Ethik Fehlanzeige, Kompetenz sowieso

Ton & Text Der Musikpreis Echo ist das zunehmend beschämende Sinnbild der moralisch und künstlerisch bankrotten deutschen „Musikindustrie“
Letztes Jahr: Helene Fischer fliegt
Letztes Jahr: Helene Fischer fliegt

Foto; Markus Schreiber / AFP / Getty

Das muss man dann doch mal kurz sacken lassen: „Auch die künstlerische Vielfalt nimmt zu. Ob Rock oder Pop, Schlager, Volksmusik, Hip-Hop oder Alternative: Die Künstler der unterschiedlichsten Genres haben im vergangenen Jahr ihr Publikum mit einer enormen kreativen Energie begeistert. Kaum ein Event spiegelt diese beeindruckende Diversität so eindrucksvoll wider, wie die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo.“ Das gibt Florian Drücke zum Besten, als Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie praktisch Veranstalter jener Farce, die sich selbst gern als „einer der wichtigsten Musikpreise weltweit“ bezeichnet. (Dass allein das schon ausgemachter Unsinn ist, lässt sich übrigens daran erkennen, dass britische oder amerikanische Nachrichten keineswegs kolportieren, wenn hier mal wieder irgend jemand einen Echo abbekommt. Deutsche Medien tun das mit den Brit Awards oder den Grammys sehr wohl.)

Der Echo also. Am 27. März kann man sich das ganze Elend der deutschen Musikindustrie wieder im Fernsehen anschauen. Und wer über auch nur den Hauch von musikkritischem Grundverständnis verfügt, muss sich langsam fragen, ob es in den Gremien dieses Bundesverbands Musikindustrie irgendeine geheime Verschwörung gibt, die sein erklärtes Flaggschiff um jeden Preis versenken will. Frei.Wild braucht es dazu fast gar nicht. Aber der Umgang mit den ultrastumpfen Südtiroler Blut-und-Boden-Rockern ist ein schöner Beweis für die Abwesenheit jeglichen Anstands – oder gar Sachverstandes in Sachen Popmusik.

Zur Erinnerung: Schon letztes Jahr war die in Deutschland enorm erfolgreiche Band nominiert worden – kurz nachdem eine heftige Diskussion um deren Booking beim angestammten Metal-Festival With Full Force getobt hatte, in dessen Folge langjährige Medienpartner und Sponsoren des Festivals den Rückzug ankündigten, weil sie mit den Rechtsauslegern nicht in Verbindung gebracht werden wollten. Auch beim Echo zogen die meisten Mitnominierten es vor, sich nicht gemeinsam mit Frei.Wild präsentieren zu lassen. Dass die fast schon zwingende Ausladung der Band dann nicht gerade Herzenssache der Veranstalter war, drückt die Begründung mehr als deutlich aus: „Um zu verhindern, dass der Echo zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung wird …“ Das darf man sicher guten Gewissens eine A*******h-Haltung nennen.

Für die Zukunft wurde vorgesorgt. Da das Prinzip der meisten Echo-Nominierungen auf der Anzahl der in Deutschland verkauften Tonträger basiert, man also einfach die ersten der Jahrescharts der Media Control nimmt, war absehbar, dass das Thema Frei.Wild sich nicht einfach von selbst erledigen würde. Also wurde ein „Beirat“ einberufen, der eventuelle Problemfälle beurteilen soll. Und siehe da: „Der Echo Beirat hat die Künstler ,Frei.Wild‘ mit ihrem Tonträger ,Still‘ im aktuellen Gesamtkontext bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass hier insgesamt die Grenze vom künstlerisch Vertretbaren zum gesellschaftlich völlig Unvertretbarem nicht überschritten sei.“ Ein Freifahrtschein also, über den man sich indes nicht wundern muss. Denn auf die Idee, dieser „Ethikrat“ sei in irgendeiner Weise im Thema kompetent, würde niemand außerhalb des Bundesverbandes Musikindustrie kommen.

Das fängt schon bei dem geradezu lachhaften Fakt an, dass er ausschließlich aus mehr oder weniger distinguierten Männern mittleren bis fortgeschrittenen Alters besteht. Aber man kann das auch rein fachlich betrachten: Um Menschen zu finden, die weiter weg von den aktuellen Gegebenheiten der Popmusik tätig sind, als buchstäblich alle der Ausgewählten, hätte man sich im – sagen wir mal – Maurerhandwerk oder bei Raketentechnikern bedienen müssen. Allerdings wäre die Wahrscheinlichkeit, sogar dort aus Versehen auf jemanden zu stoßen, der sich besser auskennt, ziemlich groß.

Natürlich haben die sieben Mitglieder dabei irgendwas mit Musik zu tun. Chef Wolfgang Börnsen war lange Jahre für die CDU im Bundestag und hat für sie das Themenfeld Kultur beackert. Ein Schelm, wer denkt, dass ihm im letzten Jahr die „Goldene Ehrennadel der GEMA“ verliehen wurde, weil er ein besonders willfähriger Vertreter der Hardlinerposition von – sic – Bundesverband Musikindustrie und GEMA in Sachen Urheberrechtsdebatte war. (Wer sich ein Bild von seinen musikalischen Entertainer-Qualitäten machen will, kann sich die Bundestagsdebatte vom März 2012 näher anschauen.) Warum zwei Kirchenvertreter mitmischen, erschließt sich von vornherein eher wenig, die konkreten Aktiven sind (ausschließlich christlich, versteht sich) paritätisch besetzt: Klaus-Martin Bresgott vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und Peter Hasenberg von der Deutschen Bischofskonferenz. Bresgott ist im Prinzip Kirchenmusiker und hat über sein Vocalensemble sogar eine direkte Beziehung zum (wir erinnern uns: heute italienischen) Südtirol; es ist nach einem von dort stammenden Komponisten des 16. Jahrhunderts benannt. Hasenberg hat sich als Mitglied der FSK-Kommission einen Namen damit gemacht, eigentlich gegen die in seiner Empfindung oft zu laxen „FSK 12“-Mehrheitsentscheidungen für Kinofilme zu sein. Er hat beispielsweise ein Problem mit der Jugendgefährdung durch die sexuell aufgeladenen Gespräche in „Keinohrhasen“. Dass die beiden Vertreter des Deutschen Musikrates, Bach-Fan Christian Höppner und Orchestermusiker Martin Maria Krüger vornehmlich der Klassik verbunden sind, entspricht dem Charakter des Musikrates. Immerhin Kurt Mehnert könnte man eine gewisse Nähe zur Popmusik unterstellen, er ist Rektor der Folkwang Universität, die in ihrem Studiengang Komposition auch „Popkomposition/Produktion“ lehrt. Sein Fachgebiet jedoch ist Industriedesign. Bleibt der Hannoveraner Musikpädagoge Ole Oltmann, Gymnasial-Lehrer für Musik und Französisch und gern auch Schulchorleiter. Äußerungen zu den Feinheiten der aktuellen Rechtsrock-Strategie des Agierens am Rande des Erlaubten und zu ihren subtextuellen Botschaften sind auch von ihm nicht bekannt.

Und mit wem – außer den gerade passend zurechtrehabilitierten Frei.Wild – darf man noch rechnen? Helene Fischer , Santiano, Adel Tawil, Sportfreunde Stiller, Scorpions, Tim Bendzko, Peter Maffay, Andreas Gabalier, Semino Rossi, Boss Hoss, Revolverheld. Das war nur eine Auswahl dessen, was den – kommerziell zweifelsfrei erfolgreichen – ästhetischen Bodensatz deutscher Popkultur ausmacht. Dazu passt, dass die ebenfalls aus Südtirol stammenden Kastelruther Spatzen selbstverständlich erneut nominiert sind: Sie sind mit bisher 13 Echos Rekordsieger. Übertragen wird das alles dann im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Noch so eine Zumutung, für die man den Programmverantwortlichen der ARD gern links und rechts eine hinter die Löffel geben möchte, bis sie zu Verstand kommen. Aber das wäre wohl doch zu viel verlangt. Für die Zukunft nicht vergessen sollte man aber bitte, welcher „Künstler“ sich in diesem Jahr für diese in jeder Hinsicht beschämende Veranstaltung am Ende tatsächlich hergeben wird.

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