Der militärisch-informationelle Komplex

Ein Zeitfenster. Die Überwachungsprogramme der NSA sammeln nicht "nur" Verbindungsdaten, sondern wertet auch Inhalte aus, berichtete die "Washington Post" am Dienstag. Sind wir ohmächtig?

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Von J. Taylor, Hong Kong

Vor 63 Jahren benannte Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede die Gefahren für die Demokratie und die Menschheit. Seine Rede ist aktueller denn je.
Schon oft ist die Abschiedsrede des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower zur Beschreibung der zukünftigen Gefahren, die für die Demokratie und die Menschheit durch einen Staat im Staate entstehen können, zitiert worden. Damals wurde vor einem militärisch-industriellen Komplex gewarnt, der die Freiheit der Menschen und die Demokratie gefährdet. Was am 17. Januar 1961 noch recht nebulös erschien, hat durch den technischen Fortschritt und die Verschmelzung staatlicher Strukturen mit den weltweit operierenden Konzernen eine ganz andere Dimension angenommen. Konzerne wie Google, Facebook und Amazon agieren inzwischen ganz offen wie militärische Strukturen, ihr Herrschaftsanspruch über die Daten der Menschheit ist absolut und grenzenlos. Sie spiegeln das System, das Staaten implementiert haben, um die gesamte Menschheit abzuhören, zu durchleuchten und in Zukunft zu berechnen, welche Aktivitäten von einzelnen Menschen zu erwarten sind. Die Vorhersage über einen Kaufimpuls, wie ihn Amazon berechnet, um bereits vor einem Konsumenten zu wissen, was dieser bestellen will, unterscheidet sich von dem Verfahren, das die NSA einsetzt, um einen Islamisten vor der Tat mit einer Drohne zu töten, nur in Nuancen.
Das, was Edward Snowden der Welt bisher mitgeteilt hat, mag für manchen Menschen bereits die Linie überschritten haben, die tolerierbar ist, in Wirklichkeit sind die Erkenntnisse, die bis heute bekannt geworden sind, nur die aus dem Wasser ragenden Teile eines riesigen Eisberges. Es ist doch noch kein Wert an sich, wenn die NSA den Aufenthalt, das soziale Umfeld und die Meinung eines einzelnen Menschen kennt, das sind Informationen, die auch klassisch beschafft werden können. Erst die Verknüpfung aller zur Verfügung stehen Informationen ist ein Mehrwert, denn das geht über das bisherige Wissen über einen Menschen weit hinaus. Nicht nur Amazon weiß vorab, was Kunden bestellen wollen, auch die NSA weiß, welche Informationen ein Mensch benötigt, um den nächsten Schritt der Erkenntnis zu gehen. Die Manipulierbarkeit kann so gezielt und präventiv erfolgen. Der Zugang zu Informationen ist für die Meinungsbildung entscheidet. Wer tatsächlich glaubt, dass alle Informationen frei verfügbar sind, möge sich ansehen, wie die Vorsortierung einer Stichwortsuche bei Google funktioniert. Die Meinung und die Erkenntnis eines Menschen unterstehen heute nicht mehr dem freien Willen oder den individuellen Möglichkeiten.
Während im Jahre 1961 das "military establishment" noch um die Weltherrschaft stritt und dazu den von Eisenhower benannten "military-industrial complex" bildete, ist diese Stufe längst erreicht. Wenn die Bilanzsummen der sechs größten Banken der Welt um den Faktor 10 größer sind als alle Staatshaushalte der Staaten auf diesem Planeten, kann diese Frage als geklärt betrachtet werden. Es geht nicht mehr um die Herrschaft an sich, es geht um die Kontrolle und Erhaltung dieser Macht. Wer naiv ist, erwartet vom heutigen US-Präsidenten eine Einschränkung der Befugnisse der NSA. Dieses Ansinnen steht jedoch außerhalb der Macht des Präsidenten. Es mag sein, dass Präsidenten vor Dwight D. Eisenhower dazu in der Lage waren, aber selbst dieser Mann hätte diesen Satz der Nachwelt nicht hinterlassen, wenn das im Jahre 1961 noch möglich gewesen wäre. Für einen General und Stabschef der Armee war die Übernahme des Staates durch die Konzerne noch etwas, was er mit den Worten "... we must guard against the acquisition of unwarrranted influence..." beschrieb, ein "unbefugter Eingriff". Die Staaten der Welt sind längst durch einen unbefugten Eingriff erobert. Die Herrschaft beruht nicht auf Gewehren, Panzern oder Flugzeugen, sondern auf Schulden.
Bereits im Jahre 1961 sagte Eisenhower wörtlich: „We must never let the weight of this combination endanger our liberties or democratic processes“, eine Warnung, die nicht ernst genommen wurde. Exakt dies ist eingetreten, exekutiert durch Goldman Sachs, Amazon, Google, Facebook, NSA, GCQH und Co., und dies in einer Weise, die nicht einmal Eisenhower für möglich gehalten haben dürfte. Alle Proteste gegen diese Praxis denken zu kurz, denn es geht nicht um ein No-Spy-Abkommen, einen verbesserten Datenschutz oder eine informelle informationelle Selbstbestimmung, es geht um die Freiheit der Menschheit und um die demokratischen Prozesse, die den Menschen bereits genommen wurden. Der militärisch-informelle militärisch-informationelle Komplex hat die Demokratie in den Staaten, in denen dies in der Verfassung steht, de facto abgeschafft. Die Verfassungen aller demokratischen Staaten sind zu leeren Hülsen verkommen. Die Warnungen aus dem Jahre 1961 beschrieben eine Gefahr, die noch physisch wirkte, sichtbar war und in Bildern für alle Menschen zugänglich gemacht werden konnte. Die heutige Wirklichkeit erzeugt Gefahren, die unsichtbar sind, die in Form einer 0 oder 1 durch Kabel vagabundieren, in Prozessoren verarbeitet werden und nur von Eggheads und Strom am Leben erhalten werden müssen. Die Drohungen des Kalten Krieges muten dagegen altertümlich an.
Eisenhower formulierte 1961, dass "... only an alert and knowledgeable citizenry can compel the proper meshing of the huge industrial and military machinery of defense with our peaceful methods and goals, so that security and liberty may prosper together", etwas, von dem wir heute sehr weit entfernt sind. Wachsame und informierte Bürger bilden eine Minderheit. In Deutschland interessiert sich gerade einmal ein Bruchteil der Bevölkerung (einstelliger Prozentsatz) für diese Fragen, in Großbritannien sind es noch weniger, auch deshalb, weil den Menschen dort bisher die Auswüchse einer Gestapo oder Stasi erspart geblieben sind. Heute ist es ein Traum, dass die Sicherheit und die Freiheit zusammenwachsen, so wie es Eisenhower formulierte, im Gegenteil, denn nach dem 11. September 2001 wurden mit dem Hinweis auf den islamistischen Terror alle Gesetze, die die Freiheit der Menschen schützen, pulverisiert. Wenn Osama bin Laden tatsächlich allen Menschen in den westlichen Staaten die Freiheiten und die Demokratie nehmen wollte, ist ihm dies in enger Zusammenarbeit mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, der CIA, nachhaltig gelungen.
Goldman Sachs, Amazon, Google, Facebook, NSA, GCQH und Co. haben der Menschheit den Krieg erklärt. Freiheit und demokratische Rechte sind nur noch in dem Umfang erlaubt, der ihnen nutzt. Die Synergien zwischen den Konzernen und der Sicherheitsarchitektur der Staaten geht sogar so weit, dass eine bewusste Vermeidung der Dienste von Facebook bereits zu einem Verdacht bei der NSA führt, weil dies auf subversives Verhalten hindeutet. Der militärisch-informelle militärisch-informationelle Komplex sitzt fest im Sattel, weil wir alle ihn dort hineingesetzt haben. Wir alle haben uns den Schneid und die Freiheit, die unsere Verfassungen geboten haben, aus Angst vor einer Gefahr, die wie ein Segen für die Herrschenden daherkam, abkaufen lassen. Bekommen haben wir soziale Netzwerke, damit wir allen Menschen auf der Welt den Zeitpunkt, an dem wir den Darm entleeren, verkünden dürfen, dies verbunden mit der Hoffnung auf Anerkennung unserer Existenz durch ein "like it".
Petitionen und Proteste werden die Herrschenden zum Schmunzeln, aber nicht zur Abkehr veranlassen.
Ein Spaßvogel könnte nun auf die Idee kommen, dass die Herrschaft nur dann funktioniert, wenn es Elektrizität gibt, ein Umstand, der sich in der heutigen Welt kaum als Angriffspunkt eignet, da auch alle anderen Prozesse im Alltag der Menschen von der Stromversorgung abhängen. Ein anderer, viel effektiverer Weg wäre, dem repressiven System den Treibstoff zu nehmen, gemeint ist nicht Öl und Gas. Das gesamte System hat eine Achillesferse, bestehend aus drei Komponenten:
1. Die Sparguthaben
Das gesamte System der weltweiten Finanzströme, der Casino-Kapitalismus, funktioniert nur, weil Banken auf Bargeld zugreifen können, das ihnen nicht einmal gehört. Selbst die Arbeiterklasse wird durch 10 Euro auf dem Sparbuch zum Unterdrücker und macht die Spekulation gegen den eigenen Arbeitsplatz erst möglich. Wer das Finanzsystem bis ins Mark treffen will, entzieht ihm großflächig und substantiell die Sparguthaben.
2. Der Konsum
Die Macht der weltweit operierenden Konzerne beruht auch darauf, dass Menschen kaufen und nutzen, was sie uns anbieten. Noch gibt es Alternativen. Die Marktkonzentration ist aber bereits so weit fortgeschritten, dass dieses Fenster nur noch wenige Jahre geöffnet sein wird. Wer sich wehren will, kauft und nutzt nur noch das, was nicht von den Konzernen angeboten wird.
3. Die Selbstorganisation
Wenn die staatlichen Organisationen zum militärisch-informellen militärisch-informationellen Komplex gehören, taugen sie nicht mehr für eine allgemeine Nutzung. Die Menschen müssen (leider) beginnen sich selbst zu organisieren, jenseits der kontaminierten staatlichen Strukturen.
Das alles ist Harakiri, denn es wird weltweit zu einem Zusammenbruch aller Strukturen führen, zu Chaos und zu sehr viel Leid. Wer die Freiheiten zurück möchte, die, die in den Verfassungen der westlichen Staaten vor dem 11. September 2001 zumindest in Grundzügen existierten und noch heute salbungsvoll in Sonntagsreden von der Kanzel verkündet werden, kann nur mit dem Äußersten drohen, einem Kollaps des gesamten Finanzsystems. Alles andere festigt die Herrschaft des militärisch-informellen militärisch-informationellen Komplexes.

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Washington Post, 18.03.14

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