Bitte quält die Stangen nicht!

Der Koch Spargel ist zwar kein Fisch, aber man könnte ihn auf ähnliche Weise zubereiten. Hauptsache, man lässt ihn nicht zu lange in kochendem Wasser
Bitte quält die Stangen nicht!

Illustration: Otto

Kaum hat unsereiner Stangen in der Hand, möchte er sie aneinanderreiben. Essstäbchen zum Beispiel. Reiseführer für Asien empfehlen hartnäckig dieses Verfahren. Vor allem Einwegstäbchen, heißt es da, soll man, sind sie auseinandergebrochen, aneinanderreiben, um eventuelle Holzsplitter zu entfernen. Ich habe das nur einmal probiert – in einem chinesischen Imbiss, dem einzigen Etablissement, in dem ich Pekinger ganz ungeniert unter den Tisch spucken sah. Aber als ich mich an das Stäbchenwetzen machte, hoben sich um mich herum die Augenbrauen. Ich habe es sofort gelassen. Und wurde aufgeklärt: Es ist in etwa so ungehörig, wie einen Löffel mit der Krawatte zu putzen.

Auch Spargel soll man aneinanderreiben, lese ich immer wieder. Wenn er quietscht, heißt es, ist er frisch. Der Tipp ist ungefähr so viel wert wie der für die Essstäbchen. Ich hab es probiert, mit schon sehr gelblichen, sichtbar überlagerten Spargelstangen. Die quietschten auch. Aber Spargel ist eben der König aller Frühjahrsgemüse, und da gibt es eine Menge von Hofritualen und Legenden. Auch wenn ich mich wiederhole: Das ist gut so. Es zeugt von Kultur. Ich wohne den Disputen darüber gern bei, etwa wenn der Sauce-Hollandaise-Anhänger auf den Puristen trifft, der an seinen Spargel nichts als geschmolzene Butter lässt. Oder wenn der richtige Garpunkt diskutiert wird. Denn der eine mag die Stangen elastisch-bissfest, der andere so, dass der Spargel wie ein nasses Handtuch über der Gabel hängt. Da muss ich mich schnell einmischen: Menschen der zweiten Kategorie halte ich für fähig, dass sie auch jedes Paar Essstäbchen, das sie in die Finger bekommen, aneinanderreiben.

Vorbild Forelle

Ich stelle hier testweise die Behauptung auf, dass 99 Prozent des Spargels, der in Deutschland auf den Teller kommt, gekocht wird, und zwar lange. Ich lasse mich gerne berichtigen. Aber die Zubereitung erinnert mich noch immer an Zeiten, in denen auch Fisch schonend und um den Eigengeschmack zu erhalten, in siedendes Wasser geworfen wurde, nach dem Vorbild Forelle blau. Oder wenn wir beim Gemüse bleiben: Er wurde wie Kartoffeln gekocht.

Aber es handelt sich doch um sogenannte „zarte“ Stangen. Gewalt sollte man ihnen nur antun, wenn man sie schält, nämlich kräftig und ausdauernd. Nichts ist schlimmer als feste, holzige Fasern an butterweich gekochtem Spargel. Ich habe vor Kurzem einen Salat aus dem rohen Gemüse gegessen. Es war schräg in hauchdünne Scheiben geschnitten und für einige Zeit in Salz und Zitrone mariniert, um die Knackigkeit leicht zu mildern. Da fährt einem das Frühjahr so richtig in den Mund. Das war auf der Zunge wie kaltes, klares Quellwasser.

Für einen solchen Salat kann man die Stangen aber auch kurz blanchieren und anschließend kalt abschrecken. Sonst komme ich zunehmend davon ab, Spargel allzu lange mit kochendem Wasser in Verbindung zu bringen. Ich finde, das laugt den Geschmack aus. Es hilft zwar, das Kochwasser mit Schalen und Abschnitten zu aromatisieren, aber das macht den Spargel leicht bitter.

Er muss frisch sein!

Warum machen wir es nicht so wie mit Fisch? Den haben wir auch gelernt, in mäßiger Hitze zu braten. Oder ihn mit etwas Weißwein und Kräutern in ein kleines Päckchen aus Aluminiumfolie zu hüllen und im Ofen zu garen. Funktioniert mit Spargel einwandfrei. Diese Zubereitungen verdichten das Aroma noch. Wichtig ist jedenfalls immer, dass der Spargel frisch ist.

Am besten erkennt man das an den Enden. Die Schnittflächen sollten hell und feucht sein. Sind sie das nicht, sollte bei leichtem Drücken etwas Spargelsaft hervorquellen: Testen Sie das! Auch wenn sich da die Augenbrauen Ihres Gemüsehändlers heben.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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