Sabotage! Jakob Augstein vs Peter Sloterdijk

Struktur Zynismus Stellen die Antagonisten, Sozialismus hier, Kapitalismus da, nicht ein Dream Team im Dienste des strukturellen Zynismus dar? Jakob Augstein spürt im Buch "Sabotage"...

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Jakob Augstein spürt in seinem neuen Buch "Sabotage" im 7. Kapitel unter dem Titel "Zynismus" noch einmal Peter Sloterdijks legendärem Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) aus dem Bundestagswahljahr 2009 nach,

"Die Zukunft des Kapitalismus. Die Revolution der gebenden Hand"

um mit wuchtig Worten dessen "sabotage" am gesellschaftlichen Fortschritt festzustellen, Peter Slotedijk gibt sich in den ersten Abschnitten seines Essay theoretisch brillant nach allen Seiten so offen, dass ihm die weiteren Abschnitte, notwendigerweise, nicht ganz dicht geraten

Kurt Tucholsky hätte geschrieben:

"Wer so offen nach allen Seiten argumentiert, kann nicht ganz dicht sein"

Das schreibt Jakob Augstein nicht,

Jakob Augstein nimmt Peter Sloterdijk sein Essay n. m. E. ganz besonders ab dem Absatz

"Enteignung per Einkommenssteuer",

richtiggehend, so was von übel, dass ihm verständlicher Weise die argumentative Spucke wegbleibt und er versäumt, bei Peter Sloterdijks Essay kritisch Argumente hineinzustöpseln, wo Peter Sloterdijk nicht ganz dicht argumentiert, argumentieren muss, weil er die Epochenwechsel hinsichtlich Funktion, Bedeutung und Wirkung von Steuerstaaten der Marke
"Deutschland- Modell"
als exportversessene Kommandowirtschaften der Einheit von Steuer- , Innen-, Sozial- , Arbeitsmarkt, Entwicklungs- , Außen- und Bündnispolitik im Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften am Weltwirtschaftsmarkt seit Einführung der Agenda2010/Hartz IV- Gesetze 2003 einfach ignoriert.

Peter Sloterdijks anfängliche Analyse liest sich als

"Warming Up"

unterhaltsam aufschlussreich, wenn er in seinem Essay provokant schreibt:

"Die kapitalismuskritische Linke definiert das Eigentum als Diebstahl. Der größte Nehmer ist aber der moderne Staat. Wir leben in einem steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus - und niemand ruft zum fiskalischen Bürgerkrieg auf"

Hier schießt Peter Sloterdijk, wie der Vampit, dre zur Unzeit seine Zähne zeigt, übers Ziel hinaus, um dann im weiteren Verlauf seines Essays, vorübergehend, analytisch moderat unterwegs zu sein:

"Am Anfang aller ökonomischen Verhältnisse stehen, wenn man den Klassikern glauben darf, die Willkür und die Leichtgläubigkeit. Rousseau hat hierüber in dem berühmten Einleitungssatz zum zweiten Teil seines Diskurses über die Ungleichheit unter den Menschen von 1755 das Nötige erklärt: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: Das gehört mir!, und der Leute fand, die einfältig (simples) genug waren, ihm zu glauben, ist der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft (société civile).“

Das klingt in der Tonlage, als wolle Peter Sloterdijk nicht nur die Folgen und Verheerung der deutschen Bauernkriege 1525 umschreiben, sondern im Wege der Eröffnung einer legitimen Reichsfehde zum letzten Bauern- und Gemeindegrundrecht Gefecht neuzeitlicher Revolution aufrufen

Was Peter Sloterdijk dann schreibt, nährt den Verdacht, dass er in die Falle des "strukturellen Zynismus", der einerseits da und dort als Gevatter und Teufel im Detail struktureller Gewalt in rudimentären Resten formierten Sozialismus, vom vagabundierenden Kapitalismus allerorten, als asymmetrisches Weltgefüge voller einseitiger Schrecken zu Lasten der Mehrheit der Menschen und dem Vermögen der Völker, getappt ist
Peter Sloterdijk:
"Wenn Marx seine Theorie der kapitalgetriebenen Wirtschaftsweise fortan in der Form einer „Kritik der politischen Ökonomie“ entwickelte, so auf Grund des von Rousseau inspirierten Verdachts, dass alle Ökonomie auf vorökonomischen Willkürvoraussetzungen beruhe - auf ebenjenen gewaltträchtigen Einzäunungsinitiativen, aus denen, über viele Zwischenschritte, die aktuelle Eigentumsordnung der bürgerlichen Gesellschaft hervorgegangen sei. Die ersten Initiativen der beati possidentes kommen ursprünglichen Verbrechen gleich - sie sind nicht weniger als Wiederholungen der Erbsünde auf dem Gebiet der Besitzverhältnisse. Der Sündenfall geschieht, sobald der Privatbesitz aus dem Gemeinsamen ausgegrenzt wird. Er zeugt sich fort in jedem späteren ökonomischen Akt."

So beginnt Peter Sloterdijk den "strukturellen Zynismus" zu nähren, statt diesen argumentativ trocken zu legen
Peter Sloterdijk:
Wiedergutmachung anfänglichen Unrechts

"In solchen Anschauungen gründet der für den Marxismus, aber nicht nur für diesen, charakteristische moderne Habitus der Respektlosigkeit vor dem geltenden Recht, insbesondere dem bürgerlichsten der Rechte, dem Recht auf die Unverletzlichkeit des Eigentums. Respektlos wird, wer das „Bestehende“ als Resultat eines initialen Unrechts zu durchschauen glaubt. Weil das Eigentum, dieser Betrachtung gemäß, auf einen ursprünglichen „Diebstahl“ am diffusen Gemeinbesitz zurückgeführt wird, sollen die Eigentümer von heute sich darauf gefasst machen, dass eines Tages die Korrektur der gewachsenen Verhältnisse auf die politische Agenda gesetzt wird. Dieser Tag bricht an, wenn die Einfältigen von einst aufhören, bloße simples zu sein. Dann erinnern sie sich an das „Verbrechen“, das von den Errichtern der ersten Zäune begangen wurde. Von einem erleuchteten revolutionären Elan erfüllt, raffen sie sich dazu auf, die bestehenden Zäune abzureißen."

Noch klingt Peter Sloterdijk wie ein ungestümer Heißsporn.

Aber nun kommt der Teil seines Essays, der Jakob Augstein berechtigt erzürnt.

Da kommen die Kurzschlussergüsse Peter Sloterdijks als ginge es ihm um die eilige Lieferung einer Auftragsarbeit:

Peter Slotrdijk:
Enteignung per Einkommenssteuer

"Dies gelang ihm vor allem mittels einer fabelhaften Ausweitung der Besteuerungszone, nicht zuletzt durch die Einführung der progressiven Einkommensteuer, die in der Sache nicht weniger bedeutet als ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung, mit dem bemerkenswerten Vorzug, dass sich die Prozedur Jahr für Jahr wiederholen lässt - zumindest bei jenen, die an der Schröpfung des letzten Jahres nicht zugrunde gingen. Um das Phänomen der heutigen Steuerduldsamkeit bei den Wohlhabenden zu würdigen, sollte man vielleicht daran erinnern, dass Queen Victoria bei der erstmaligen Erhebung einer Einkommensteuer in England in Höhe von fünf Prozent sich darüber Gedanken machte, ob man hiermit nicht die Grenze des Zumutbaren überschritten habe. Inzwischen hat man sich längst an Zustände gewöhnt, in denen eine Handvoll Leistungsträger gelassen mehr als die Hälfte des nationalen Einkommensteuerbudgets bestreitet.“

Spätestens an dieser Stelle verkennt Peter Sloterdijk relativ die wirkliche Lage des deutschen Steuerstaates, der längst mit seinem Steueraufkommen im Bund. Ländern, Gemeinden, das er vor allem aus dem Mehrwertsteueraufkommen generiert, als fiskalischer Motor in die Militarisierung der

"Innen- und Außenpolitik in einem Guss"

aus Steuer- , Sozial- , Arbeitsmarkt- . Entwicklungs- , Verteidigungs- und Bündnispolitik eingebunden ist.
Früher gab es zur Einschüchterung anderer Staaten die berüchtigte Kanonenbootpolitik, um mit Schlachtschiffen vor den Küsten fremder Länder mit dem massiv druckvoll unabdinglichen Ziel aufzutauchen, dass die ihre Häfen und Märkte deregulierend für Produkte aus der heimischen Industrie öffnen.

Heute braucht es keiner Schlachtschiffarmadas mehr, heute erfüllt "geschmeidig" unerkannt die heimische Steuerpoiltik zur Subventionierung der Exportwirtschaft, der Aufbau des Steuerstaates die Rolle früherer Kanonenbootpolitik, um in nahen und fernen fremden Ländern, deregulierend, Märkte, legal, illegal, scheißegal über Schattenwirtschaften zu öffnen.

Der Steuerstaat verteilt in Deutschland inzwischen, ungebremst, Schulden auftürmend, durch ein leichtes Geben über Lohnaufstockung aus Leistungsbezügen der Hartz IV- Gesetze, ohne Ansehen der Bedürftigkeit von privaten oder staatlichen Arbeitgebern, an die unteren Einkommensgruppen, Geringverdienenden bis zur gesetzlichen Grundsicherung und gibt umso reichlicher Gewinn- & Verlustsubventionen an die oberen Vermögensgruppen, zu denen heimische und ferne Unternehmen gehören, wenn sie nur, hingehaucht, das Zauberwort "Export" im Schilde führen

Der Steuerstaat ist also lange kein Staat mehr, der dafür Sorge trägt, dass das Geld im Standort Deutschland uch nur auf ein Haushaltsjahr verweilt, sondern, unkontrolliert, wie durch eine unsichtbare Hand (Adam Smith), weltweit, im deregulierten Flusse bleibt.

Jakob Augstein beklagt in seinem Buch ( Seite 109- 116 ) zu recht, dass es Peter Sloterdijk nach anfänglich beachtlicher Analyse an Instrumenten und vor allem am intellektuellen Streben fehlt, das Monster des Steuerstaates ohne volkswirtschaftlich kolossalen Kollateralschaden zu bändigen, einzuhegen und im Wege eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses einem kontrollierten Subventions- Schrumpfungsprozess zu zuführen..

Stattdessen haut Peter Sloterdijk ungestüm auf die Pauke zu Gunsten einer Seite im fragil ausbalancierten System des "strukturellen Zynismus" als Teufel im Detail "struktureller Gewalt".

Schon geht es weiter in seinem Essay:

"Zusammen mit einer bunten Liste an Schöpfungen und Schröpfungen, die überwiegend den Konsum betreffen, ergibt das einen phänomenalen Befund: Voll ausgebaute Steuerstaaten reklamieren jedes Jahr die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten für den Fiskus, ohne dass die Betroffenen zu der plausibelsten Reaktion darauf, dem antifiskalischen Bürgerkrieg, ihre Zuflucht nehmen. Dies ist ein politisches Dressurergebnis, das jeden Finanzminister des Absolutismus vor Neid hätte erblassen lassen.“

Was Peter Sloterdijk hier in intellektuell unredlicher Art verzapft, in unzulässiger Weise beschreibt, ist, verklausuliert die Sozialpolitik als gesellschaftliche Last:

Kleptokratie des Staates

"Angesichts der bezeichneten Verhältnisse ist leicht zu erkennen, warum die Frage, ob der „Kapitalismus“ noch eine Zukunft habe, falsch gestellt ist. Wir leben gegenwärtig ja keineswegs „im Kapitalismus“ - wie eine so gedankenlose wie hysterische Rhetorik neuerdings wieder suggeriert -, sondern in einer Ordnung der Dinge, die man cum grano salis als einen massenmedial animierten, steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus auf eigentumswirtschaftlicher Grundlage definieren muss. Offiziell heißt das schamhaft „Soziale Marktwirtschaft“. Was freilich die Aktivitäten der nehmenden Hand angeht, so haben sich diese seit ihrer Monopolisierung beim nationalen und regionalen Fiskus überwiegend in den Dienst von Gemeinschaftsaufgaben gestellt. Sie widmen sich den sisyphushaften Arbeiten, die aus den Forderungen nach „sozialer Gerechtigkeit“ entspringen. Allesamt beruhen sie auf der Einsicht: Wer viel nehmen will, muss viel begünstigen."
Was Peter Sloterdijk in seinem Furor dabei übersieht, Sozialpolitik ist als Begriff bereits falsch gewählt, denn es geht hier nicht um Förderung ökonomisch benachteiligter Bevölkerunsteile, sondern um deren Aussteuerung, Stillegung, von der Jakob Augsztein in seinem Buch "Sabotage" schreibt, damit die, prosperierend, Vermögenden, ungestört, ihren gewinn- und verluststrebenden Unternehmungen nachgehen können, weil der Steuerstaat als Reperaturbtrieb ihrer Schäden, die sie zu verantworten haben, stets, vorauseilend, zu Diensten ist.

Statt Sozialpoitik sollte es von nun an
"Marktbenutzungspolitik"
zum Aussperren der unteren Einkommen, zu Gunsten der ungebremsten "Freiheit des Marktes" für die Vermögenden heißen.

Nun wird deutlich, was Peter Sloterdijk an Wirkungen des Fiskus zu wessen Gunsten, zu wessen Lasten umdeutet:

"So ist aus der selbstischen und direkten Ausbeutung feudaler Zeiten in der Moderne eine beinahe selbstlose, rechtlich gezügelte Staats-Kleptokratie geworden. Ein moderner Finanzminister ist ein Robin Hood, der den Eid auf die Verfassung geleistet hat. Das Nehmen mit gutem Gewissen, das die öffentliche Hand bezeichnet, rechtfertigt sich, idealtypisch wie pragmatisch, durch seine unverkennbare Nützlichkeit für den sozialen Frieden - um von den übrigen Leistungen des nehmend-gebenden Staats nicht zu reden. Der Korruptionsfaktor hält sich dabei zumeist in mäßigen Grenzen, trotz anderslautenden Hinweisen aus Köln und München. Wer die Gegenprobe zu den hiesigen Zuständen machen möchte, braucht sich nur an die Verhältnisse im postkommunistischen Russland zu erinnern, wo ein Mann ohne Herkunft wie Wladimir Putin sich binnen weniger Dienstjahre an der Spitze des Staates ein Privatvermögen von mehr als zwanzig Milliarden Dollar zusammenstehlen konnte.

Umgekehrte Ausbeutung

Den liberalen Beobachtern des nehmenden Ungeheuers, auf dessen Rücken das aktuelle System der Daseinsvorsorge reitet, kommt das Verdienst zu, auf die Gefährdungen aufmerksam gemacht zu haben, die den gegebenen Verhältnissen innewohnen. Es sind dies die Überregulierung, die dem unternehmerischen Elan zu enge Grenzen setzt, die Überbesteuerung, die den Erfolg bestraft, und die Überschuldung, die den Ernst der Haushaltung mit spekulativer Frivolität durchsetzt - im Privaten nicht anders als im Öffentlichen.

Autoren liberaler Tendenz waren es auch, die zuerst darauf hinwiesen, dass den heutigen Bedingungen eine Tendenz zur Ausbeutungsumkehrung innewohnt: Lebten im ökonomischen Altertum die Reichen unmissverständlich und unmittelbar auf Kosten der Armen, so kann es in der ökonomischen Moderne dahin kommen, dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben - und dies zudem auf missverständliche Weise, nämlich so, dass sie gesagt bekommen und glauben, man tue ihnen unrecht und man schulde ihnen mehr.

Verschuldete Zukunft

Tatsächlich besteht derzeit gut die Hälfte jeder Population moderner Nationen aus Beziehern von Null-Einkommen oder niederen Einkünften, die von Abgaben befreit sind und deren Subsistenz weitgehend von den Leistungen der steueraktiven Hälfte abhängt."

Ende des Essay Auszugs.

Dabei vergisst Peter Sloterdijk dass diejenigen, die den Systemdeutern als Surplusbevölkerung ( die Überflüssigen) gelten mit ihrem sogenanntem Null- Einkommen als Empfänger von staatlichen Leistungsbezügen, politisch im Plan, als Durchlauferhitzer staatlicher Geldmengenausweitung in der Rolle von tragenden Säulen der Legitimierung des Gebens an die Vermögenden fungieren, damit Mieten, Preise, Wertigkeit von privatem Grund und Boden, Immobilien, Kulturgütern, Kunstwerken, Privilegien der Vermögenden gesichert weiter steigen, während die durchschnittliche Lohn- , Rentenabsenkung durch zerstückelt prekäre Arbeitsverhältnisse, beruflich gebrochene Biografien, mit der Perspektive von Massenarmut im Alter, dunkel akzeptiert, gesellschaftlicher Alltag wird

Jakob Augstein legt in seinem Buch seinen Finger an den Langen Marsch Peter Sloterdijk mit seiner

"Kritik der zynischen Vernunft"

aus dem Jahre 1983 bis zu diesem Essay 2009 und kommt zu dem, n. m. E., voreiligen Schluss, Peter Sloterdijk habe die Seiten gewechselt.

Ist es nicht eher so, dass Peter Sloterdijk da geblieben ist, wo ihn die Welt- Verhältnisse in seine Anfängen hin, nämlich zum Zynismus, dem aufgeklärt falschen Bewusstsein ausgewildert haben, dem philosophierenden Bruder der gesellschaftlich salonfähigen Lüge, dem der Mut zur Selbstverwirklichung abgespalten wurde?

"Der Zyniker braucht sein Gegenüber, Er selber erzeugt nichts",

schreibt Jakob Augstein (S. 110) und erläutert, mit Hinweis auf die Klagewelle, die die Agenda2010/Hartz IV- Gesetze allein seit 2005 an den Sozialgerichten hierzulande ausgelöst haben, was im Rechtstaat wirklich messbar die Schubkraft von mutbürgerlichem Widerstand entfaltet:

"Seit 2005 mehr als eine halbe Million Klagen und vier Millionen Widerspruchsverfahren".(S. 111)

Jakob Augstein abschließende Urteil über Peter Sloterdijks Essay:

"Sloterdijk betätigt sich als argumentativer Falschmünzer: Er jubelt seinen Genern ein selbstverfertigtes Argumet unter, hält es ihnen als wertlos vor und begründet damit die Wahrheit des eigenen gegenteiligen Standpunktes,. Da rar brillant und lustig zu lesen. Aber es war eben Unfug" (S. 113)

Was Peter Sloterdijk anfänglich da so vehement analysiert, vergisst er im Verlauf seines Essays ernsthaft bis in unsere Gegenwart durch zu deklinieren.

"Sollten sich Wahrnehmungen dieser Art verbreiten und radikalisieren, könnte es im Lauf des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu Desolidarisierungen großen Stils kommen. Sie wären die Folge davon, dass die nur allzu plausible liberale These von der Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven der längst viel weniger plausiblen linken These von der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital den Rang abläuft. Das zöge postdemokratische Konsequenzen nach sich, deren Ausmalung man sich zur Stunde lieber erspart.

Die größte Gefahr für die Zukunft des Systems geht gegenwärtig von der Schuldenpolitik der keynesianisch vergifteten Staaten aus. Sie steuert so diskret wie unvermeidlich auf eine Situation zu, in der die Schuldner ihre Gläubiger wieder einmal enteignen werden - wie schon so oft in der Geschichte der Schröpfungen, von den Tagen der Pharaonen bis zu den Währungsreformen des zwanzigsten Jahrhunderts. Neu ist an den aktuellen Phänomenen vor allem die pantagruelische Dimension der öffentlichen Schulden. Ob Abschreibung, ob Insolvenz, ob Währungsreform, ob Inflation - die nächsten Großenteignungen sind unterwegs. Schon jetzt ist klar, unter welchem Arbeitstitel das Drehbuch der Zukunft steht: Die Ausplünderung der Zukunft durch die Gegenwart. Die nehmende Hand greift nun sogar ins Leben der kommenden Generationen voraus - die Respektlosigkeit erfasst auch die natürlichen Lebensgrundlagen und die Folge der Generationen.

Die einzige Macht, die der Plünderung der Zukunft Widerstand leisten könnte, hätte eine sozialpsychologische Neuerfindung der „Gesellschaft“ zur Voraussetzung. Sie wäre nicht weniger als eine Revolution der gebenden Hand. Sie führte zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit - ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste. Diese thymotische Umwälzung hätte zu zeigen, dass in dem ewigen Widerstreit zwischen Gier und Stolz zuweilen auch der Letztere die Oberhand gewinnen kann.“

Ende des Essay Auszugs

Peter Sloterdijk ist Rektor a. D. der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und lehrt dort Philosophie und Ästhetik. Von ihm erschien zuletzt „Du musst dein Leben ändern: Über Anthropotechnik“ (2009).

Jakob Augstein:

"Sabotage", Hansa Verlag, 304 Seiten, 18.90 €

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kapitalismus/die-zukunft-des-kapitalismus-8-die-revolution-der-gebenden-hand-1812362.html

Die Zukunft des Kapitalismus (8) Die Revolution der gebenden Hand

13.06.2009 · Die kapitalismuskritische Linke definiert das Eigentum als Diebstahl. Der größte Nehmer ist aber der moderne Staat. Wir leben in einem steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus - und niemand ruft zum fiskalischen Bürgerkrieg auf.

Von Peter Sloterdijk

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/jakob-augsteins-sabotage-karambolage

Joachim Petrick21.08.2013 | 01:59 12

Jakob Augsteins "Sabotage Karambolage

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/peter-sloterdijk-think-punk-not-think-tank-oder-so
Joachim Petrick
18.06.2009 | 03:24 52
Peter Sloterdijk "Think Punk, not Think Tank!?", oder so.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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