Hard und Soft Power: Syrien als Bündnisfall

Globale Konkurrenz Sowohl Amerika als auch Russland folgen im Syrienkonflikt einer konsistenten Logik. Dieser Konflikt ist vermutlich Teil einer weltpolitischen Übergangsphase

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Hard und Soft Power: Syrien als Bündnisfall

Foto: JM LOPEZ/AFP/Getty Images

Die amerikanische Politik sei von Geschäftsinteressen beziehungsweise von kapitalistischen Prinzipien definiert, so lautet eine Erklärung des Syrienkonflikts. Die russische Politik beruhe auf strategischen Interessen, zum Beispiel den von der russischen Marine geleasten syrischen Stützpunkt Tartus, so lautet eine andere. Oder ganz entgegengesetzt: die eine oder andere Seite werde vorwiegend von Werten oder Prinzipien angetrieben: humanitären oder völkerrechtlichen Überzeugungen.

Richtig ist: der Wettstreit von Ideen ist nicht ohne Belang für den Einfluss von Ländern oder Staaten, und sowohl Amerika einerseits als auch China oder Russland andererseits beziehen sich unter Werteaspekten auf die Punkte, denen sich am ehesten universelle Geltung zumessen, und mit denen sich am ehesten öffentliche Unterstützung einwerben lässt: das der Menschenrechte einerseits und das der staatlichen Souveränität andererseits.

Die Überzeugungskraft der einen oder der anderen Position lässt sich nicht völlig losgelöst von der realen wirtschaftlichen und militärischen Macht der – mehr oder weniger stark – involvierten Weltmächte betrachten. Der Umfang, in dem man Amerika für „mächtig“ hielt, war nicht ohne Einfluss auf seine politische Überzeugungskraft. Denn was Kurt Tucholsky in einer Rezension des Heinrich Mannschen Untertans zum Herbarium des deutschen Mannes erklärt hatte – in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit – war oder ist ja keine ausschließlich deutsche Schwäche. Auf den ersten Blick ist schwer zu sagen, was gebräuchlicher ist: might makes right in einer zustimmenden Form, in einer beschreibenden Form, oder in einer – so drückt es ein Wikipedia-Artikel aus – in einer negativen Einschätzung eines Ausdrucks der Macht. Eine alternative Redewendung wäre to the victor go the spoils.

Aber die „harte“ wirtschaftliche oder militärische Macht, und damit die Optionen, sich Einfluss zu kaufen oder zu erobern, ist nur eine Seite der politischen Macht. Die andere Seite, die ideelle, beruht auf dem Image einer Nation. Und für diesen Aspekt prägte 1990 der amerikanische Politologe Joseph Nye den Begriff der „weichen Macht“ oder der soft power.

Soft power, so damals die gängige Definition, bestehe in der Fähigkeit eines Landes, andere zu einem jeweils gewünschten Handeln oder zu einer jeweils gewünschten Sicht zu überzeugen oder zu kooptieren, ohne dabei Geld (als Form des „Kaufens“ von Entscheidungen oder militärischer Macht) als Überzeugungsmittel schlechthin anzuwenden.

Wie sehr die Kooptierung, das „Hinzuwählen“ von Bundesgenossen, Amerika noch vor knapp einem Vierteljahrhundert gelang, machte der Krieg zur Befreiung Kuwaits von irakischer Besatzung deutlich: selbst Syrien war Teil der damaligen Koalitionsstreitkräfte unter amerikanischer Führung – weniger als zehn Jahre nach dem Massaker von Hama. Wie immer man die Mehrheitsverhältnisse im UN-Weltsicherheitsrat zwölf Jahre danach – im Frühjahr 2003 – auch interpretiert: von einer vergleichbaren Unterstützung der damaligen amerikanisch-britischen Initiative zur Invasion des Irak konnte auch außerhalb der ständigen Mitglieder keine Rede mehr sein.

Und wiederum zehn Jahre später – 2013 – konnten weder die amerikanische noch die britische Exekutive auf parlamentarische Mehrheiten im eigenen Lande wetten: das britische Parlament sprach seine Ablehnung militärischer Schläge gegen Syrien Ende August unmissverständlich aus, und die Verhältnisse im Kongress sind bis heute unklar.

Allerdings lässt sich die Fähigkeit einer Macht, „Koalitionen zu bilden“, nicht auf ihr bis dahin gewonnenes Prestige reduzieren. Nicht weniger belangreich ist die Nachvollziehbarkeit des Ziels, das mit einem zeitweiligen Bündnis verfolgt werden soll. Dass die Annexion Kuwaits durch Baghdad nicht hingenommen werden sollte, war der Weltöffentlichkeit vermittelbar.

„Soft power“ lässt sich nicht isoliert von der „harten“ wirtschaftlichen und militärischen Macht betrachten. Aber ohne eine Betrachtung des Images eines Landes bleibt auch die Einschätzung seiner „hard power“ unvollständig, so sehr „soft power“ anstelle traditioneller Begriffe (z. B. „Prestige“) auch ein gehyptes Konzept sein mag: an ihm entlang entwickeln sich die Vorstellungen der Weltmächte und kleinerer Staaten davon, wie das Image des eigenen Landes am nutzenbringendsten – und manchmal auch am wertekompatibelsten – einsetzbar sei.

Dabei dürften die amerikanischen Faktoren des amerikanischen Prestiges zumindest vordergründig die bekanntesten sein: Hollywood und seine Stars, Amerikas technologische Errungenschaften, seine Narrative vom Selfmademan oder vom Individualisten, der unbeirrt sein Ding macht (schwer zu trennen von Hollywood), vom „melting pot“ der Rassen und der nationalen Hintergründe, in dem aus Einwanderern binnen einer oder zwei Generationen Amerikaner werden, oder auch – vielleicht etwas weniger bekannt aber nicht weniger einflussreich – die Erzählung von der Stadt auf dem Hügel, die in selbstgewissen Interpretationen beschworen und in weniger selbstgewissen (aber mindestens ebenso wirkungsvollen) Interpretationen umgedeutet wird.

Ein Element des „Arabischen Frühlings“, das in den Medien des Westens und Chinas kaum Berücksichtigung findet – und zu den russischen habe ich keinen sprachlichen Zugang – ist die Frage des Zugangs von Bürgerinnen und Bürgern zu den Ressourcen, mit denen sich ein besseres individuelles Leben aufbauen lässt. Meistens muss im Westen ein allgemeiner Begriff der Freiheit genügen, ohne dass er – vielleicht von politischer Partizipation oder Menschenrechten im Sinne der UN-Charta einmal abgesehen – näher präzisiert würde.

Eine Präzisierung lieferte allerdings 2012 der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson in einer jährlich wiederkehrenden Vortragsreihe der BBC. In seiner Kritik der westlichen gesellschaftlichen Institutionen verwies er auf das, was aus seiner Sicht die klassischen Werte und Institutionen gewesen seien, die insbesondere Großbritannien einmal stark gemacht hatten, und dann auf das, was die Arabische Revolution ausgelöst habe:

Das primäre Beispiel ist die Geschichte des 26jährigen Tarek Mohamed Bouazizi, der sich vor den Amtsräumen des Gouverneurs der Stadt Sidi Bouzid im Dezember 2010 selbst verbrannte. Bouazizi verbrannte sich selbst, genau eine Stunde nachdem eine Polizistin, unterstützt von zwei städtischen Amtsträgern, seine zwei Kisten Birnen, eine Kiste Bananen, drei Kisten Äpfel und eine aus zweiter Hand gekaufte elektronische Waage im Wert von etwa 180 Dollars konfisziert hatte. Die war sein einziges Kapital gewesen. Seine Selbstverbrennung löste eine Revolution aus – wenn auch abzuwarten bleibt, wie ruhmreich [Bezug zur britischen Glorious Revolution] sie sich entwickeln wird. Dies wird davon abhängen, inwieweit neue konstitutionelle Vorkehrungen in Ländern wie Tunesien und Ägypten den Wechsel von einem extraktiven zu einem inklusiven Staat sein werden; von der willkürlichen Macht einflussnehmender Eliten [im Sinne eines Lobbyismus, der den Staat zu Aktionen bewegt, die etablierte Marktteilnehmer bevorzugt] zu einer Herrschaft des Rechts für alle.

Ferguson argumentiert also marktwirtschaftlich, und in dem Sinne – zumindest aus seiner Sicht und der Sicht vieler seiner Zuhörer – freiheitlich. Eine vom Nepotismus unbehinderte unsichtbare Hand des Marktes soll offenbar stärker zum Zug kommen und damit eine im arabischen Kontext vergleichsweise größere soziale und unternehmerische Gerechtigkeit schaffen. Und dazu verwendet Ferguson – was sonst – eine Story, eine Geschichte.

Daraus lässt sich keineswegs automatisch ableiten, ob Ferguson eher ein Unterstützer oder Gegner einer ausländischen Intervention in Syrien wäre. Es geht aber um ein nicht unwesentliches, traditionelles westliches Verständnis der eigenen Gesellschaft und der übrigen Welt.

Viele Chinesen – arm oder reich, machtlos oder mächtig – würden Fergusons Argument oder Narrativ problemlos verstehen. Ob Araber oder Russen sie genauso gut verstehen würden, weiß ich nicht. Sogar Gerechtigkeit für Unternehmer – Klein- wie Großunternehmer – dürfte heute in chinesischen wie in europäischen Medien als ein politisch relativ heißes Eisen gelten; von Gerechtigkeit für Arbeitnehmer nicht zu reden. Diskutiert werden sie – wie man sieht – in der akademischen Welt und in einem Mittelstand (Hörer des BBC-Kanals Radio 4 dürfen relativ unbesehen dazu gerechnet werden), der sowohl wissbegierig als auch einigermaßen zufrieden mit seinen Lebensverhältnissen ist.

Zurück zum Begriff der „soft power“: in Amerika wird er vor allem unter außenpolitischen Aspekten diskutiert. Folgt man dem russischen Außenpolitikbeobachter Alexey Dolinskiy, wäre das in Russland ähnlich. (Es mag allerdings auch sein, dass er sich einem internationalen Publikum vergleichsweise gut verständlich machen kann, weil er der amerikanischen Diskussion folgen kann und entsprechend argumentiert.) Dolinskiy, Mitglied des Expertenrats der Regierung der Russischen Föderation und des Russischen Rats für Internationale Angelegenheiten (Expert Council of the Government of the Russian Federation / Russian Council for International Affairs), beschrieb im Juni die Entwicklung des russischen Soft-Power-Konzepts als ein Verständnis, das von der Einsicht in die Notwendigkeit internationaler Kommunikation gewandelt habe: zur Kenntnis der inhärenten Verbindung zwischen der Außenpolitik eines Landes und der Anziehungskraft und Autorität des Landes.

In den 1990ern habe das in Moskau kaum jemanden interessiert, so Dolinskiy. Tatsächlich blieb vom klassischen Propagandaapparat aus Sowjetzeiten nicht viel übrig, und was übrigblieb, stolperte resteweise - und vermutlich unter erheblichem Legitimationsdruck - durch die kargen Zeiten, in denen auch die hard power - das Militär - vernachlässigt wurde.

Um zu verstehen, worüber Advokaten der Anwendung und Entwicklung von „soft power“ eigentlich reden, helfen vielleicht einige Anmerkungen des Vorsitzenden des Vorsitzenden der Chinese Academy of World Agendas und Medienberater des Information Office des Staatsrats, Li Xiguang:

In 2007, the Chinese president Hu Jintao realized that soft power is a good term for promoting China’s new identity.*)

Für Li Xiguang stellte die Bemühung um soft power durchaus die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb dar:

But others say that the soft power means your value system, your political system. For me, personally, China should innovate its political system. We could have a democracy – maybe different from American democracy, maybe even better democracy than UK or America.

Li Xiguang folgt hier der breiten globalen Diskussion, die vor allem außenpolitische Aspekte berücksichtigt. Da die KP Chinas aber der Logik folgt, China sei nicht nur auf dem Gebiet der externen “soft power”, sondern auch der politischen Überzeugungskraft nach innen, gegenüber der chinesischen Bevölkerung, ein Entwicklungsland, folgt man in Beijing generell einem weiter gefassten, auch nach innen gerichteten, Konzept. Im Oktober 2010 verabschiedete die 6. Vollversammlung des Zentralkomitees der KP Chinas einen Beschluss zur Vertiefung der Reform des kulturellen Systems Chinas und der Förderung der kulturellen Industrie.

Schon die an ein ausländisches Publikum gerichteten chinesischen Presseartikel stellten zum Teil einen Bezug nicht nur zur nach außen gerichteten “soft power”, sondern auch solche zur “kulturellen Sicherheit” her – ein Begriff, der impliziert, dass die chinesische Kultur bedroht sei. Mit einem wie umfassenden – oder auch totalitären – Anspruch die tatsächliche “Kulturarbeit” von der KP vor knapp drei Jahren neu angeschoben oder auch redefiniert wurde, lässt sich in dieser ausführlichen Übersetzung des ZK-Dokuments durch den belgischen Sinologen Rogier Creemers nachlesen.

Der Verabschiedung des ZK-Dokuments war eine vergleichsweise freie akademische Diskussion sogar auf den Online-Seiten des Parteiorgans “Volkszeitung” (People’s Daily) vorangegangen. Eine liberale Position entwickelte dabei eine akademische Arbeitsgruppe, die sich insbesondere auf den damaligen – als ideologisch vergleichsweise liberal geltenden – Staatsratsvorsitzenden Wen Jiabao und den außen- und sicherheitspolitisch für eine vergleichsweise zurückhaltende Politik werbenden Ex-Diplomaten Wu Jianmin berief (was nicht zwangsläufig bedeuten muss, das einer der beiden Politiker oder beide die hier entwickelte Sicht auf soft power unbedingt lückenlos teilten – aber man hielt sie offenbar für potenzielle mächtige Fürsprecher des vorgestellten Konzepts). Soft power beginne zu Hause, argumentierte die Arbeitsgruppe, mit der Entwicklung von Werten, die zunächst überhaupt eine chinesische Öffentlichkeit überzeugen könnten.

Die Verbindung zwischen außen-und innenpolitischen Aspekten gilt allerdings ebenso – nur in anderer Ausprägung – auch für die chinesische politische Orthodoxie, die sich im Herbst 2010 behauptete. Hier allerdings stehen offenbar machtpolitische und Kontrollaspekte eher im Vordergrund als argumentative Überzeugungsarbeit oder die Schaffung “weicher” praktischer Fakten im chinesischen Alltag.

Trotzdem bringt die chinesische Führung bei der Anwendung von soft power nach innen und außen ganz eigene Erfahrungen mit. In den 1980er und 1990er Jahren ließ sie die “Bauern- und Arbeiterklasse” als Machtbasis weitgehend fallen und kooptierte statt dessen Unternehmer und Intellektuelle (letztere hatten im Maoismus als “stinkende neunte Kategorie” unter den “Klassenfeinden” gegolten). Nicht zuletzt mit der Eröffnung materieller und geschäftlicher Perspektiven für internationale Geschäftsleute gelang das der KP Chinas auch weltweit.

Unabhängig von geschäftlichen Einflüssen, die es in Amerika, China und Russland gleichermaßen gibt, kann keine politische Klasse in einem der drei Länder die Frage der Wohlstandsentwicklung außer Acht lassen. In diesem Zusammenhang zählt die kulturelle Zugkraft, wobei sich vergleichsweise leicht konstatieren lässt, dass die amerikanische global nach wie vor die größte Attraktivität aufweist. Vermuten würde ich, dass die chinesische soft power vor der russischen rangiert, aber da mag ich auch “chinablind” sein und das kulturelle Prestige des Landes überschätzen.

Tatsächlich haben alle noch so langfristigen Überlegungen von Akademikern, Diplomaten, Staatsbürgern oder Machtpolitikern nur bedingt Einfluss auf die soft power eines Landes. Es gibt keine Gründe zu glauben, dass die russische Führung das Völkerrecht eher über das nationale Interesse stellt als die amerikanische. Ihre Rolle im Syrienkonflikt ergibt sich daraus, dass sie den Status Quo verteidigt, und damit automatisch das Völkerrecht, soweit es um den Aspekt der Staatssouveränität geht. Hier ergibt sich eine Übereinstimmung des nationalen Interesses mit dem Souveränitätsprinzip. Allerdings ergeben sich daraus auch soft-power-relevante Narrative nach außen (gegenüber der Weltöffentlichkeit) und nach innen (gegenüber der russischen Öffentlichkeit).

Die Verbindung zwischen Russland und Syrien lässt sich unter dem Aspekt der soft power historisch und ideologisch begründen; zumindest, wenn man einem Artikel der Russland-Korrespondentin der New York Times, Ellen Barry, folgt. Die Lebensläufe vieler syrischer Bürokraten, so ihr Artikel, seien von Erfahrungen in russischen Bildungseinrichtungen geprägt. Die syrischen Eliten seien vielfach russisch orientiert. Und neben der Frage, ob man alte Freunde fallenlässt, zählen demnach auch kulturelle und religiöse Erwägungen: das Assad-Regime schütze religiöse Minderheiten und sei ein Bollwerk gegen radikalen Islamismus.

Hier stellt sich die Frage der Bündnistreue. Wie offen ein Land für russischen Einfluss ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie verlässlich Moskau für seine Belange eintritt. Dabei kann ein Land wie Iran oder Syrien – ganz abgesehen von ideologischen Differenzen vor allem zwischen Iran und Russland – nicht das gleiche Maß an Unterstützung bis hin zu einem offenen Waffengang erwarten, wie es zum Beispiel Israel oder die Golf-Petrostaaten vermutlich von Washington erwarten dürften.

Aber beim Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen entstanden für Moskau offenbar Opportunitätskosten – auch unter dem Aspekt des Prestiges unter seinen mehr oder weniger eng Verbündeten –, die es nicht noch einmal eingehen will.

Amerikanische Prestigefragen gelten auch bei den Golf-Petrostaaten in ihrem Verhältnis zu Washington, das sich – jedenfalls noch – wiederum auf Ölexporte aus diesen Staaten angewiesen sieht. Syrien wird von den arabischen Golfstaaten nicht nur als Verbindungsgebiet für Pipelines aus der Golfregion in das östliche Mittelmeer angesehen, sondern auch als Stellvertreter eines größeren Feindes – des Iran.

Selbst wenn eine Abhängigkeit Amerikas – oder Europas – vom Öl nicht bestünde, fiele es Washington nicht notwendigerweise leicht, die mit ihm verbündeten arabischen Regime fallenzulassen. Denn hier stellt sich ebenfalls die Frage nach der Glaubwürdigkeit bestehender oder zukünftiger amerikanischer Bündniszusagen. Schon heute verlassen sich zum Teil autoritäre oder totalitäre Regime in Ostasien auf eine Rolle Amerikas als “Gegengewicht” zu China – nicht zuletzt Vietnam, das einen Nationalismus pflegt, der auch auf der Abgrenzung zur geschichtlichen und womöglich zukünftigen Hegemonialmacht China beruht. Ähnliches gilt – und vielleicht erst recht – für ältere direkte oder indirekte Verbündete Amerikas: Japan, die Philippinen, Südkorea oder (bedingt) Taiwan. Diese Länder werden aufmerksam beobachten, wie Amerika seine Rolle im Nahen Osten spielt, und für sich Schlüsse daraus ziehen.

Gefragt ist, zumal in Vietnam, vor allem Amerikas militärische Macht oder hard power. Aber die soft power hängt davon ab, ob Washington ein “Versprechen” halt, das der damalige Kommandant der USS George Washington im Sommer 2010 so ausdrückte: “Dieses großartige Kriegsschiff legt Zeugnis ab von der Entschlossenheit und dem Versprechen unseres Landes, dass wir immer in allen internationalen Gewässern des Pazifikraums bleiben werden, mit dem Versuch, zusammen mit allen anderen Ländern zu gewährleisten, dass es eine sehr stabile Umgebung bleibt.”

Eine Verlagerung oder Verschiebung der amerikanischen Marine zum Pazifik ist bereits im Gange: 60 Prozent der amerikanischen Kreuzer, Zerstörer, U-Boote und anderer Kriegsschiffe sollen bis 2020 im Pazifik stationiert sein, meldete das “Wall Street Journal” offenbar im Sommer 2012. Bisher verteilte sich die Navy laut dem damaligen U.S-Verteidigungsminister Panetta je zur Hälfte auf den Atlantik und den Pazifik. Hier wolle Amerika weiterhin eine pazifische Macht sein, erklärte U.S.-Präsident Obama im November 2011 im australischen Parlament.

Wirtschaftliche Gründe gibt es dafür ohnehin – schließlich bleibt die Westseite des Pazifiks ein vergleichsweise schnell wachsender Wirtschaftsraum. In der Militärakademie West Point erklärte Obama Anfang Dezember 2009:

Als Präsident lehne ich es ab Ziele zu setzen, die über unsere Verantwortlichkeiten, unsere Mittel oder unsere Interessen hinausgehen, und ich muss all diese Herausforderungen, denen unsere Nation sich gegenübersieht, abwägen. Ich habe nicht den Luxus, nur auf eine davon einzugehen. Ich bin mir sicher der Worte Präsident Eisenhowers bewusst, der – hinsichtlich unserer nationalen Sicherheit – sagte: ‘Jeder Vorschlag muss abgewogen werden im Licht einer breiteren Erwägung: der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht in und zwischen nationalen Programmen zu halten.’

In den letzten Jahren haben wir dieses Gleichgewicht verloren. Wir haben es versäumt, die Verbindung zwischen unserer nationalen Sicherheit und unserer Wirtschaft zu verstehen. Als Folge einer Wirtschaftskrise sind zu viele unserer Nachbarn und Freunde arbeitslos und ringen darum, ihre Rechnungen bezahlen zu können. Zu viele Amerikaner sind besorgt hinsichtlich der Zukunft, vor der unsere Kinder stehen. Zugleich ist der Wettbewerb in der Weltwirtschaft schärfer geworden. Wir können es uns also schlicht nicht leisten, den Preis dieser Kriege zu ignorieren.

Das Land, das er vor allem aufbauen wolle, sei Amerika selbst, so Obama – nicht Afghanistan und nicht Irak. Und Syrien vermutlich auch nicht.

Im Nahen Osten mag die amerikanische soft power – wenn man in einem so offensichtlich ökonomischen und militärischen Zusammenhang davon sprechen kann – in den letzten Wochen gelitten haben. Absolutistisch herrschende Monarchen oder ihre Untertanen können kaum zu anderen Ergebnissen kommen. Aber vielleicht erinnert man sich in vielen Teilen der Welt später auch einmal an einen Sommer, in dem demokratisch verfasste Länder einen Militärkonflikt ablehnten, obwohl ihre Exekutiven ihn wollten – vielleicht. In Großbritannien blitzte ein Möchtegern-Feldherr im Parlament ab, und in Washington wurde eine Militäraktion – mit einem nahezu unvermeidlichen anschließenden Abnutzungskrieg wie im Irak – schon vor einer Abstimmung abgeblasen.

Politisch oder ideologisch rufschädigend muss das nicht sein. Ob allerdings der von Niall Ferguson 2012 angemahnte Wiederaufbau der Institutionen auch nur in Amerika oder in Europa gelingt, ist damit keineswegs entschieden. Was Lebensqualität bedeutet, lässt sich jeweils nur zu Hause definieren – egal ob im Westen, in Russland, in China, oder auch in Syrien.

Fortsetzung hier »

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*) zitiert bei Philip Dodd, Soft Power, China, BBC World Service documentary, 26.04.2010

"Soft Power" bezieht sich auf das, was zum Image eines Landes beiträgt. Im deutschen Fall also Beckenbauer, BMW oder Goethe-Institut. Wo Stärke oder Tugend vermutet werden, erleichtern sie die Durchsetzung nationaler Interessen. Die Erkenntnis dürfte nicht neu sein, aber seit über zwanzig Jahren wird das Thema akademisch neu behandelt.

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