Apple, U2 und die Borg

Spam „Widerstand ist zwecklos“ – zumindest die Ohnmacht gegenüber den Silicon-Valley-Konzernen ist groß. Und vorgebliche Weltverbesserer wie U2 sind leider längst assimiliert
Ausgabe 38/2014
U2-Bashing geht immer: Die Band und ihr Frontmann Bono machen es einem einfach
U2-Bashing geht immer: Die Band und ihr Frontmann Bono machen es einem einfach

Foto: Sandra Mu / Getty Images

Songs of Innocence lautet der Titel des neuen Albums von U2, das derzeit einer halben Milliarde Kunden der Firma Apple hinterhergeworfen wird. Ob sie wollen oder nicht. „Lieder von der Unschuld“, man hätte sich das nicht besser ausdenken können. William Blake soll der Namenspate sein für die größte Spam-Aktion der Internetgeschichte, naturgemäß ungefragt und – so vermutet man hypothetisch sicher nicht falsch – ungewollt. Der Dichter kann sich nicht mehr wehren, der Kunde auch nicht, zumindest, wenn er die Apple-Cloud nutzt, um die Musik in seiner Mediathek aktuell zu halten.

U2-Bashing geht immer. Zumindest bei denen, die sich als popkulturell versiert einstufen. Die Band und ihr Frontmann Bono machen es einem einfach mit ihrem aufgeblähten Gigantismus, dem penetranten Pathos und dem Rangeschmeiße an die Mächtigen der Welt unter dem Mantel der Interessenvertretung für die Armen und Benachteiligten. Dass U2 trotzdem – oder besser: gerade deshalb – mehrheitsfähig sind, beweisen die Rekordzahlen ihrer Touren. Jetzt aber haben sie den Bogen vielleicht doch überspannt.

Apple ist ein internationaler Konzern. Mit Produkten, die einem gefallen mögen oder nicht, die man sich leisten kann oder nicht. Produziert werden sie wie alle Produkte aller Unternehmen mit kapitalistischer Grundlogik: mit möglichst geringen Kosten, mit so wenig sozialer Verantwortung wie möglich. Und unter Ausnutzung sämtlicher Gesetzeslücken. Für einen maximalen Profit. Profiteur Nummer eins im Moment: U2.

Bezahlt wird deren Album mit Geld, das in grenzüberschreitenden Steuervermeidungsmodellen gespart wurde und in chinesischen Sweatshops. Auf Kosten des Gemeinwohls also. Man muss kein beinharter Anti-Globalisierungsaktivist sein, um das zu wissen, nicht mal ein politisch besonders interessierter Mensch. Und es betrifft natürlich nicht nur den Konzern Apple, sondern jeden relevanten dieser „Global Player“, ohne die wir unser Leben praktisch nicht mehr organisieren können. Weil sie uns die Computer liefern, die Informationen, die Kommunikation, das Entertainment. Wer sich dem nicht zumindest ein Stück weit ausliefert, riskiert die soziale und kulturelle Isolation.

Verblüffend ist lediglich die Arroganz, mit der die Konzerne ihre Entscheidungen fällen und ihre Interessen durchsetzen. Gegen nationalstaatliche Regelungshoheit und sogar gegen die eigene Kundschaft. Weil sie keine Rücksicht mehr nehmen müssen, als die neuen Mächtigen der Welt

„Widerstand ist zwecklos“, so lautet ein berühmtes popkulturelles Zitat, das sich auf das Volk der Borg bezieht. In der TV-Serie Star Trek assimilieren sie emotionslos alle Spezies, mit denen sie in Kontakt kommen, integrieren ihr Wissen, rüsten sie kybernetisch auf und eliminieren ihre Individualität für den Dienst am Gesamtkollektiv. Permanente Anpassung und Expansion sind die gesellschaftlichen Grundlagen. Oder anders gesagt: fortschrittlicher Kapitalismus unter der Vorspiegelung eines übergeordneten Gemeinwohls. Von 1989 stammt die erste Borg-Episode, lange vor Amazon, Google oder eben iTunes. Das Konzept der Borg jedoch wirkt wie eine immer realer anmutende Blaupause der Zukunft.

U2 sind assimiliert. So wie wir alle, früher oder später? Verachten darf man die Band dafür trotzdem. Widerstand ist für sie noch nicht einmal mehr ein Thema.

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