Der Reporter-Preis schadet der Reportage

Medien Eine Abschaffung von Preisen würde dem Journalismus gut tun, meint unsere Kolumnistin
Ausgabe 13/2019

Flipchartpapiere auf der nackten Wand. Lichtspiele. Rein und edel. Auf das noch jungfräuliche Tapet malt die Sonne geheimnisvolle Zeichen. „Wahrheit“ steht da und „Ehre“. Schneller als die Worte erschienen sind, verblasst das flüchtige Lichtzeichen, als wäre es nie da gewesen. Dann ein Luftzug, ein leichter Hauch von Resopal.

Dies ist ein besonderer Ort. Hier arbeiten nur besondere Menschen. Denkweisen werden reflektiert. Was ist, wird sichtbar. Wir sind beim Spiegel. Hier tagt das Reporter-Forum. Das Reporter-Forum vergibt den Reporter-Preis. Sie kennen den Reporter-Preis nicht? Das ist dieser Preis, der bevorzugt an Männer mit deutschem Namen vergeben wird. Man konnte Vorschläge für Workshops einreichen. Und mein Vorschlag wurde tatsächlich angenommen!

Etwas unbedacht hatte ich vorgeschlagen, den Reporter-Preis einfach abzuschaffen, rasch eine E-Mail geschickt und zack! die Einladung erhalten. Und jetzt: Beamer an, F5 gedrückt. Zum Glück bin ich eine Speakerin, die weiß, wie man die Leute fesselt. Es ist ein bisschen wie bei einer Reportage, wie man sie hier mag: Großes muss verkündet werden, das wirklich an die Nieren geht (also hier: den Reporter-Preis abschaffen). Aber genug reflektiert! Die Leute warten. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit des Königs.

Herzlich willkommen, allerseits, zu meinem Workshop, meine Damen und Herren, Sie sind Elite! Ich nicht. Aber das kann im Moment nur gut sein (Relotius! Gelächter im Publikum). Ich erzähle Ihnen etwas: „Schreiben Sie Reportagen?“ Als mich Frank Schirrmacher seinerzeit ansprach, um mich für die FAZ zu gewinnen, verwendete er diese Formulierung. Hätte ich eine klare Antwort gehabt, meine Damen und Herren, dann hätte ich vermutlich auch die eine oder andere Reportage geschrieben, und wer weiß. Doch unsereins kann nur scheitern, so gab es keine Antwort und auch keine Reportagen. Schirrmacher hätte mich genauso fragen können, ob ich Chopin liebe.

Nun, Sie allerdings – Sie schreiben Reportagen. Sind die preiswürdig? Oder ist es so, dass der Preis, der Sie natürlich heißmacht, sich eher negativ auf Ihre Arbeit auswirkt? Ich meine, kann es sein, dass Sie, wegen des Preises ...

„Wooza!“ Später waren sich die Anwesenden uneins, ob das wirklich durch den Raum dröhnte. Auch über die weiteren Ereignisse herrschte keine Einigkeit. Klar ist: Der Workshop entglitt mir. Die Wahrheit erlitt Schiffbruch. „Warum muss das immer mir passieren?“, frage ich mich verzweifelnd, gleichzeitig in Gedanken an Sebastian Heiser, meinen Ex-Mitbewohner, heute mit Wohnsitz in Kambodscha, und wie der Reporter-Preis-Betrüger Claas Relotius ein gefallener Engel der Branche, weil er seine Kollegen bei der taz ausspioniert hatte. Diese Männer scheinen unter immensem Druck gestanden zu haben. Allen gefallen, fleißig sein, Preise gewinnen. Und da kommt noch mehr, das System ist auf Sand gebaut. Deswegen wäre es klug, wenn der Reporter-Preis sofort ...

„Nein!“ Ich erinnere mich, dass sich die Tür öffnete und die Temperatur sofort um zehn Grad fiel. Nicht die Hunderte von Reporterinnen und Reportern, die zu diesem Reporter-Workshop angereist sind, um ihre Profession zu retten und zu reformieren, haben diese Unterbrechung meines Workshops zu verantworten. Ein begossener Pudel – wir sind in Hamburg! – stürmte herein. „Canis lupus, Canis lupus!“*, bellte der Hund, denn er ist in Latein nicht so textfest.

*Sinngemäß: Der Reporter ist dem Reporter ein Wolf.

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Geschrieben von

Julia Seeliger

schreibt alle vier wochen das "medientagebuch"

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