Cyberwar Die ukrainische Regierung geht mit einer Internetarmee und Trolltaktiken gegen Russland vor. Wie das funktioniert? Ein Einblick in den Kampf um die Meinungshoheit im Netz
Unsicher starre ich auf meinen Bildschirm. Вітаємо!, steht dort in dicken Buchstaben, ein ukrainischer Willkommensgruß. Kurzer innerer Seufzer. Worauf habe ich mich nur eingelassen? Ich bin soeben Mitglied der „Ukrainischen Informationsarmee gegen russische Propaganda“ geworden und stelle mir vor, wie meine E-Mail-Adresse nun auf den Überwachungslisten von Geheimdiensten steht. Oder wie Internettrolle mich von nun an im Netz verfolgen. Zum Schutz habe ich eine alte E-Mail-Adresse angegeben, mit einem so peinlichen Nick, dass ich sie sonst nur noch zum Internetshopping verwende. Richtig wohl ist mir trotzdem nicht.
Dabei bin ich gerade selbst mit ein paar einfachen Klicks zu einem Troll geworden – oder zu einer Kämpfe
ämpferin für die Wahrheit, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet. Die Kampagne ist von der ukrainischen Regierung initiiert. „Tritt der Ukrainischen Informationsarmee bei und hilf der Ukraine, sich online zu verteidigen“, steht auf der Webseite i-army.org.Wenige Minuten nach meiner Anmeldung kommt die erste Nachricht: „Hallo Neuankömmling Juliane Löffler. Deine erste Aufgabe ist einfach: Lade gute Freunde ein, sich auf der Seite zu registrieren. Es ist wichtig, dass viele Leute teilnehmen, um gegen die feindlichen Angreifer zu kämpfen. Bis bald, viele Grüße. Das Büro der Informationsstreitkräfte der Ukraine.“Operation KatzenbildCyberwar, so wird die Bedrohung im Digitalen heute genannt, und man denkt dabei vor allem an Hacker und grüne Zahlenströme auf Bildschirmen. Tatsächlich findet ein großer Teil der Onlinekämpfe aber nicht im Geheimen statt, sondern in unseren digitalen Vorgärten: in den Kommentarspalten, auf Blogs, in den sozialen Netzwerken. Hier ist sie, die „Öffentlichkeit“, auf die sich Regierungsvertreter berufen. Was aber, wenn ihr Bild verzerrt wird, weil im Netz andere Regeln gelten? Seit der Krimkrise hat das ganze Moderatorenteams journalistischer Webseiten in die Knie gezwungen. Zu heftig der Ansturm der Nutzer, zu zeit- und kostenaufwendig, hasserfüllte Kommentatoren und dogmatische Wahrheitsverkünder im Zaum zu halten. Wo die individuelle Meinung aufhört und die organisierte anfängt, ist kaum zu unterscheiden, und die Grenzen zu Verschwörungstheorien sind fließend – denkt man etwa an MH17. Werden Kommentarstränge geschlossen, wandern die Nutzer zu Blogs und zu Facebook.Die Regierungen versuchen das für sich zu nutzen. Seit im vergangenen Sommer russische Strategiepapiere geleakt wurden, ist bekannt, dass der Kreml Hunderte von Bloggern beschäftigt, um die Meinungen für sich zu beeinflussen. Rund eine Millionen Dollar im Monat lässt Moskau sich das kosten. Über die USA wurde 2011 bekannt, dass Centcom, eine Kommandozentrale der US-Streikräfte, die Operation Earnest Voice entwickelte. Eine „aufrichtige Stimme“, um gegen al-Qaida und Dschihadisten vorzugehen, Meinung auf arabischen Webseiten zu manipulieren und extremistische Ideologien einzudämmen. Dafür wurde eine Software entwickelt, die fingierte Nutzerprofile in Serie erstellt. Das kalifornische Unternehmen Ntrepid, ein Unternehmen für Netzsicherheit, bekam dafür einen 2,8-Millionen-Dollar-Vertrag. "Excellent cover and powerful deniability", so wurde das Ziel der Operation in astreinem Merketingsprech beschrieben. Wären amerikanische Bürger von betroffen, begäbe sich die Operation auf juristisch fragwürdiges Terrain. Wenn es um den Feind geht, sieht sich jedoch jeder im Recht. So sehr, dass nun nicht einmal mehr versteckt manipuliert wird. Die Seite der ukrainischen Internetarmee hat den Kampf im Netz gewissermaßen auf die Ebene der offenen Kriegsführung gehoben.Schon am ersten Tag füllt sich mein Postfach. Anhand von elf Merkmalen werde ich darüber aufgeklärt, wie russische Trolle zu erkennen sind: Auf gefakten Profilen erschienen willkürlich ausgewählte Fotos aus dem Netz, oft sei auch ein Wohnort angegeben. Achtung: Zur Verschleierung ihrer Taktik kommentierten die Propagandatrolle auch nichtpolitische Themen, klärt mich die jüngste Nachricht der ukrainischen „Informationsstreitkräfte“ auf. Wenn Katzenbilder geliked werden, ist das also oft nur ein Ablenkungsmanöver – soso. „Wenn du als aktives Mitglied in den Debatten nicht von Russen blockiert werden willst, solltest du deine persönlichen Daten und Aktivitäten verbergen“, wird mir geraten. Wie man sich als Mitglied der ukrainischen Informationsarmee selbst ein erfundendes Profil erstellen könne, entnehme man bitte den oben stehenden Trollmerkmalen.In der nächsten E-Mail werde ich aufgefordert, die Facebookfanpage der Kampagne zu abonnieren. Dort stehen sich auf dem Hintergrundbild Krieger gegenüber, die aussehen wie Figuren aus Herr der Ringe. Sie schwenken Banner, auf denen die Logos von Nachrichtenmedien abgebildet sind. Russia Today und Life News auf der einen, die Ukrainische Informationsarmee auf der anderen Seite. Grautöne sind im Kampf um die Meinungshoheit nicht vorgesehen.Warte auf neue Aufgaben!„Вітаємо Juliane Löffler. Heute geben wir dir eine wichtige Aufgabe. Finde Nachrichten auf lifenews.ru über den Krieg in der Ostukraine, kommentiere dort und teile deine Kommentare in sozialen Netzwerken. Füge stichhaltige Beweise wie Links hinzu, um deine Argumentation zu stärken“ – lese ich am nächsten Tag. Die Trolltaktik verläuft immer gleich: Unliebsame Kommentatoren sollen verdrängt, andere Meinungen unterdrückt werden.„Warte auf neue Aufgaben“, endet die E-Mail. Dann passiert ein paar Tage lang nichts, und ich frage mich schon, ob die ganze Aktion nur ein großer Witz gewesen ist. Bis ich am 28. Februar eine neue Nachrichte habe: „Вітаємо Juliane Löffler.“ Am Vortag ist Boris Nemzow ermordet worden, und in den Netzwerken verbreiten sich rasend schnell Gerüchte, es habe sich um eine Eifersuchtstat gehandelt. Ein Screenshot zeigt einen entsprechenden Post, der auf russischen Accounts aufgetaucht ist.Placeholder image-1Ich soll das Bild teilen – um russische Propaganda zu enttarnen. Am nächsten Morgen ist die Webseite der Internetarmee zunächst nicht erreichbar. Im Netz kursiert das Gerücht, es handle sich um einen russischen Service. Selbst wenn jemand das zugeben würden, wüsste man nicht, ob es wirklich stimmt. Lügen, das tun schließlich immer die anderen.
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