Schwarz-roter Hormonschub

Überwachungsangriff Die Regierung arbeitet mit allen Mitteln gegen eine Befragung Snowdens vor dem NSA-Ausschuss. Trotzdem hat der Whistleblower noch eine Chance nach Deutschland zu kommen
Ausgabe 19/2014

Dass die Regierung diesmal überzogen haben könnte, dürfte in der vergangenen Woche auch einigen Koalitionsabgeordneten klar geworden sein. Schließlich lieferte das Innenministerium am Freitag nicht nur das geforderte Gutachten über eine mögliche Vernehmung Edward Snowdens beim Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses ab, sondern schickte gleich noch unaufgefordert ein Rechtsgutachten mit. Auf zwölf Seiten erklärt eine amerikanische Anwaltskanzlei, warum sich deutsche Abgeordnete durch eine Snowden-Befragung nach US-Recht strafbar machen könnten. Es war ein wenig subtiler Wink mit dem Zaunpfahl an die Aufklärer, künftig die Finger von dem Thema zu lassen. Die Opposition zeigte sich empört, die SPD zumindest verwundert. Es war eine Geste, die einer Exekutive schlecht zu Gesicht steht. Schließlich wird sie vom Parlament kontrolliert. Auf diese Weise Druck auf die Abgeordneten auszuüben, ist bestenfalls schlechter Stil.

Es passt allerdings in das Bild, das die Bundesregierung in den vergangenen Wochen abgegeben hat. Die übergroße Mehrheit von Schwarz-Rot im Bundestag scheint am Kabinettstisch für einen Hormonschub gesorgt zu haben. Dass die Regierung sich mit Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis gegen eine Snowden-Befragung aussprechen würde, war abzusehen. Doch wie lustvoll sie das Vertrauen im NSA-Ausschuss verspielt, das in den monatelangen Verhandlungen um die Formulierung eines gemeinsamen Untersuchungsauftrags aufgebaut wurde, kommt dann doch überraschend. Spätestens seit jetzt auch noch bekannt wurde, dass die Regierung dem Ausschuss nicht alle angeforderten Akten zur Verfügung stellen will, ist klar, dass sie mauern wird, wo immer sie kann. Die parlamentarische Kontrolle wird damit ausgehebelt. Sogar SPD-Fraktionschef Oppermann – eine selbsternannte Stütze der Großen Koalition – sah sich dazu genötigt, die Regierung an die Rechte der Abgeordneten zu erinnern.

Zudem könnte das Verhalten der Bundesregierung noch auf die Füße fallen. Im Untersuchungsausschuss gelten andere Regeln, als im restlichen Parlament – er gilt nicht umsonst als schärfste Waffe der Opposition. Die Abgeordneten von Linken und Grünen sind hier nicht auf das Entgegenkommen der Mehrheit angewiesen. Wenn sie einen Beweis anfordern oder einen Zeugen laden, hat das denselben rechtlichen Stellenwert, als wenn der Ausschuss dies einstimmig getan hätte. Die Regierung ist dann verpflichtet, dieser Forderung nachzukommen. Weigert sie sich, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Damit ist auch eine Snowden-Befragung noch lange nicht vom Tisch. Der Ausschuss hat bereits angekündigt, den Whistleblower zu laden. Stellt die Regierung sich quer, wird zumindest die Opposition nach Karlsruhe gehen.

So könnte Snowden doch noch nach Deutschland kommen – eskortiert von einer unwilligen Bundesregierung, die seine Ankunft mit allen denkbaren Mitteln bekämpft hätte. Es wäre würdelos einem Mann gegenüber, der seine Existenz dafür geopfert hat, die Welt auf massenhafte Grundrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Ein sicherer Aufenthaltsstatus wäre das Mindeste, was Snowden für sein Verdienst zustünde. Doch das scheint von dieser Regierung zu viel verlangt.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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