"Der Dichter hängt die Wäsche auf"

Literatur Zu Wolfgang Hilbig sind Biographien und Erinnerungen von Kollegen erschienen. Nun legt die ehemalige Lebensgefährtin Margret Franzlik einen Band mit Erinnerungen vor

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"Der Dichter hängt die Wäsche auf"

Foto: Chaloner Woods/ AFP/ Getty Images

Seit dem Tod des Dichters Wolfgang Hilbig im Jahre 2007 sind neben einer vorzüglich ausgestatteten Werkausgabe, die vom S. Fischer Verlag betreut wird, bereits einige Biographien wie auch Erinnerungen von Freunden und Kollegen, vornehmlich aus dem Literaturbetrieb, erschienen. Nun legt die erste Lebensgefährtin Hilbigs, Margret Franzlik, die schon zu DDR-Zeiten als Rundfunkredakteurin tätig war, gleichfalls einen Band mit Erinnerungen vor.

Die Autorin lebte dreizehn Jahre mehr oder weniger mit Hilbig zusammen. Ende der sechziger Jahre hatten sie sich in der Ausflugsgaststätte Nonnenhof in Mecklenburg kennengelernt, wo beide im Sommer 1969 als Saisonkraft arbeiteten. Ab 1978 lebten sie dann als Paar in Berlin. 1980 wurde ihre gemeinsame Tochter geboren. 1982 trennten sie sich.

Margret Franzlik beginnt vom Ende her zu erzählen, berichtet von ihrem letzten Besuch bei Hilbig im Frühjahr 2007. Der Umgang miteinander erscheint trotz der lang zurückliegenden Beziehung vertraut, bis in die Alltagssprache hinein, die sie zitiert, dieses schlesisch-thüringische Idiom Hilbigs. Nach dem Tode des Dichters im Frühsommer betritt sie die verlassene Wohnung in der Rheinsberger Straße, und wir erleben den Augenblick mit, in dem alles vorbei und sich in der Erinnerung neu zu formieren beginnt.

In der Folge erinnert sich Margaret Franzlik an gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse in Meuselwitz und Umgebung und läßt die Atmosphäre der 70er Jahre wieder aufleben. Es sind Miniaturen und Episoden, die kleinstädtisches Leben widerspiegeln und von Sympathie für jene zeugen, die gleich Hilbig versucht waren, der auch geistigen Enge dort zu entgehen resp. ihr etwas eigenes entgegenzusetzen. Diesen Episoden, in denen diverse Tanzböden, Kneipen, das legendäre Stadthaus und einige der Freunde Hilbigs Erwähnung finden, eignet gelegentlich ein salopper Ton. Die eine oder andere Anmerkung wirkt etwas deplaziert, wie im Falle des Freundes etwa (S. 12), den alle nur Schrips nannten, eines philosophisch wie literarisch außerordentlich geschulten Autodidakten, dessen Lebensgeschick zu erkunden sich lohnen würde.

Die Auskünfte zu Hilbigs Eltern und weiteren Vorfahren, die die erste Hälfte des Buches bestimmen, erscheinen hingegen fundiert und sorgsam recherchiert. Man erfährt viele Einzelheiten, darunter manch anekdotisches, über die Lebensverhältnisse und -verläufe der Familien Hilbig und Startek (letztere mit polnischen Wurzeln) über ein knappes Jahrhundert hinweg, und über Hilbigs Kindheit, dies alles versehen mit reichlich Bildmaterial. Hier finden sich auch Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Hilbigs Eltern – der Vater, 1942 an der Front, von der er nicht zurückkehren sollte, erkundigt sich nach dem Leben daheim, dem Befinden seines Sohnes.

Margret Franzlik hielt auch nach der Trennung von Wolfgang Hilbig engen Kontakt zu seiner Mutter, besuchte sie regelmäßig und pflegte sie dann das letzte Jahr bis zu ihrem Tod 2012. Von ihr wie von Hilbig selbst dürfte sie etliche Details der Familiengeschichte, die diese Kapitel bereichern und zur Lebendigkeit der Beschreibung beitragen, aus erster Hand erfahren haben.

Der bewußt persönlich gehaltene Charakter der Aufzeichnungen insgesamt ist es auch, der den Vorzug des vorliegenden Bandes ausmacht. Bei Franzlik begegnen wir nicht einer Dichter-Existenz, die von Unrast, Rückzug und Selbstbezogenheit gleichermaßen geprägt ist, wie etwa im Falle der zerrissenen Existenz des Jakob Stumm in Natscha Wodins Schlüsselroman Nachtgeschwister, in der die spätere Lebensgefährtin Hilbigs ihr Zusammenleben mit dem Dichter analysiert und als zum Teil traumatisierende Erfahrung beschreibt.

Im Zentrum ihrer Erinnerungen steht Hilbig, wie er privatim und im Alltag zu erleben war, denn zu einer Person, die auch öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, sollte er sich hauptsächlich erst nach dem Ende ihrer Beziehung entwickeln. Franzlik zeigt den Autor beim Wäscheaufhängen oder als liebevollen Vater – zumindest letzteres kann ich aus eigener Anschauung bestätigen, Anfang der 80er Jahre gehörte ich zu jenen befreundeten Kollegen, die ihm den einen oder anderen Besuch in Berlin abstatteten (und hoffentlich nicht von der Arbeit abhielten). Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch Margret Franzlik kennen, als heiter gestimmte, aufgeschlossene Person, und beide erzählten mir eines Abends die schöne wie auch etwas abenteuerlich anmutende Geschichte ihrer ersten Begegnung im Nonnenhof.

Ab und an vermittelt Margret Franzlik im letzten Teil des Buches den Eindruck, als müßte sie ihre Erinnerungen an den Dichter gegen eine drohende Überschreibung durch die Einlassungen anderer verteidigen. Entsprechende Textpassagen lassen sich unmittelbar als Replik nicht nur auf Natascha Wodins Roman und deren Äußerungen zur Person an anderer Stelle begreifen, sondern auch als Reflex auf jedwede allzu kritisch ausfallende Würdigung Hilbigs. Das erscheint mir unnötig, vermag doch die Autorin auf einen eigenen reichen Fundus zurückzugreifen und diesen auch authentisch darzustellen.

Margret Franzlik; Erinnerung an Wolfgang Hilbig. Transit Buchverlag, Berlin, 2014. 104 Seiten, 58 Abb., € 16,80

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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