Koch oder Gärtner?

Kolumne Wie viele Messer braucht ein Mensch in seiner Küche, und warum brauchen Frauen weniger Schneidgerät als Männer? Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd

Vor einigen Wochenhabe ich den Messerblock an der Wand meiner Küche inspiziert. 14 Messer kleben an der Magnetleiste – und tatsächlich: Ich habe auf einigen Spitzen Staub entdeckt. So lange habe ich die Geräte schon nicht mehr benutzt.

Wie viele Messer braucht ein Mensch in seiner Küche, so dass auch etwas ambitioniertere Zubereitungsmethoden gelingen – wie vielleicht Carpaccio zu schneiden? Eins vorweg: Frauen kommen meiner Beobachtung nach mit weniger Schneidgerät aus als Männer. Meine türkische Bekannte Tülay etwa kommt mit 50-Cent-Knippchen aus dem Supermarkt wunderbar zurecht. Sie hat Unmengen davon in der Schublade, aber das liegt nur daran, dass die Dinger so schnell stumpf werden und sie einfach ein Neues nimmt. Wahrscheinlich kann sie mit so einer Billigklinge am Plastikgriff besser Carpaccio von einem Rinderfilet absäbeln als so mancher Mann mit einem 200 Euro teuren Filetiermesser aus Solingen.

Entwickeln Frauen vielleicht ein rein funktionelles Verhältnis zum Gerät, während für Männer ein Messer immer noch ein Symbol für alles mögliche ist? Ich konnte mit dem ganzen Werkzeug am Schweizer Taschenmesser, das ich als Junge geschenkt bekam, nie etwas anfangen. Was soll ein Zehnjähriger mit einem Korkenzieher? Und ich fand es ungerecht, dass Mädchen von einem so unnützen Geschenk ganz verschont blieben.

Wer aber meinen ganzen Respekt hat, ist Chun Yi, eine Pekinger Köchin. Sie hat mir fast alles, was ich über die chinesische Küche weiß, erklärt, und dabei lag immer nur ein Messer vor ihr. In westlichen Augen ist es mehr ein klotziges Hackebeil als ein Messer. Sogar das Loch in der Klinge, für den Haken über dem Schlachtblock, fehlt nicht. In der zierlichen Hand der kleinen Chun Yi wirkte das Messer anfangs noch grobschlächtiger. Bis sie anfing, damit zu arbeiten und mit der schweren Klinge im Nu hauchdünne Karottenstreifen schnitt und den Knoblauch nicht hackte, sondern fein würfelte.

Ihr Exemplar war eines, wie es dutzendweise auf chinesischen Straßen oder hierzulande in Asia­läden angeboten wird. Chun Yi erklärte mir, dass man es selbst schärfen oder zum Schleifen bringen muss. Sie habe damit schon als kleines Mädchen gearbeitet, wenn sie ihrem Großvater in der Küche half. Auf die Frage, warum in einem Land, in dem alles stäbchengerecht geschnitten wird, ausgerechnet ein so großes Messer zum Einsatz kommt, zuckte Chun Yi nur die Schultern und sagte: „Vielleicht deswegen.“

Ihrem Beispiel folgend, versuche ich heute mit einem einzigen Messer zurechtzukommen und lasse das alte Brotmesser meiner Großmutter an der Magnetleiste verstauben. Genauso wie das teure Fleischmesser von WMF, das mich jahrelang begleitet hat. Vielleicht braucht man immer erst 14 Versuche, um das für sich ideale zu finden. An dem chinesischen Messer habe ich mich auch versucht, aber für die Meisterschaft bin ich zu grobmotorisch.

Dafür benutze ich ein japanisches Kochmesser, ein Santoku, was „Drei Tugenden“ heißt. Es eignet sich für Gemüse, Fisch und Fleisch, und ich habe es inzwischen schon so oft nachgeschliffen, dass die Klinge bereits einen Fingerbreit schmaler geworden ist. Und ich finde, dass es immer besser schneidet. Es ist natürlich sehr scharf, davor haben viele Menschen Respekt, hatte ich auch. Aber zum Trost sei gesagt: Wunden, die von einem scharfen Stahl stammen, heilen meiner Erfahrung nach besser. Sogar abgeschnittene Fingerkuppen wachsen wieder an.

Kurzum, ich möchte das San­toku kaum noch vermissen. Ich packe es sogar auf Reisen ein. ­Gerade bin ich in Indonesien. Hier schneidet man das Essen zwar nicht so klein, aber die Messer sind dennoch beachtlich groß.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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