Demokratie und Sippenhaft

NSA Neun Stunden hielten britische Geheimdienste den Lebensgefährten Greenwalds am Flughafen fest. Eine Praktik, die man eigentlich nur von totalitären Staaten kennt
Ausgabe 34/2013
David Miranda und Glenn Greenwald
David Miranda und Glenn Greenwald

Foto: Marcelo Piu / AFP

Das war kein Unfall. Das hat System. Britische Sicherheitsbeamte hielten den Lebensgefährten des NSA-Enthüllers Glenn Greenwald am Londoner Flughafen beinahe neun Stunden fest, nahmen ihm seine Sachen ab, verhörten und bedrohten ihn. David Miranda wurde wenige Minuten vor Ablauf jener Frist freigelassen, die ein Mensch in England nach Abschnitt 7 des „Terror Act 2000“ festgehalten werden darf. Der Name des Gesetzes ist passend gewählt. Es ist in der Lage, Schrecken zu verbreiten. Neun Stunden, ohne Schuld und ohne Anwalt! Ein begründeter Anfangsverdacht ist nicht notwendig. Es dient alles der Sicherheit. Fragt sich nur, wessen Sicherheit damit gemeint ist?

Wenn es das Ziel der islamistischen Terroristen war, die westlichen Gesellschaften zu erschüttern, zu verunsichern, die Heuchelei zu entlarven, zu der die sich freiheitlich wähnenden Systeme in der Lage sind, dann muss man sagen: Mission erfüllt. Der Terror hat sein Ziel erreicht. Die Balance zwischen bürgerlicher Freiheit und den Interessen von Bürokratie und Industrie ist zerstört. Denn es geht hier ja nicht mehr um Sicherheit. Es geht um Macht, und es geht um Geld.

Es ist das Gesetz jeder Bürokratie, sich auszudehnen. Normalerweise versteht die Demokratie es ganz gut, mit wuchernden Verwaltungen umzugehen. Durch demokratische Verfahren ist beispielsweise die europäische Agrarbürokratie noch halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Die internationale Sicherheitsbürokratie dagegen wehrt sich immer erfolgreicher gegen äußeren Einfluss. Eine hochspezialisierte Industrie liefert die Soft- und Hardware dazu und übernimmt das Lobbying der Politik.

In den westlichen Ländern ist nach den terroristischen Angriffen vom September 2001 ein Sicherheitskomplex entstanden, der immer hermetischere Züge trägt. Er entzieht sich der öffentlichen Debatte. Die demokratischen Checks und Balances werden zur Farce. Und man mache sich keine Illustionen: Dieser Komplex bedarf für seine Weiterexistenz im Ernst auch keiner äußeren Bedrohung mehr.

Warum haben die Behörden Miranda in London Heathrow festgehalten? Sie konnten nicht im Ernst damit rechnen, aus ihm oder seinen Geräten relevante Informationen über die NSA-Enthüllungen zu pressen. Viel näher liegt die Vermutung, dass dem Journalisten Glenn Greenwald, also Mirandas Lebensgefährtem, ein Signal gesendet werden sollte. Man nannte das früher Sippenhaft. In Demokratien gibt es das nicht. Nur in Diktaturen. Das Signal an Greenwald ist darum ein Signal an uns alle.

Noch nie hat ein unterdrückerisches System seine unterdrückerischen Absichten angekündigt. Diktaturen geben nicht bekannt, dass sie Diktaturen sind. Sie behaupten, im besten Interesse ihrer Subjekte zu handeln. Die Demokratie unterscheidet sich nicht durch die Worte von der Diktatur, sondern durch die Verfahren und den Einfluss, den die Bürger darauf haben. Da sieht es schlecht aus für den Westen. Die Bürger der westlichen Länder füttern die ins Ungeheure wuchernden Sicherheitsapparate mit ihren Steuern und der eigenen Freiheit. Aber sie haben keine Möglichkeit, die Sinnhaftigkeit dieses Tuns zu überpüfen. Wie viele Anschläge wurden durch die Spitzeleien der NSA verhindert? Wie viele „Terroristen“ durch die ausgeweiteten Rechte der britischen Polizei enttarnt?

Unter dem Begriff Habeas Corpus kennt man ein Gesetz des 17. Jahrhunderts, nach dem Verhaftungen nur mit Grund vorgenommen werden dürfen. Aber das ist die Vergangenheit der westlichen Zivilisation.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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