Ein Vulkan beantragt Asyl

Edward Snowden Wer dem Whistleblower helfen will, muss nicht nur seine Person unterstützen, sondern auch seine Motive

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Ein Vulkan beantragt Asyl

Foto: ARTURO ANDRADE/AFP/Getty Images

Hätte die Bundesrepublik Deutschland Edward Snowden aufnehmen wollen, hätte sie es gekonnt. Gesetzliche Grundlagen dafür hätten sich gefunden. Tatsächlich ist ihr der Preis dafür zu hoch. Möglicherweise hätte sie argumentieren müssen, Snowden erwarte in Amerika kein fairer Prozess. Mit anderen Worten: sie hätte Amerikas Rechtsstaatlichkeit anzweifeln müssen. Und das wäre womöglich der Anfang eines Prozesses gewesen, in dessen Verlauf auch zu Hause, in Deutschland, unbequeme Fragen gestellt worden wären.

Hinzu kommt: Berlin hätte damit nicht nur Snowden geschützt, sondern auch jede weitere Information, die er der Weltöffentlichkeit noch zur Verfügung stellen will. Obama hätte jeden Morgen bei "Angela" anrufen können: "Na? Weißt du schon, was dein kleiner Vulkan heute wieder vorhat?"

Solch eine Lage wollte sich nicht einmal Vladimir Putin ausmalen. Snowden könne in Russland bleiben, wenn er das wolle, knurrte der ehemalige KGB-Beamte. Unter der Bedingung allerdings, dass er seine Arbeit beende, die darauf gerichtet sei, "unseren amerikanischen Partnern zu schaden. So seltsam sich das von mir auch anhören mag."

Putin allerdings kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, konsistent gehandelt zu haben. Freiheit war nie sein Thema. Und im Gegensatz zu Deutschland bot er Snowden überhaupt an, ihm Schutz vor amerikanischem Zugriff zu gewähren. Die vergiftete Bedingung, die er dazu stellte, würde einen Gesichtsverlust für Amerika und für West- und Mitteleuropa darstellen - wenn sie überhaupt noch Gesicht zu verlieren hätten.

So aber drängt sich der Eindruck auf, dass Snowden nur ausgesagt hat, was ohnehin jeder maßgebliche Politiker in Europa wusste, und dass Snowden damit, dass er es laut sagte, lediglich ein Arrangement störte, mit dem sich sowohl Amerikaner als auch Europäer im Grunde längst eingerichtet hatten.

Die politische Klasse in Deutschland weiß seit Generationen Bescheid. Ernsthafte Bauchschmerzen kann ihr das nicht bereiten - dafür ist auch das Verhältnis vieler Deutscher zu ihren eigenen Grundrechten zu sehr gestört.

Hier nicht zuletzt bestünde Klärungsbedarf im eigenen Land, bevor Deutschland Snowden ein halbwegs verlässlicher Gastgeber oder womöglich eine neue Heimat sein könnte. Denn ein Problem haben Gesetzgeber vieler Länder, deutsche Kanzler/innen und Innenminister einerseits und Barack Obama andererseits gemeinsam: setzten sie die Spionage gegen ihre Bürger - gegenseitig oder auch nur jeweils im Inland - so weit außer Kraft, dass ihre Sicherheitsbürokratien mit etwas Fantasie wieder als rechtssstaatkompatibel gelten könnten, stünden sie bei jedem zukünftigen, erfolgreichen Terroranschlag unter Rechtfertigungszwang. Dabei würde es nur eine Randrolle spielen, ob es solche Anschläge ohnehin gegeben hätte oder nicht. Fünfzehn Tote und dreißig Schwerverletzte später wäre (fast) alle Kritik an der vormaligen Ausspähpraxis vergessen: die öffentliche Wahrnehmung funktioniert nur kurzfristig.

Viele Deutsche haben ohnehin auch heute vor allem Angst vor "Terroristen" - einem Begriff, der von Bombenlegern bis hin zu Rasenmähern am Sonntagmittag ziemlich viel bedeuten kann. Und lieber lassen sie sich vom Staat terrorisieren, als von "fremden" Leuten mit oder ohne Bart.

Vor der Abwägung zwischen einer zweifelhaften Art "Sicherheit" (dem Status Quo) und der Freiheit stehen die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks - und auf keiner Seite geben sie eine Antwort, die halbwegs eindeutig zu Gunsten der Freiheit ausfiele.

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