"Stimme Russlands": Flach wie eine Marke

Was mit Medien. Der russische Auslandsfunk verlässt seine traditionellen Verbreitungswege. Für seine postmoderne Reinkarnation sind Dmitry Kiselyov und Margarita Simonyan zuständig.

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Update: beide Abbildungen zeigen den Schuchow-Radioturm in Moskau.

Bis Ende März war sie noch verrauscht von fern zu hören: die Stimme Russlands auf Kurzwelle. Ausgestrahlt von einer Sendeanlage in Irkutsk, die ein Englischprogramm von erstaunlichen vier Stunden in Richtung Australien und Neuseeland sendete. Zielgebiete anderswo in der Welt gab es keine mehr.

Nun wurden offenbar auch die vier verbliebenen Kurzwellenstunden für Down Under gestrichen.


Die Stimme Russlands, bis 1991 bekannt als Radio Moskau, existiert damit nur noch dem Namen nach, als "Marke" des im Dezember per Präsidialdekret gegründeten Medienimperiums Russia Today, dem neben dem alten Auslandsradio auch RIA Novosti zugeschlagen wurde. Und selbst das ist eine Verlegenheitslösung: "Wir verwenden die alte Marke" - also Stimme Russlands - "einstweilen weiter, aber führende internationale Spezialisten arbeiten bereits an den neuen Marken, und sie werden bald soweit sein", zitierte die Marke, pardon, die Stimme Russlands die Chefredakteurin von Russia Today, Margarita Simonyan, am 23. März.

Ein erneuerter englischsprachiger Nachrichtendienst und ein neuer Spanischdienst würden am 1. April gestartet, so die Chefredakteurin, und ab dem 1. Juni würden diese rund um die Uhr aktiv sein.

Zusätzliche Mittel benötige das neue Russia Today nicht, betonte die Chefredakteurin: "Für all das verlangen wir kein zusätzliches Geld, was bedeutet, dass wir was optimieren müssen, um Ressourcen für etwas Moderneres zu kriegen. Wir werden aufhören, veraltete Radiosendemethoden anzuwenden, bei denen das Signal ohne Kontrolle übertragen wird und wo es unmöglich zu berechnen ist, wer wo zuhört."

Um solche Ziele ging es in allgemeiner Form bereits im Titel des Putin'schen Dekrets im März: "Über gewisse Maßnahmen zur Steigerung der betrieblichen Effektivität staatlicher Massenmedien". Das Kerngeschäft von "Russia Today" werde "in der Berichterstattung über russische Staatspolitik und das öffentliche Leben in der Russischen Föderation" bestehen, meldete die Stimme Russlands am 9. Dezember vergangenen Jahres.

Am selben Tag kommentierte RIA Novosti das Dekret zu seiner eigenen Auflösung mit einer relativ freimütigen Interpretation:

Der Schritt ist der neueste in einer Serie von Veränderungen in Russlands Nachrichtenlandschaft die auf eine Straffung der staatlichen Kontrolle im bereits stark regulierten Mediensektor hinzudeuten scheinen,

schrieb RIA Novosti und fügte hinzu:

In einem zusätzlichen Dekret das am Montag [09.12.13] veröffentlicht wurde, ernannte der Kreml Dmitry Kiselyov, einen prominenten russischen Fernsehmoderator und Medienmanager, der kürzlich in einen Skandal über Anti-Homosexuelle [Korrektur/Ergänzung: Bemerkungen] verwickelt war, zum Leiter von Russia Today. Der Chef der Präsidialverwaltung, Sergei Ivanov, sagte, die Veränderungen hätten zum Ziel, Geld zu sparen und die Staatsmedien effektiver zu machen.

Russia Today ist die englische Übersetzung für den eigentlichen, russischen Namen Rossiya Segodnya. Allerdings stehe Rossiya Segodnya offenbar nicht im Zusammenhang mit dem englischsprachigen Fernsehkanal, dessen Name ursprünglich ebenfalls Russia Today gewesen sei, so RIA Novosti.

In den letzten zwei Absätzen gab RIA Novosti noch einige Informationen über seine eigene Abwicklung hinaus:

"RIA Novosti wurde 1941 als das sowjetische Informationsbüro gegründet, zwei Tage nachdem Nazideutschland in die Sowjetunion eingefallen war, und hat heute Reporter in 45 Ländern, die Nachrichten in 14 Sprachen bereitstellen.

Vorigen Monat kaufte Gazprom-Media, das eng mit dem staatlich betriebenen Gasgiganten Gazprom verbunden ist, vom russischen Milliardär Vladimir Potanin die Kontrolle über das russische Medienunternehmen Profmedia. Im Oktober wurde Mikhail Lesin, ein früherer Kremlberater, zur Leitung von Gazprom-Media berufen."

Reuters berichtete darüber am 26. November vorigen Jahres.

Radio Moskau, langjährige Vorläuferorganisation der "Stimme Russlands", war in den 1980ern eine Supermacht im Äther. 2094 Programmstunden [Korrektur/Ergänzung: wöchentlich] soll der Auslandssender in den 1980er Jahren produziert haben, verglichen mit 1901 Programmstunden der amerikanischen Konkurrenz - Voice of America (VoA), Radio Free Europe/Radio Liberty und Radio Martí zusammengenommen.

Noch größer war die Diskrepanz in Sendeanlagen und Kilowatt gerechnet: dreihundert russischen Sendeanlagen standen laut dem "Spiegel" im März 1984 gerade einmal 110 Sender der VoA gegenüber, deren finanzielle Mittel obendrein auf nur ein Zwanzigstel des Sowjetbudgets hinausliefen.

Bis 1990 hatte sich das Blatt gewendet: die propagandabewusste Reagan-Administration hatte den Kongress zur Bereitstellung erheblicher Mittel zugunsten der VoA und anderer Auslandssender veranlasst. Mit dem Ende des Kalten Krieges allerdings ließ auch das Interesse der Regierungen an ihrer Auslandspropaganda wieder nach - auf allen Seiten.

Bei der Stimme Russlands, wie sie nun hieß, war mittlerweile aber nicht nur die finanzielle oder technische Ausstattung schwach; auch das Selbstverständnis schien gelitten zu haben. Religiöse und esoterische Organisationen aus Westeuropa lebten auf den Wellen des russischen Auslandsradios zur Untermiete und nutzten das letzte Viertel der einen oder anderen - immer noch zahlreichen - deutschsprachigen Sendestunden. Besonders würdig wirkte das für einen Auslandssender mit langer Tradition gewiss nicht. Und darüber, wie eine gelungene Berichterstattung über Russland auszusehen habe, gab es laut einer Sendung des Deutschlandfunks 2003 erhebliche Differenzen zumindest in der deutschsprachigen Redaktion der Stimme Russlands.

Der historische Lack der Eliten, den der Leiter der Europaprogramme der Stimme Russlands noch 2003 gegenüber dem Deutschlandfunk rühmte, war beim Auslandsfunk wohl endgültig ab.

So schien das auch der Kreml zu sehen. Und dass sich die russische "Radiomarke" im Rahmen des neuen Propagandaapparats noch einmal in nennenswertem wiederbeleben lassen könnte, erscheint fraglich.

Im "russischen öffentlichen Leben", über das Russia Today ja auch berichten soll, sieht das möglicherweise immer noch etwas anders aus. Auf den Amateurfunkbändern mit größerer Reichweite sind russische Funker überproporzional stark vertreten - und was Margarita Simonyan, die Chefredakteurin des neuen Megamediums, vielleicht nicht kennt oder auch ziemlich uncool fände, mag bei ihrem Vorgesetzten Dmitry Kiselyov durchaus noch auf Gegenliebe treffen: ein Amateurfunkercontest anlässlich des 80. Geburtstags Yuri Gagarins, zum Beispiel, der am 1. März begann und noch bis zum 30. April andauern soll.

Denn eigentlich ist das Internet ja eine ziemlich nicht-traditionelle Form der Propaganda.

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