Deutschland und die Überwachung

Massenausspähung. Deutschland erhielt seine Souveränität nach 1945 ratenweise. Das letzte Paket muss es sich selbst abholen - wenn es ihm wichtig genug ist.

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Deutschland und die Überwachung

Foto: Sean Gallup / AFP / Getty Images

Die meisten Amerikaner sehen sich als Amerikaner - als Bürger des Landes, in dem sie leben und dessen Staatsanghörigkeit sie schon immer hatten, oder dessen Staatsangehörigkeit sie im Lauf ihres Lebens angenommen haben.

Edward Snowden war diese Zugehörigkeit so wichtig, dass er das zu seinem Motiv erklärte, die globale Ausspähung durch die NSA einer globalen Öffentlichkeit bewusst zu machen. Oder - vielleicht andersherum - war die Erklärung eines solchen Motivs ein kalkuliertes Mittel, seine Vorgehensweise gegen den daten- und bürgerrechtefressenden Leviathan einem Großteil seiner Landsleute begreiflich zu machen.

I'm neither traitor nor hero. I'm an American - als Snowden das im Interview mit der Hong Konger "South China Morning Post" sagte, übernahm er Verantwortung für sein Land. Ob John F. Kennedy stolz auf seinen Landsmann gewesen wäre?

Wer in Deutschland will, dass sich an der Ausspähung und dem Profiling seiner Kommunikation etwas ändert, sollte nicht die USA beschimpfen. Angehörige des amerikanischen Volks haben für das Ziel, dass diese Bürgerrechtsverletzungen wieder aufhören, schon jetzt mehr getan als Deutsche. Letztere haben gerade eine politische Union mit über 40 Prozent ins Bundesparlament gewählt, deren Vorsitzende und Kanzlerin sich über die Ausspähung ihrer Wähler und Nichtwähler zwar nicht aufregen kann, offenbar aber sehr wohl darüber, dass sie von den amerikanischen Diensten nicht besser behandelt wird als ihre Wählerinnen und Wähler. Und auch die übrigen im Bundestag vertretenen Parteien machen die NSA-, Tempora- usw. Affären nicht gerade zu ihrer Herzensangelegenheit.

Ein Heise-Artikel behandelte das Thema des alliierten Rechts zum Abhören im Sommer. Allerdings berechtigen die Zusatzverträge, die lt. Heise / Markus Kompa auch die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zur Herstellung der Deutschen Einheit von 1990 überdauerten, Amerika nicht zum Ausspähen der deutschen Bevölkerung nach eigenem Gusto. Aber Spionageabwehr ist immer zunächst Sache des Landes, das zum Ziel solcher Aktivitäten wird. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, ihre Bürgerinnen und Bürger vor dieser Form der Massenspionage zu schützen oder zumindest nach besten Kräften Maßnahmen zu diesem Zweck zu treffen. Und es spräche nichts dagegen, auch die von Kompa genannten Zusatzverträge neu zu bewerten oder aufzukündigen. Deutschland ist - völkerrechtlich - ein souveräner Staat. Was dieser Staat tut, ist eine Frage des politischen Willens.

Erst in den Konflikten, die daraus mit Amerika entstehen können - und gar nicht müssen -, ließe sich ermessen, in welchem Maß die amerikanische Sicherheitsbürokratie für die digitale und kommunikative Schutzlosigkeit deutscher Staatsangehöriger eigentlich verantwortlich ist.

Zunächst aber stellt sich die Frage nach einem Ende dieser Schutzlosigkeit im Binnenverhältnis, zwischen deutschen Wählern und Gewählten.

Und dass wir heute überhaupt in einer Position sind, unsere Rechte von gewählten politischen Vertretern und Angehörigen der Exekutive einzufordern - das verdanken wir nicht zuletzt Amerika.

Es wird Zeit, dass wir die Verantwortung tatsächlich übernehmen, die unserem Land seit 1945 ratenweise übertragen wurde. Souverän werden müssen wir jetzt vor allem gegenüber den Machthabern zu Hause.

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