"Ist doch scheißegal, was ich hier abstimme!"

Veranstaltung Endlich vereint: Deutschlands prominenteste Eurokritiker versammeln sich auf einem Podium und schimpfen auf Brüssel
Nie um einen scharfen Spruch verlegen: CSU-Vize Peter Gauweiler
Nie um einen scharfen Spruch verlegen: CSU-Vize Peter Gauweiler

Johannes Simon/SZ-Photo/DPA

Es war schon ein Coup, der den Organisatoren der Podiumsdiskussion „Forum Demokratie - Bürgerbeteiligung in Europa“ da gelungen war. Peter Gauweiler, Vize-Vorsitzender der CSU und Chefeurokritiker der Partei, nahm auf der Bühne neben AfD-Chef Bernd Lucke platz. Eigentlich gilt in der Union die Devise, die neue Konkurrenz von rechts möglichst zu meiden, doch Gauweiler ist das egal. Schließlich will er mit Blick auf die Europawahl die Euro-Kritik nicht allein dem Hamburger Wirtschaftsprofessor und seinen Parteifreunden überlassen. Das Podium vervollständigten CDU-Busenwunder Vera Lengsfeld und der Vorsitzende der FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Christian Dürr. Die Moderation übernahm die Publizistin Bettina Röhl. Alles vertreter des konservativen Establishments also, fast alle mit bunten Biografien. Es versprach lustig zu werden.

Impulse aus der anderen Ecke hätte ursprünglich Dietmar Bartsch von der Linkspartei geben sollen. Er sagte jedoch einige Wochen vor dem Termin ab. Vielleicht hatte er einen näheren Blick auf die Organisatoren geworfen, denn hinter der veranstaltenden „Initiative Bürgerrecht Direkte Demokratie“ steht der Verein Zivile Koalition e.V., der von der AfD-Rechtsauslegerin Beatrix von Storch und ihrem Ehemann betrieben wird.

Die vorgesehene Stoßrichtung der Diskussion wurde dann auch schnell klar. Vera Lengsfeld eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Lesung aus ihrem Buch (der interessierte Leser konnte es für 20 Euro hinten im Raum erwerben), in dem sie die Demonstrationen gegen den 40. Geburtstag der DDR 1989 beschreibt. Nahtlos leitete sie dann zum „Moloch EU“ über, der sich anschicke, eine neue UdSSR zu werden. Eindringlich warnte sie das Publikum (überwiegend männlich, überwiegend jenseits der 60, ausschließlich weiß), dass Brüssel nun ja auch die Schnürsenkel verbieten wolle - „ein Sieg der Klettverschlusslobby!“ Das stimmt zwar nicht, sondern war die Meldung einer Satireseite, trotzdem schüttelte das Publikum mit heiligem ernst die Köpfe. Die Gefahr, sie ist real.

Pfiffe aus dem Publikum

Hier übernahm Bettina Röhl die Gesprächsführung. Sie stolperte durch ihre Moderation („Bündnis Grüne/die 90“) und ließ die Gäste ihre mehr oder weniger ausgeprägte Euro-Kritik in den Raum schimpfen. Gauweiler brachte seine bekannte Kritik an der Geldpolitik der EZB an und verwies auf das Bundesverfassungsgericht, vor dem er mit seiner Klage gegen den Vertrag von Lissabon ja einige Erfolge erstritten hatte. Routiniert gab er den Bierzeltholzer („Die Leute gehen immer weniger zur Europawahl, weil sie sich denken, ist doch scheißegal, was ich hier abstimme!“). Lucke wollte von der europäischen Ebene am liebsten gar nichts wissen, wünscht sich aber Volksbegehren in den Nationalstaaten. FDP-Mann Dürr hingegen wollte auch die parlamentarische Ebene der EU stärken. Zudem nahm er auch noch die Rolle der Europa-Verteidigers an, bezeichnete sich gar als „glühenden Europäer“. Überhaupt inszenierte er sich als Gegenpol zur AfD, mit der sich die FDP ja auf Bundeseben die Aufmerksamkeit für die außerparlamentarische Opposition teilen muss. Das Publikum dankte es ihm nicht: Als er die EU als „Friedens- und Wohlstandsprojekt“ lobte, wurde er gnadenlos ausgepfiffen.

So ging es beim „Forum Demokratie“ nur vordergründig um Bürgerbeteiligung. Wann immer Moderatorin Röhl versuchte, das Gespräch auf andere Themen wie Abstimmungen über Sexualkundeunterricht, Deutsch als Amtssprache oder Gender-Theorie zu leiten, bügelten die Diskutanten sie ab. Zwar waren alle irgendwie für mehr direkte Demokratie, aber die Veranstaltung nutzten sie, um sich gegenüber der eurokritischen Konkurrenz abzugrenzen. Gauweiler und Lucke kamen hier trotz Widersprüchen im Detail ganz gut miteinander aus. Das war vielleicht die größte Überraschung des Abends.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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