Ecke Lausitzer Straße

Mietpreissteigerung Heute morgen wurde nach massiven Protesten die Wohnung der Familie Gülbol in Berlin Kreuzberg geräumt. Das ist kein Einzelfall. Habe ich nicht auch etwas damit zu tun?

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Organisierte Nachbarschaftshilfe gegen die Zwangsräumung der Familie Gülbol in Berlin Kreuzberg
Organisierte Nachbarschaftshilfe gegen die Zwangsräumung der Familie Gülbol in Berlin Kreuzberg

Foto: der Freitag

Heute morgen bin ich vom Dröhnen eines Hubschraubers aufgewacht. Um sieben. Ich weiß, dass andere um diese Zeit längst arbeiten, aber für mich ist das früh. Missmutig habe ich mich also noch eine Weile in den Kissen gewühlt. Dann kam Hundegebell und Lautsprecherdurchsagen gehört habe, war die Sache eigentlich klar. Sicherheitshalber bin ich aber doch augestanden und habe die Nase gegen die kalte Fensterscheibe gedrückt. Und die Hausblockade gesehen, eine Menschentraube an meiner Straßenecke, eine Menge Polizei mit kläffenden Hunden und den Hubschrauber hoch oben.

Es geht um die Zwangsräumung der Wohnung der Familie Gülbol, die in letzter Zeit ein verhältnismäßig großes Medienecho gefunden hat. Sie ist nur eines von vielen Beispielen für die Mietpreisveränderungen und die Proteste dagegen in Berlin. Die Familie wohnt seit über dreißig Jahren in der Lausitzer Strasse und hatte eine Mitepreissteigerung von rund 100 Euro zunächst nicht akzeptiert – und den Betrag erst nach der gerichtlich dafür auferlegten Frist gezahlt, auf Grund finanzieller Schwierigkeiten. Daraufhin drohte die Zwangsräumung.

"Dreißig Jahre, stell dir das mal vor. Das ist einfach nur traurig", sagt mein Lieblingsverkäufer aus unserem Stammcafé, unten bei uns im Haus. Hier holen sich einige Protestierenden ihren Kaffee. Er kennt viele solcher Geschichten. Ein Freund von ihm habe über 30 Jahre ein Café in der Adalbertstrasse am Kotti gehabt, seine Miete wurde von 1.500 auf 4.000 Euro erhöht, quasi über Nacht. Er musste den Laden aufgeben. "Da bekommt man schon Angst", sagt der junge Mann. Ich kenne seine kleine Tochter und schlucke. "Was kann man da machen?", frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf.

Die Bullen parken ihre Wagen um

Verschiedene Bündnisse hatten zum Widerstand aufgerufen, lokale Kiezorganisation die auf dem Prinzip der Nachbarschaftssolidarität basieren. Etwa "Stadtvernetzt" oder "Zwangsräumung verhindern". Genützt hat es am Ende nicht. Auch wenn der letzte Versuch der Zwangsräumung verhindert werden konnte, heute morgen wurde die Gerichtsvollzieherin durch das Nachbarhaus und den Hintereingang eingeschleust. Ich treffe Nachbarn und Freunde auf der Straße, "die Wohnung wurde längst geräumt", erzählt ein alter Kommilitone, der heute morgen bei der Sitzblockade dabei war. Etwa 15o Personen hatten sich daran beteiligt. Die Polizei hatte die insgesamt drei Sitzblockaden eingekesselt, die Straße abgesperrt und war offenbar gewaltsam gegen die Aktivisten vorgegangen. Die Proteste gehen trotzdem weiter, die Bullen parken ihre Wagen um. An der Straßenecke wird weiter protestiert, auch wenn der Kampf für heute verloren ist.

Denn natürlich geht es bei der Räumung eigentlich darum, dass der Vermieter mutmaßlich einen sehr viel höheren Mietpreis ansetzen können wird, wenn er die Wohnung neu vermietet. Dass Wohnungen in erster Linie Kapitalanlagen sind und in zweiter Linie Lebensraum, wie ein kanadischer Künstler, mit dem ich mich eine Weile unterhalte, es ausdrückt. Er wohnt in Charlottenburg und kennt die Gentrifizierung aus seinem Heimatland. "Das ist ein systemisches Problem, weltweit." Ich treffe Freunde mit einem Baby, die gerade aus Sevilla wiederkommen. In Spanien sei es dasselbe, dort werde angeblich alle fünf Minuten eine Wohnung zwangsgeräumt. Und auch dort werde versucht, mit Hilfe von Nachbarn und Nachbarschaftsbündnissen Räumungen zu verhindern. Es ist schön, hier Bekannte zu treffen und zu reden, sich auszutauschen, das Gefühl zu haben in einer lokalen Gemeinschaft zu sein. Familie Gülbol hat das heute verloren.

"Wir blockieren hier auf jeden Fall, bevor die euer Café räumen", sage ich zu meinem Lieblingsverkäufer im Haus unter uns. Er lächelt nur milde, "dann hauen sie eben die Wand ein, um reinzukommen", sagt er, und zeigt mit dem Finger auf die gelbe Wand hinter der Kaffeemaschine. Als ich zurück nach Hause stapfe überlege ich, inwiefern ich nicht selbst Teil dieser Mietpreiserhöhungsmaschine bin. Ich zahle seit den drei Jahren, die ich in unserer Wohnung bin, verhältnismäßig viel; sicherlich einen höheren Quadratmeterpreis als Familie Gülbol. Oder als der Barkeeper von nebenan, der letzte Woche erzählt hat, er wurde "gentrifiziert". Und müsse nun wieder bei seinem Vater wohnen. Irgendwie trage ich doch auch ein Stück zu den steigenden Mietkosten bei, indem ich sie akzeptiere. Auch wenn man argumentieren kann, dass die eigentliche Verantwortung bei Gesetzgeber und Vermietern liegt – bin ich vielleicht auch eine Gentrifiziererin? In der Straße ist es inzwischen wieder leise geworden. Der Hubschrauber ist wieder woanders.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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