H.-E. Richter "Wenn ich gestorben, verzweifelt nicht, denn ihr lebt"

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Horst-Eberhard Richter ist am 19. Dezember 2011 im Alter von 88 Jahren verstorben

Horst-Eberhard Richter:
"Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft"

Als ich vorgestern in der Frühe im Deutschlandfunk vom Tod Horst Eberhard Richter Tod hörte, fiel mir nach erster banger Stille eines seiner letzten Bücher mit dem Titel ein:
"Die Krise der Männlichkeit",
Besteht die Krise überkommener Männlichkeit, Männer-, Frauenbilder nicht auch darin, statt jung als gefühlter, betrauerter Held, mit den trüerischen Verheißungen Ewigen Gedenkens versehen, wie jetzt Horst Eberhard Richter in einem hoch zu nennenden Alter von 88 Jahren nach kurzer Krankheit, fern jeder heldenmütigen Anwandlung, menschlich, anrührend gebrechlich, zu sterben?

Lasst dieses Teil der Krise der Männlichkeit sein, so steckt auch gleichzeitig in diesem Teil der Krise der Männlichkeit ein Teil der Lösung, nämlich vorherig heillos Manner- , Frauenbilder durch Altern, geheilt, zum Segen aller, zu überleben.

Horst Eberhard Richter war in seinen Schriften, Büchern, seinen Worten, in seinen Reden ein begeisterungsfähiger Mensch, der ganze Auditorien in seinen Bann zu ziehen wußte und doch achtsam darauf bedacht war, den Kontakt mit der Wirklichkeit seiner Hörerschaft, seiner Anhängerschaft, seiner Netzwerke nicht aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren.
Horst Eberhard Richter blieb bei all den Antworten, die er bereit hatte, kommunizierend, bereit stellte, lebenslang ein Fragender.
So habe ich ihn auf dem Ersten Bundesdeutschen Gesundheitstag im Jahre 1981 auf dem Hamburger Universitätsgelände bei öffentlichen Veranstaltungen erlebt, wo er mich einfach unvermittelt, als ich das offene Mikrophon ergriffen hatte, durch den ganzen Saal unkompliziert per Du rufend fragte:
"Was meinst Du, was würdest Du der Frau hier raten?".
Der Hintergrund der Frage tut hier eher wenig zur Sache.

Horst Eberhard Richters Erwartungen an sich und andere waren, trotz und wg. seines unverwüstlichen Optimismus, durchaus groß zu nennen.
So konnte ich in Horst Eberhard Richters Buch
"DIe Krise der Männlichkeit"
aus dem Jahre 2006, eine psychoanalytisch, sozialpsychologisch fundierte, ausführliche, aber auch unterhaltsame Auseinandersetzung mit dem Feminismus aus seiner Sicht, eine Analyse des Seelenlebens der modernen Männer in unserer Gesellschaft erwarten und mich auf einige Hinweise, Vorschläge und Perspektiven für seine Optionen einer dringend notwendigen Männerbefreiung erfreuen.
Womit Horst Eberhard Richter erwartungsgemäß auf den Weg einer Entwicklung der Männer hin zu einem eigenen, den Frauen ebenbürtigen Männer- und Frauenbild und auch einer entsprechenden gesellschaftlichen Praxis verweisen würde.
Ich wurde bei der Lektüre seines Buches, einmal mehr, damals im Jahre 2006. wie jetzt wieder, nicht enttäuscht.

Dass Horst Eberhard Richter dabei eine Auseinandersetzung mit der Renaissance eines Männerbildes in Deutschland nicht scheuen würde, das insbesondere auch in anderen Teilen West- und Osteuropas, nicht unwesentlich geprägt durch islamische Kulturströmungen, die nicht frei von Machismus, ein Männer- und Frauenbild nähren, von dem hierzulande viele meinten, es sei längst vielfältig in neuen Geschlechterrollen im Alltag, Kitas, Schule, Beruf, Kultur, Sport, Studium, Ausbildung aufgefächert überwunden.

in seinem Buch
"Krise der Männlichkeit"
setzt Horst Eberhard Richter u. a. auf entsprechende Integrations- und Bildungsmaßnahmen (ohne das Gedühl beim Lesen den Eindruck zu vermitteln, er biete hier für alle Zeiten und Eventualitäten letzte Analysen.
Darin erscheint Horst Eberhard Richter in seinem späten Werk, eher, wie ein Seher, der das Land seiner Verheißung und Zuversicht von hoher Warte aus im Blick, doch niemals mehr betreten, geschweige denn bewohnen wird.

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Erleichtert gibt sich Horst Eberhard Richter hier und da in seinem Buch über Männer, die auf den ersten Blick so ganz anders sind als ihre Väter und Großväter, ohne dabei dem desolat gestimmten Mainstream seiner männlichen Renzensenten seines Buches
"Krise der Männlichkeit"f
folgen zu wollen, die doch tatsächlich behaupten, dass immer mehr Frauen feststellen, dass sie lebendig wandelnde Phantome zum Partner haben.
Männer an ihrer Seite erleben, die sich entziehen - sowohl der Frau als auch der Verantwortung für die Partnerschaft; Männer, die lieb, pflegeleicht, aber nicht mehr überschießend leidenschaftlich sind.
In Frankreich macht gerade ein Roman Furore, der genau dieses angeblich traurige Thema genial beschreibt: "J’étais derrière toi" von Nicolas Fargues (dt. "Nicht so schlimm", Rowohlt).

Horst Eberhard Richter ist sich in seinem Buch selbst mit seinen Kritikern unter den Rezensenten/innen aber einig, dass eine weitergehende Befreiungsbewegung auf Männerseite vonnöten sei, eine Bewegung, die nicht nur anpasserisch dem Feminismus und der Entwicklung der Frauen, mit einigen Fiasko Faktoren stressgeplagt, hinterherkeucht, sondern aufrecht und selbstbewusst Männerinteressen vertritt und gegenüber manchen Rollenkonfusionen der Vergangenheit, eine Partnerschaft der Geschlechter auf Augenhöhe fordert und bereit ist, dafür in Diskursen, paarweiser Gesprächskultur sowohl zu kämpfen als auch angreifbar bleiben zu wollen.

Horst Eberhard Richter behandelt in seinem Buch die Krise der Männlichkeit nicht als Phänomen, das uns Furcht einflößen sollte, sondern als Phänomen, das uns eine gesellschaftliche Chance bietet, nicht weil wir diese nicht haben, sondern weil diese wirklich mit Händen und Sinnen zu packen ist.

Doch, wie das für den einen oder anderen Leser/in mit enttäuschten Erwartungen an dieses Buch von Horst Eberhard Richter gehen mag : Enttäuschungen machen Platz für neue Einsichten und Informationen.
Horst Eberhard Richter Buch lenkt die Wahrnehmung des Lesers/in auch auf einen ganz anderen Focus, der Autor argumentiert weltumspannend und geschichtsphilosophisch, auch gerade, indem er bei seinen Betrachtungen, Einlassungen, identifizierbar und erkennbar, auf die christlich-abendländische und in Folge die westlich-industrielle Entwicklung angewiesen bleibt.

"Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft"
basiert auf Vorlesungen, die Richter auf Einladung seines mittlerweile verstorbenen Freundes Sir Peter Ustinov in Wien hielt. Er setzt mit diesem Buch fort, was er im "Gotteskomplex",
einem seiner Hauptwerke, Anfang der 1980er Jahre begonnen hat.
In einem ersten Teil mit dem Titel
"Die Illusion des Stärkekultes"
verfolgt Richter anhand der Lebensgeschichten von Wissenschaftlern und Politikern, wie es einigen gelungen ist (Weizenbaum, Chargaff, Born, Sacharow u.a., aber auch dem Hl. Franziskus), neben dem Gotteskomplex aufzutreten und eine Alternative anzubieten.

Beschränkt sich Richter im ersten Teil im Wesentlichen auf die Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, zeigt er im zweiten Teil des Buches
"Szenen aus der Entwicklung des Gotteskomplexes"
auf, wie sich seit der Antike eine Entwicklung durchsetzt, die das Grundvertrauen, das noch einen Platon erfüllte, ersetzt durch Selbsthass, ein hurenhaftes Frauenbild, mit der Folge der Installation eines totalen Überwachungs- und Verfolgungssystems in der Inquisition.
Horst Eberhard Richter beschreibt die nachlassende Glaubensgewissheit der Menschen (auch und gerade in der Kirche!) und ihre kompensatorische Bewältigung durch einen magischen Allmachtsdrang und die Projektion von Strafängsten (Hexenverfolgung).
Später wird die Wissenschaft zum Herrschaftsinstrument, und nicht verstandene Sexualängste wachsen sich, am Beispiel Freuds und Nietzsches gezeigt, zu einer kulturellen Krise nach pubertärem Muster aus.

Eine Analyse neuzeitlicher Strömungen und eine Lobeshymne auf die globalisierungskritische Bewegung beenden das Buch.

Dabei fallen, wie kann es bei einem so liebenswerten Kampagnentier, mit Marathonläufer Qualitäten, wie Horst Eberhard Richter, anders sein, die Schilderungen dieser von ihm vorweggenommenen Occupy- Bewegung und mit diesen verbundenen Hoffnungen, die Richter auf dieses neue historisch heraufdämmernden Subjekt der sozialen und gesellschaftlichen Veränderung setzt, überaus begeistert aus.

Gerade weil diese Occupy- Bewegung so heterogen, - in manchen Teilen jedenfalls - eher noch, fern jedes Sinnen & Trachten auf Bündnisse, vordemokratisch unterwegs zu sein scheinen und nicht selten verhalten sich deren Vertreter/innen nicht gerade so, als dass sie uneingeschränkt als legitime Vertreter/innen unserer Zukunftsinteressen gelten könnten.

Gegen Ende seines Buches zeigt Horst Eberhard Richter mit folgendem Zitat, in welche Richtung die Entwicklung, geborgen von guten Mächten, gelingen könnte:
"Aber das Siegen-Müssen entspringt ja eben nicht erwachsener Männlichkeit, vielmehr der Überkompensation verdrängter Ohnmachts- und Entmännlichungsangst. Und die Frauen? Der Zustand der Welt erlaubt ihnen nicht länger, sich um die Energien der Männer für deren Bemächtigungsehrgeiz zu sorgen, anstatt die eigene große Power entschieden für eine Kultur fortschreitender Humanisierung einzusetzen, dabei gleichzeitig die Verantwortung der Männer vermehrt auf dieses Ziel umzulenken. Allmählich wird deutlich, dass Freuds Ratschlag von 1930, wonach sich die Männer zugunsten ihrer Kulturarbeit vor Energieausbeutung durch die Frauen schützen sollten, einer regelrechten Umkehr bedarf. Nachdem die Frauen inzwischen alle angeblich männlicher Sublimierung vorbehaltenen Fähigkeiten in Ämtern mit hoher Verantwortung glänzend belegt haben, ist es jetzt an ihnen, die eigene Energie nicht länger in der demütigen Aufopferung für männliche Machtziele zu vergeuden. Erfolgreich im Kampf gegen rechtliche Benachteiligung, Karrierehindernisse und Unterbezahlung steht es ihnen nun zu, mit Selbstbewusstsein den Männern mehr Einsatz für das gemeinsame Kulturziel einer friedlicheren und sozialeren Welt abzufordern - dabei auch mehr politische Standfestigkeit. Waren es doch die Männer, die zu Millionen den Urhordenvätern des 20. Jahrhunderts hinterhergelaufen und dadurch an den Verbrechen der schlimmsten Art mitschuldig geworden sind."

Augenzwinkernd, scheint Horst Eberhard Richter in seinem Buch ausschließlich den Männern nahezulegen, dass sie etwas fordern müssen und dabei insbesondere gerade an sich selbst Anforderungen stellen.

Nur dann werden sie angeblich im Verständnis von Horst Eberhard Richter den
"neuen Frauen"
ebenbürtig, ihren Mutterkomplex verlieren und reif für echte, erwachsene Partnerschaften werden, welche die absolut notwendigen Keimzellen für eine neue, sozialere und friedlichere Welt darstellen.

Gut, dass dieses Buch von Horst Eberhard Richter über dieses Thema
"Krise der Männlichkeit"
seit dem Jahre 2006 vorliegt.

Gar nicht gut ist, dass uns Horst Eberhard Richter am 19. Dezember 2011 als Mensch, Autor, als Kampagnenweggefährte verlassen hat.

Irgendwie höre ich Horst Eberhard Richter emphatisch vor einigen Jahren sagen:
"Wißt ihr, wenn ich dereinst im hohen Alter davon gehe, dürfen die Himmel über euch nicht, stürzend, zusammenbrechen.
Traurig dürft ihr sein, aber nicht verzweifelt, ich wäre es wohl auch, wenn ich dann noch unter euch wäre."

JP

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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