Offener Brief an Albrecht Müller

Nachdenkseiten Albrecht Müllers Nachdenkseiten genießen einen guten Ruf. Warum eigentlich? Denn ihr Gründer folgt mehr seinen eigenen Vorurteilen als seriösem Erkenntnisinteresse.

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Ihre Freitag-Redaktion

Lieber Albrecht Müller,

dies hier ist eine Gegendarstellung.

Ich weiß nicht, ob es mich freuen soll, dass Sie meine Kolumnen hin und wieder der Kommentierung und Untersuchung für würdig erachten. Sagen wir so: Es würde mich freuen, wenn Sie ein kluger Leser wären. Das sind Sie leider nicht.

Sie lesen offenbar nicht den Text, der vor Ihren Augen steht, sondern Sie suchen in dem Text Ihre eigenen Vorurteile – und wenn Sie die nicht finden, macht es Ihnen auch nichts aus.

Mir ist das schon das eine oder andere Mal aufgefallen. Dieses Mal aber ist es derart offensichtlich, dass es nicht unerwähnt bleiben sollte.

Es geht um Ihre Kommentierung meiner SPON Kolumne von Montag, 26. Juni.

Ich schreibe da auf, was Angela Merkel meiner Ansicht nach tun sollte: Nämlich sich für eine Ausdehnung der Europäischen Integration einzusetzen um den Euro und die bisherigen Errungenschaften seit den Römischen Verträgen zu retten. Ich stelle die These auf, dass sie das gegen den Widerstand der Bevölkerung und der eigenen Partei leisten müsste und Gefahr liefe, darüber ihr Amt zu verlieren. Der Text kreist um den Gedanken, dass diese Kanzlerin sich für Deutschland und Europa opfern muss.

Ihre Kritik ist kurios. Sie werfen mir vor, ein Parteigänger von Angela Merkel und ein Adpet der neoliberalen Ideologie zu sein. Außerdem schreiben Sie, dass ich die Hartz IV Maßnahmen verteidige.

Es gibt jetzt drei Möglichkeiten: Entweder haben Sie noch nie einen Artikel von mir gelesen – was eigentlich unwahrscheinlich ist, da ich das zweifelhafte Vergnügen habe, manchmal von Ihnen verarztet zu werden. Oder Sie haben die Artikel nicht verstanden – was ich auch nicht glaube, da ich nicht kompliziert schreibe und Sie mir als Autor keinen beschränkten Eindruck machen. Oder – und das ist meine Vermutung – es ist Ihnen ganz gleichgültig, was jemand denkt und schreibt, weil Sie sich nur für Ihre eigenenen Ansichten interessieren. Das ist die denkbar traurigste Variante.

Nehmen wir nur mal diesen Satz: "Der Autor hat auch nicht verstanden, dass wir nicht zu aller erst eine Staatsschuldenkrise sondern eine Finanzkrise hatten."

Darf ich Sie mal auf diese drei Zitate aus Artikeln von mir aufmerksam machen:

27.10.2011 "Der Begriff der Schuldenkrise hat sich durchgesetzt. Das ist ein Zeichen für den fortgeschrittenen Grad an Manipulation, der die Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Wenn einer Schulden hat, so klingt das, dann hat er zu viel Geld ausgegeben und muss sparen. Andersherum wird ein Schuh draus: Wir haben ein Einnahmeproblem, kein Ausgabenproblem. Deutschland gibt nicht zu viel Geld aus. Es nimmt zu wenig Geld ein. Die Arbeiter und Angestellte, deren Einkommen seit Jahren stagnieren, haben keineswegs über ihre Verhältnisse gelebt. Es sind die anderen, die ihre Verhältnisse beständig verbessert haben. In den vergangenen 20 Jahren sind die Geldvermögen von 1,8 Billionen auf 4 Billionen gestiegen und die Staatsschulden von 600 Milliarden Euro auf 2 Billionen. Die Schulden des Staates sind die Vermögen der Reichen. Die Steuerpolitik ein Skandal: die Vermögenssteuer wurde abgschafft und die Unternehmens- und Erbschaftssteuern wurden gesenkt und der Spitzensteuersatz war niemals niedriger als heute."


10.11.2011 "Angela Merkel pflegt ihren Ruf als Pragmatikerin. Aber hinter dem Pragmatismus verbirgt sich eine handfeste wirtschaftspolitische Ideologie. Sie versteckt sich in den Begriffen. Schon das Wort von der "Schuldenkrise" ist ideologisch. Die Schulden sind nicht das Problem. Die irischen und spanischen Schuldenquoten lagen noch im Jahr 2007 weit unter den deutschen. Europa leidet nicht unter einer Schuldenkrise – sondern unter eine Institutionen-Krise. Die Finanzmärkte sind nicht ausreichend reguliert. Es gibt keine gemeinsam europäische Steuer- und Wirtschaftspolitik. Und im Süden des Kontinents haben schlicht und ergreifend die öffentlichen Institutionen versagt."

7.5.2012
"Seit dem Jahr 2008 sind wir daran gewöhnt worden, von einer Schuldenkrise zu sprechen. Aber es geht nicht um Schulden. Es geht um die Frage, wer entscheidet: Die Politik oder die Märkte."

Diese Texte hatten Sie gar nicht gelesen? Oder vergessen? Oder das passte gerade nicht so ins Argument?

Sie schreiben außerdem:
"Interessant ist die servile Bereitschaft Augsteins, Schröders Agendapolitik nach den von neoliberalen Kreisen eingetrichterten und inzwischen herrschenden Denkmustern für richtig und erfolgreich zu halten."

Das bezieht sich auf diesen Satz aus dem Artikel:
"Gerhard Schröder war bereit, (diesen Preis, nämlich den Amtsverlust) für die Hartz-IV-Maßnahmen zu zahlen. Der Ex-Kanzler hat diese seinerzeit für notwendig gehalten und sie gegen den Widerstand der SPD und ihrer Wähler durchgesetzt."

Lieber Herr Müller, wenn Sie ein aufmerksamer, kluger Leser wären, hätten Sie gemerkt, dass ich von "Hartz IV Maßnahmen" spreche, nicht von "Reformen", wie es in den Mainstream Medien üblich ist. Das hätte Sie skeptisch machen können, ob ich tatsächlich, wie Sie schreiben, der Ansicht bin, diese Maßnahmen seien "richtig und erfolgreich" gewesen. Ich bin nämlich durchaus nicht dieser Ansicht. Sie hätten das googlen können. Recherche hilft. Gucken Sie zum Beispiel mal hier.

Tatsächlich bin ich aber der Ansicht, dass Schröder selbst diese Maßnahmen für richtig hielt, und dass er darüber seinen Job verloren hat.

Wiessen Sie, Herr Müller, meiner Kolumne hätte man tatsächlich einen schweren Vorwurf machen können: Nämlich den, dass ich da überhaupt auf die Idee komme, der Bundeskanzlerin Ratschläge zu erteilen, oder Forderungen an sie zu richten. Wer sind Journalisten, dass sie so etwas tun? Wer bin ich, dass ich so etwas tue? Diese Kritik hätte mich wirklich getroffen und nachdenklich gemacht. Diese Kritik haben Sie aber gar nicht. Wahrscheinlich, weil Sie es für selbstverständlich halten, immer alles besser zu wissen als die gewählten Politiker. Ich halte das nicht für selbstverständlich und bin da nicht so frei von Skrupeln wie Sie es sind.

Lieber Herr Müller, um es klar zu sagen: Was Sie da machen ist unseriös.


(Und noch eine Anmerkung: Wie sinnlos solche Optativ-Kolumnen sind, sehen wir ja daran, dass Angela Merkel heute gleich klargestellt hat, dass es keine Euro-Bonds geben werde, solange sie lebe. Eine ungewöhnlich dramatische Aussage für Merkel ...)

Der Beitrag von Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten, auf den sich dieser Text bezieht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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