Was soll die Karotte darin?

Der Koch Geraspelt, oder in Stangen: Der Koch hasst Karotten und verzichtet sogar bei der Sauce für die Bolognese auf sie. Aber was nimmt er dann?
Was soll die Karotte darin?

Illustration: Otto

Es ist selten, aber es kommt vor. Dann und wann werde ich gefragt, ob es eine Zutat gibt, die ich gar nicht mag. Und die gibt es tatsächlich. Es ist die Karotte.

Neulich ging es mir wieder so: Auf einer Speisekarte lachte mich ein Wildschweinschnitzel mit grünem Spargel an. Dass da auch noch „mit Karotten-Bärlauch-Salat“ stand, entging mir völlig. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn der Koch nicht auch noch aus einer Schule gekommen wäre, in der alle Komponenten auf dem Teller übereinandergehäuft werden müssen. An sich kann man dagegen nichts sagen, aber wenn man bei jedem Bissen Fleisch oder Spargel auch noch Möhrenraspel zwischen den Zähnen hat, hört der Spaß ziemlich schnell auf. Wenigstens meiner. Ich habe das Gericht zurückgehen lassen.

Geraspelte Möhren sind wirklich das Schlimmste. Und man bekommt sie so oft, in Beilagensalaten und Mischgemüsen, in asiatischen Nudelpfannen oder auch zusammen mit Linsen. Ich schiebe mir davon eine Gabel in den Mund und schmecke nichts anderes als süße, süße, süße Karottenschnitzel.

Aufdringliche süß

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich ekele mich nicht. Ich weiß nur mit Karotten nichts anzufangen. Bei glasierten Möhren auf dem Teller geht es mir im Restaurant wie mit dem Brotkorb, aus dem man sich so nebenbei bedient. Ich kann Gulasch ansetzen, eine Sauce Bolognese oder eine Hühnerbrühe und verzichte gerne auf die orangefarbenen Stangen. Wenn nur eine Karotte in fünf Litern klarer Suppe mitgeköchelt hat, schmecke ich das. Diese aufdringliche Süßlichkeit, die den Fenchel hemmt, den Sellerie, oder das feine Lorbeer-Aroma in der Brühe. Ich brauche Karotten als Aroma-Geber nicht. Ein paar dezente Prisen Zucker sind mir viel lieber.

Sicher bin ich ein Einzelfall: Außer in Großbritannien, Polen und der Türkei werden nirgendwo in Europa so viele Karotten gezüchtet wie in Deutschland. Nur der Tomatenanbau ist in der EU noch weiter verbreitet. Kann mir jemand erklären, was hierzulande mit einer jährlichen Ernte von 590.000 Tonnen Karotten angestellt wird, immerhin mehr als 7 Kilo pro Person? Wandern die Möhren in mittägliche Lunchboxen? Oder raspeln sich die Deutschen die Dinger ständig in den Salat? Schon klar, Karotten sind total gesund, haben Vitamine und enthalten auch gar nicht so viel Zucker wie man schmeckt. Gehöre ich also zu einer Risikogruppe, weil mein jährlicher Konsum kaum ein halbes Kilo übersteigt?

Billiardkugeln am Strauß

Ich brauche nur vier Mahlzeiten, um meinen gesamten Karotinbedarf für ein Jahr zu decken. Einen Salat aus kurz angeschwitzten, feinen Karottenstiften, die mit Thunfisch gemischt und mit Essig, viel Senf und Sojasauce angemacht werden. Und eine andere Variante, in der Karottenstücke mit viel Knoblauchzehen in Salzwasser gekocht werden und noch warm unter ein Dressing aus Zitrone, Kreuzkümmel und Minze gemischt werden. Viel größer ist mein Repertoire nicht. Und diese Rezepte legen alles darauf an, die Möhren geschmacklich an den Rand zu drängen.

Aber bitte: Essen Sie weiter Karotten, wenn es Ihnen schmeckt. Ich bleibe bei anderem Wurzelwerk. Rote Beete, Teltower Rübchen oder Pastinaken. Damit kann ich was anfangen. Sie sind ein bisschen erdig, wie es sich für solches Gemüse gehört, und nicht so gewöhnlich süß. Gerade gibt es wieder Maikugeln auf den Märkten, diese runden weißen Dinger, die aussehen wie Billardkugeln am Strauß. Sie haben ein so frisches Rettich-Aroma. Ich achtele sie und brate sie an. Oder püriere sie zu einer Suppe. Wie Sahne sieht das aus, sehr elegant. Jetzt noch ein paar grüne Spritzer darauf, etwa aus fein gehacktem Bärlauch, der mit Olivenöl verührt wird. Das harmoniert.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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