleiner Nebenmoment

Und er empfindet Glück dabei. Solange jedenfalls, bis Lilo die Heilstätte verlässt und für August ein langer Weg durch die Kinderheime der noch jungen DDR beginnt: „Das letzte, was er von ihr sah, war ihr Arm, der winkte aus dem Autofenster mit dem blauen Schal, den sie immer um den Hals getragen hatte. Und August dachte, nun würde er im Leben keine Freude mehr haben.“

August ist ein sparsamer und karger Text, der von der Schwere seines Themas in eine hohe Dichte förmlich hineingedrängt wurde. Aus einer Überfülle an Leben und Tod ist ja nur ein kleiner Nebenmoment in diese Erzählung geflossen. Das Glück des Jungen als Abdruck des alltäglichen Grauens jener Zeit. Aber nicht nur darin ist die Erzählung unzeitgemäß. Auch empfindet der heutige Leser das dort beschriebene Glück natürlich als so fremd, dass diese Fremdheit selbst in Worten gar nicht auszudrücken ist. Sie erscheint ihm nur, aber das auf eine so eindrückliche Art und Weise, dass man sich an die Lektüre dieser schmalen Erzählung wird erinnern wollen.

August Christa Wolf Suhrkamp 2012, 38 S., 14,95 €

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