Die Koppel ist fast leer, nur ein Bulle, zwei Kühe und ein Kalb kauen verlassen das karge Gras vom sandigen Boden ab. Gerald Kaltschmidt zuckt die Schultern: „Die Rinder sind das Hobby meines Sohnes“, sagt er. Kaltschmidt ist Biobauer. Seit über zwanzig Jahren betreibt seine Familie einen Hof in der brandenburgischen Lausitz. Das mit den Rindern hat sich nie gelohnt. „Für Biofleisch gibt es hier in der Region keinen offenen Markt“, so Kaltschmidt, „und auch in den großen Städten ist er ziemlich aufgeteilt.“
Kaltschmidt ist ein stämmiger Mann mit buschigem Schnauzbart und festem Händedruck. Ein langes Messer balanciert zwischen den beiden Enden des Hirschgeweihs, das hinter seinem hellbraunen Holzschreibtsich hängt.
#228;ngt. Er ist nicht die Art Mensch, die beim ersten Problem ans Aufgeben denkt. Trotzdem sagt er: „Ich weiß nicht, ob wir den Hof in dieser Form noch lange weiterführen können.“Dass die Bio-Branche boomt, kann jeder sehen, der heute durch einen deutschen Supermarkt läuft. Die Kühlregale sind voll mit Siegeln, die ökologisch korrekten Anbau versprechen. Dafür sind die Deutschen bereit, viel Geld auszugeben – über sieben Milliarden Euro waren es im vergangenen Jahr. Nur in den USA ist der Markt für Bioprodukte noch größer. Das hat auch die Landwirtschaft verändert. Sieben mal so viele Bauern wie 1990 produzieren heute biologisch korrekte Produkte. Die ökologische Anbaufläche hat sich seitdem mehr als verzwölffacht. Doch die wirtschaftliche Situation zahlreicher Biobauern ist trotzdem angespannt.Die Preise sinkenGerald Kaltschmidts Hof ist einer der größeren privat geführten in der Lausitz. 1050 Hektar bewirtschaftet er mit seinen beiden Söhnen und zwölf Angestellten. Die Felder, die sie bestellen, liegen bis zu zwanzig Kilometer auseinander. In Preschen, einem kleinen Dorf unweit von Cottbus, hat das Familienunternehmen seinen Hauptsitz.Meterhoch türmen sich die Bio-Roggenkörner in der düsteren Lagerhalle auf. „Wir haben die Ernte vom vergangenen Jahr noch nicht komplett verkauft“, so Kaltschmidt, „auch von 2012 haben wir noch was.“ Roggen ist das Hauptprodukt auf Kaltschmidts Hof. Der Boden in der Lausitz ist nicht sehr ertragreich. Roggen ist eines der wenigen Getreide, die hier gut wachsen. Doch Geld lässt sich damit kaum mehr verdienen.„Die Preisentwicklung ist dramatisch“, sagt Kaltschmidt. „Vor einigen Jahren bekamen wir für 100 kg Roggen 35 Euro. Heute sind es noch 20 Euro.“ Zum Vergleich: konventionell angebauter Roggen bringt auf dem freien Markt derzeit etwa 15 Euro. Mit diesen fünf Euro Preisunterschied lassen sich die die höheren Kosten, die ein Ökofarmer für seine Produktion hat, nicht mehr ausgleichen. Während ein Biobauer Unkraut sorgsam mit Maschinen entfernen muss, kann ein konventioneller Landwirt einfach Pestizide über seine Felder sprühen. Das ist nicht besonders aufwändig und außerdem deutlich billiger. Kunstdünger, für Biobauern streng verboten, macht den Boden zudem viel ertragreicher. In etwa das Doppelte an Roggen könnte Gerald Kaltschmidt seinen Schätzungen zu Folge wohl ernten, wenn er auf das Biosiegel verzichten und nicht mehr ökologisch korrekt anbauen würde.Trotzdem entschloss sich die Familie dagegen: „Das würde riesige Investitionen für uns bedeuten, da wir viel neue Technik bräuchten. Das Risiko ist zu groß“, sagt er.Viele andere Biobauern gehen dieses Risiko jedoch ein. Laut einer Studie des Thünen Instituts stellen jährlich mehr als 400 Biobauern auf konventionelle Anbauweisen um. Fast 200 geben ihren Betrieb komplett auf. Statistisch gesprochen stehen zehn neuen Biobauern vier Rückumstellern und zwei Betriebsaufgebern gegenüber.Paradoxerweise ist es ausgerechnet die hohe Nachfrage, die den deutschen Biobauern die Preise verhagelt. Der Umsatz ökologischer Waren hat sich in Deutschland seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Der Zuwachs an ökologisch genutzten Anbauflächen konnte mit diesem Boom nicht annähernd Schritt halten. Neues Land für die biologische Landwirtschaft zu gewinnen ist in den vergangenen Jahren teuer geworden. Das staatlich massiv geförderte Biogas hat konventionellen Landwirten eine neue, rentable Einnahmequelle eröffnet, die den Kauf- und Pachtpreis für landwirtschaftliche Flächen in die Höhe treibt.Um trotzdem genug Bio-Lebensmittel in den Supermärkten zu haben, importieren viele Händler die Waren – überwiegend aus Staaten, die im Zuge der Osterweiterung der EU beigetreten sind. So stiegen beispielsweise die Bio-Anbauflächen in Polen und dem Baltikum seit 2004 um 300 bis 500 Prozent. In Deutschland erhöhte sich die Fläche im selben Zeitraum nicht einmal um ein Drittel.Nächster KostenschubZwar werden auch in den neueren EU-Mitgliedsstaaten die strengen Bio-Standards der EU-Kommission eingehalten und kontrolliert, doch durch die niedrigeren Löhne und billigeren Pachtpreise kann auf den neuen Feldern deutlich billiger produziert werden als hierzulande. Die günstigen Bioprodukte werden dann nach Deutschland, Frankreich, Österreich oder in die Schweiz exportiert. Auf ihren Heimatmärkten spielt Bio dagegen so gut wie keine Rolle. Zahlen des Bundes der ökologischen Lebensmittelwirtschaft zu Folge geben Letten und Litauer pro Kopf jährlich nur zwei Euro für Bio-Lebensmittel aus. In Polen sind es drei Euro. In Deutschland sind es hingegen 81.Die günstigen Importe machen den deutschen Biobauern das Leben schwer. Denn wenn es um Nahrungsmittel geht, achten die Deutschen traditionell besonders auf den Preis. Die Herkunft spielt eine geringere Rolle – insbesondere wenn auch das Bio-Ei aus Lettland das gleiche EU-Biosiegel trägt, wie eins aus der Nachbarschaft. Den Preiskampf bekommt auch Gerald Kaltschmidt zu spüren. Neben dem Roggenanbau betreibt er eine Schäferei auf seinem Hof. Viel Geld ist jedoch auch damit nicht zu verdienen: „Den Kunden ist es oft egal, ob sie ein Biolamm kaufen oder ein konventionelles. Die Deutschen wollen eben nicht viel Geld für Lebensmittel ausgeben. Da ist die Geiz-ist-geil-Mentalität am Werk.“Um sich vor den Importen zu schützen, können Lebensmittelproduzenten sich seit neustem um das so genannte Regionalfenster bemühen. Dieses Siegel soll auch in verarbeiteten Produkten nachweisen, dass alle Zutaten aus der Region kommen. Eine Testphase im vergangenen Jahr war erfolgreich. 80 Prozent der befragten Kunden und Händler unterstützen das Siegel. Ob die Kunden dann auch in großer Zahl bereit sind, Preise zu bezahlen, die den deutschen Biobauern das Überleben sichern, bleibt allerdings abzuwarten.Derzeit jedenfalls sind staatliche Subventionen für viele Biobauern das wichtigste Instrument, um die sinkenden Preise auszugleichen. Sie spielen eine große Rolle in der Kalkulation der Betriebe. Rechnet man die staatlichen Zuschüsse aus den Bilanzen der Biohöfe heraus, liegt ihr durchschnittlicher Gewinn schon heute unter denen eines vergleichbaren, konventionellen Hofes.Wie sich die Subventionen weiterentwickeln werden, ist unsicher. Insbesondere die klammen Landesregierungen haben ein Auge auf die Förderung geworfen. Brandenburg hat die Subventionen für die Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft bereits gestrichen.Währenddessen bereiten sich die Landwirte bereits auf den nächsten Kostenschub vor. Der angekündigte Mindestlohn ist vielen ein Dorn im Auge. Regionale Bauernverbände wehren sich gegen die angekündigten 8,50 Euro. Auch Gerald Kaltschmidt ist dagegen: „Ich zahle meinen Angestellten branchen- und ortsübliche Löhne. Die liegen aber deutlich unter dem, was diskutiert wird.“ Sollte der Mindestlohn kommen, werde er seinen Hof in der jetzigen Form nicht mehr weiterführen können, sagt er. „Dann machen meine Söhne und ich das allein. Als Familienbetrieb können wir überleben. Aber meine zwölf Angestellten muss ich dann rausschmeißen.“