Zukunftslos Worte - Erinnerung an Srečko Kosovel

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Nein, es ist kein runder Geburts- oder Todestag, der mich bewegt, an diesen slowenischen Dichter zu erinnern, dem nur eine kurze Lebensspanne (1904-1926) beschieden war. Eher ist es der gegenwärtigen Weltlage geschuldet, der allgemeinen Verunsicherung, den Endzeitstimmungen und Kriegen, die mir seine Texte aktueller denn je erscheinen lassen, und vor allem auch deren utopischen wie sozialkritischen Impetus.

Überdies hat mich Michael Gratz' Lyrikanthologie, in der er jüngst ein Gedicht des Autors präsentierte, angeregt, einen alten Text hervorzukramen, in dem ich mein Verhältnis zu dieser Lyrik zu bestimmen versuchte, er stammt aus dem Jahre 1987.

Zukunftslos Worte

Zu Srečko Kosovel: Ahnung von Zukunft. Gedichte. Leipzig, Reclam Verlag 1986.

Noch in den siebziger Jahren hätte ich mich einem Buch, das in seinem Titel von Zukunft spricht, nicht so unbefangen zu nähern gewagt, all die kräftig und froh ausschreitenden Lieder und schwer-versigen Hymnen im Ohr, im Bewußtsein, die nur, und das spürten wir gewiß, in Schule und Öffentlichkeit als gültige Bekenntnisse kursierten, und jenseits unserer Grenze lag Abendland. Einfältiges Pflänzchen, das in uns gepflanzet worden war – grenzt es an Zynismus, wenn ich sage, es hat sich entwickelt? Aus Zukunftserwartung hat sich Zukunftsangst geschält, und diese ist kein schulisch abverlangtes Zeugnis mehr.

Was wirkt in mir, daß ich die scheinbar für den einseitigen Gebrauch gedachten Begriffe wieder für mein Denken verwenden kann? Ists, daß das Wort einer Geschichte eignet, eines Schwingraumes, unerkundeter Dimensionen; daß es sich natürlich bewegt wie ein Tier, aus dem Gatter entlassen, wenn es, bar ideologischer Vormundschaft und Beschlagnahme, wieder zum Dingwort wird, zum Wort, das den Dingen Menschen auf der Spur ... So bewegen sich die Worte in Kosovels Dichtung, selbst Worte wie Revolution Menschheit Zukunft, sie bewegen sich natürlich, glaubwürdig, mensch- und dinggemäß. Die politischen Gedichte verlieren nicht an menschlicher und persönlicher Dimension, wahrnehmbar und in den Rahmen persönlicher Erfahrbarkeit gestellt sind die Bilder.

Entstanden die Gedichte vom Weltende im deutschen Expressionismus vor allem in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges, so sind sie bei Kosovel zeitlich danach angesiedelt; Gedichte vom Rande Europas, Slowenien, in das Herz des Kontinents hineingesprochen, Beschwörungen gleich. Sicher erfaßt der jung verstorbene Dichter die Nachkriegsspannungen, die Vorläufigkeit dieses Friedens, entwickelt ein Gespür für Anzeichen und Ursachen des europäischen (Kultur-?) Verfalls, die nicht allein im Krieg zu suchen sind.

In EKSTAZA SMRTI (Ekstase des Todes), aber auch in EVROPA UMIRA (Europa im Sterben) und anderen Texten unterzieht Kosovel die abendländische Lebenshaltung einer Kritik; Abendland – wörtlich genommen – umreißt faktisch die geistige Konstitution unseres Kontinents, alles in Europa scheint vom Abend geprägt, unser Bewußtsein vor allem ein endzeitliches zu sein, in Vergangenheitsräume gerichtet, in denen wir das Zukünftige nicht zu entdecken vermögen. Ja selbst diese Räume konservieren wir zu Museen reiner Erinnerung, berauben sie ihres Raumcharakters, und doch wirkt und währt alles Geschehene fort ...

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Unglaubhaft blieben uns immer, und fern, die vermittelten Standardvisionen vom Anbrechenden Morgen, wir ziehen es vor, in heißere Länder zu reisen, doch Morgenlandfahrer im Sinne von Erkundern des Möglichen scheinen rar in Europa.

Kosovel ist, fern aller Mystifizierung, ein Seher; tief in Wirklichkeiten vorzudringen mit dem feinen Instrumentarium der Worte, das Fundgut zu betten in den poetischen Raum, dies heißt sowohl, Vergangenes zu entdecken als auch Zukünftiges im Vergangenem, das nicht verloren, sondern nur vergessen, verschüttet war ...

Dankbar bin ich für die untergründige Religiosität dieser Dichtung, weil sie identisch ist mit einem alle Wirklichkeitsbereiche umfassenden Weltbewußtsein, mit dem Bewußtsein des notwendigen Wechselspiels zwischen Natur und Mensch. Kosovel bewegt sich mit seinem Universum hin zu einer Utopie, zu sozialen Veränderungen (siehe z.B. „An die Mechaniker“), die auch Veränderungen im Verhalten der Menschen zur Umwelt mit einschließen müssen, um glaubhaft und lebbar zu sein. Sozial beschränkt sich für ihn nicht auf soziale Sicherheit, sondern umfaßt das Geflecht menschlicher Beziehungen in seiner Gesamtheit. Es gibt für mich keine heimatlichere Gebärde als eine solche, die den Einzelnen wie das Universum mit einbezieht und in seiner Gestalt achtet.

Leipzig, September 1987

Zuerst erschienen in Ariadnefabrik I/1988

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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