Sie ist eine Wilde. Denn ihr Name stammt von den Tupinambá ab, einem indigenen Volk, das einst an der brasilianischen Küste lebte. Eine Delegation dieser Ureinwohner wurde 1613 dem jungen Louis XIII. vorgeführt. In Frankreich machten die Legenden um den angeblichen Kannibalismus dieser Menschen so die Runde, dass das Indio-Volk, das heute nicht mehr existiert, einen eigenen Platz in der Sprache bekam. Topinamboux – darunter verstand man in Frankreich bald einen unkultivierten, engstirnigen Menschen. Und das entsprechende Gemüse, die Topinambur, war eine faltige, lila Knolle mit Knubbeln. Dass sie gar nicht aus Brasilien, sondern einem anderen Teil der Neuen Welt, nämlich Kanada stammte, war egal. Erst Exot, dann der Abstieg in niedere Klassen: Dieses Schicksal teilt die Topinambur mit vielen Migranten. Sie wurde zum Arme-Leute-Essen.
Versuche, das Gemüse aufzuwerten, hat es seitdem immer wieder gegeben: Aber ein Namen wie „kanadischer Trüffel“ konnte sich nicht durchsetzen. Für „Helianthus tuberosus“ existieren heute eine Menge Bezeichnungen: Schnapskartoffel, Jerusalem-Artischocke oder Erdbirne. Es ist ein fast babylonisches Namenswirrwarr. Ganz im Gegensatz zu ihrer Verwandten, der Kartoffel. Die hatte immer ihren festen Platz im Speiseplan, die Topinambur dagegen durchlief ihre Moden. Auch davon erzählen die Namen. Oft wanderte sie nicht auf den Teller, sondern in die Futtertröge im Stall.
Viel gegessen wurde sie zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Es war von Vorteil, dass die Topinambur schneller den Hunger vertreibt, als sie satt machen kann. Außerdem wächst sie fast immer und auch so gut wie überall. Kinder der vierziger und fünfziger Jahre sind deshalb meist daran zu erkennen, dass sie Topinambur, ähnlich wie Steckrübe, zum Kotzen finden.
Kann ich sagen, dass ich die Topinambur mag? Ich gestehe: Wir haben einen längeren Gewöhnungsprozess hinter uns. Wenn einem das Gemüse als „Diabetiker-Kartoffel“ vorgestellt wird, klingt das zwar gesund, aber das Wasser läuft einem nicht gerade im Munde zusammen. Und kommt man dann auf den Geschmack, kann das zu unangenehmen Nebenwirkungen führen. Topinambur enthält Inulin, einen Zucker, der von Diabetikern gut vertragen wird. Weil der Darm ihn nicht aufspalten kann, wirkt er wie ein Ballaststoff. Wir sind nämlich auf freundliche Bifidus-Bakterien angewiesen. Und deren Arbeit verursacht – allerdings ein ernster Nachteil – bei manchen Menschen anfangs derbe Blähungen. Die Topinambur ist eben doch eine Wilde.
Wenn man mit niedrigen Dosen beginnt, kann man seine Eingeweide aber an die Knollen gewöhnen. Das nussige, tatsächlich leicht an Artischocken erinnernde Aroma ist die Therapie wert. Inzwischen kommen die „Topis“ bei mir in Mengen auf den Tisch. Sie sind mit Schwarzwurzeln, Pastinaken, Petersilienwurzeln und Fenchel das typische Wintergemüse. Eine Wurzelpfanne aus diesen Zutaten zum Beispiel zu einem Stück gebratenen Zander: grandios.
Um die Topinambur noch häufiger einzusetzen, hält man sich besten an die Kartoffel: Pommes, Püree, Bratkartoffeln. Roh und dünn geschnitzelt passt sie aber auch in den Salat. Zu meinen Favoriten zählen Topinambursuppe mit Maronen, außerdem Risotto, für das ich die Knollen feingewürfelt anbrate und am Ende zum Reis gebe. Ganz besonders aber stehe ich auf die Kombination Topinambur-Haselnuss. Mit Butter und Milch wandert ein großer Löffel Haselnuss-Mus in das Topi-Püree und geröstete Haselnüsse kommen oben drauf. Zu einem schweren Braten ist das eine geschmackliche Wohltat, außerdem leicht und verdauungsanregend.
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