Syrien und der Krieg in den Medien (11)

Weltöffentlichkeit Von dem, was Syrien eigentlich ist, haben Syrer selbst sehr unterschiedliche Vorstellungen. Für ausländische Medien ist das eine zusätzliche Herausforderung

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Syrien und der Krieg in den Medien (11)

Foto: Wathiq Khuzaie/ AFP/ Getty Images

Der frühere irakische Machthaber Saddam Hussein war medienbewusst, und ihm war während der Vorbereitungen zum Irakkrieg von 2003 offenbar klar, dass er sich international anders präsentieren musste als in seinen heimischen Medien. Im CBS-Interview 2003 präsentierte er die Idee einer global ausgestrahlten Fernsehdebatte zwischen ihm und dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush, und stellte auf Nachfragen präzise dar, wie eine solche Debatte organisiert werden könne. "Ohne Tricks, ohne Redaktionsbearbeitung, ohne vorbereitete Reden - die Menschen wollen einen live übertragenen, direkten Dialog hören."

Man darf wohl davon ausgehen, dass Husseins Vorstellung vom globalen Publikum zutraf - und dass das Weiße Haus das auch durchaus wusste, als es den Vorschlag als "nicht ernsthaft" ablehnte.

Die Sprache, über die Saddam verfügte, war allemal stärker als die Macht der Waffen, die ihm zur Verfügung standen. Trotzdem machte der irakische Präsident seinen Vorschlag allenfalls von einer Position relativer (medialer) Stärke aus.

Das Transkript lässt vermuten, dass allein schon das CBS-Interview vor allem am Anfang außerordentlich holprig verlief - zum einen benötigten CBS-Anchor Dan Rather und Saddam Hussein einen Dolmetscher, und zum anderen gab es laut CBS bei der Aufnahme der Sendung durch irakische Fernsehtechniker laut CBS in der Aufnahme Abschnitte, "in denen zwei Leute auf einmal redeten".

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Ganz Ohr (Archiv)

Der syrische Präsident hingegen kommunizierte in der älteren und jüngeren Vergangenheit mehrfach per Fernsehinterview mit der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit - unmittelbar auf Englisch. Dass Baschar al-Assad dabei nicht gerade die Aura Ronald Reagans umgîbt, und dass er auf ein westliches Fernsehpublikum im Gegenteil eher wirkt wie ein höflicher, zurückhaltender Mann mit starken Nerven, der früher auf dem Schulhof offenbar eine schwere Kindheit hatte, schadet in diesem Zusammenhang nicht. Im Gegenteil: mochte ein nordamerikanischer oder europäischer Fernsehzuschauer Saddam im Jahr 2003 so ziemlich alles Böse zutrauen (Massenvernichtungswaffen inklusive), so tritt Assad auf wie ein Angehöriger der westlichen Eliten - und eben das waren er und seine Familie ja vor seiner syrischen Präsidentschaft ja auch gewesen. Die Macht der Bilder ist bei solchen Gelegenheiten auf Assads Seite. Wohl niemand käme auf den Gedanken, Assad träume - wie angeblich Hussein - davon, ein neuer Saladin zu werden.

Irak verfügte vor zehn Jahren kaum noch über Propagandamittel. Radio Baghdads Kurzwellensendungen für Europa waren nach dem Kuwait-Krieg 1991 nur noch unregelmäßig und schwach zu hören, und bei dem, was es dort auf Englisch zu hören gab,handelte es sich offenbar traditionell überwiegend um Wiedergaben dessen, was auch auf Arabisch gesagt wurde. Auf das spärliche westliche Publikum wird das keinen großen Eindruck gemacht haben.

Deutlich eloquenter, aber in technisch seit vielen Jahren schlechter Qualität, trat bis Ende 2012 oder Anfang 2013 der Auslandsdienst des syrischen Rundfunks, Radio Damaskus, auf Kurzwelle auf. Und seit die Kurzwellenfrequenz ausfällt, offenbar, weil die Radiotechniker aus der Hauptstadt den Weg zum nordöstlich der Hauptstadt gelegenen Sender in Adra nicht mehr sicher zurücklegen können, bleibt dem Auslandsrundfunk immer noch das Internet: die jeweils neuesten englischsprachigen und deutschsprachigen Podcasts werden meistens binnen 24 Stunden online zur Verfügung gestellt.

Aber nicht nur das Weiße Haus im Jahr 2003; auch europäische Behörden im Jahr 2012 schätzten die Verbreitung von Botschaften aus erklärten oder unerklärten Feindstaaten offenbar nicht sonderlich. Am 22. Oktober wurden laut syrischer Regierung Fernsehprogramme des Landes von der Übertragung über den Satelliten Hotbird ausgeschlossen, im Rahmen von Sanktionen der Arabischen Liga und der Europäischen Union. Betroffen davon war oder ist laut dem Medienmagazin "DX Aktuell" auch Radio Damaskus.

Zeitungen zu verbieten oder Funk und Fernsehen abzuschalten ist Zensur, schrieb Karin Leukefeld, freie Korrespondentin unter anderem der Tageszeitung "Neues Deutschland", Anfang November 2012. Es sei

den Golfstaaten, Europa und den USA - trotz schwerer medialer Geschütze und Überflutung rund um die Uhr - offensichtlich nicht gelungen, die Welt, geschweige denn alle Syrer von ihrer Botschaft zu überzeugen.

Wahrgenommen allerdings werden die offiziellen syrischen Medien in Deutschland vermutlich noch weniger als der heimische Auslandssender "Deutsche Welle". Und entsprechend werden sie im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk - wenn überhaupt - wahlweise als langweilig oder kurios dargestellt. An einem internationalen Kurzwellenmaßstab wird Radio Damaskus dabei nicht gemessen: trockene, politisch einseitige oder mehr oder minder lange Wortstrecken sind wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal des syrischen Auslandsfunks.

Syrien ist ein den meisten Europäern und Deutschen sehr fremdes Land - was allerdings für die meisten oder für alle Länder der Welt zutreffen dürfte. Ein Behelf ist in solchen Fällen die eigene Weltsicht: mehr oder weniger offensichtliche Standards des Völkerrechts, ethische Begriffe oder persönliche Vorlieben oder Ressentiments. Argumentiert wird mit humanitären, "nationalen", "strategischen" oder irgendwie "europäischen" Interessen, wobei das in Deutschland schon insofern ein Witz ist, als zum Beispiel Griechenlands oder Spaniens Probleme auf ähnlich wenig Interesse stoßen wie Syriens vor fünf bis zehn Jahren. Die Ursachen des Syrienkonflikts werden überwiegend mit Faktoren erklärt, die außerhalb Syriens liegen.

Unter dem Aspekt, dass der Krieg neben vielem anderen auch oft die Wahrheit begräbt, stellt sich damit die Frage, wo eigentlich einigermaßen glaubwürdige Nachrichtenquellen zu finden sind. Mit der Vielfalt an offiziellen und inoffiziellen syrischen Webseiten, mit Informationen der zersplitterten syrischen Opposition oder Blogs, die ebenfalls keinen Anspruch auf professionell-integre Berichterstattung erheben können, scheint sich mir am ehesten die BBC zu eignen, und innerhalb der BBC-Gruppe insbesondere der World Service.

Darüber, ob die BBC nach ihren Konflikten mit der früheren Blair-Regierung während des Golfkriegs vor zehn Jahren und nach einer Reihe von Budgetkürzungen in den Jahren seit dem Beginn der Wirtschaftskrise noch von gleichbleibender Qualität ist, lässt sich streiten, und ein "Traitorama", wie es dem Sender 1982 für seine Berichterstattung über den Falklandkrieg von dem britischen Cartoonisten Michael Cummings gewidmet wurde, hat die Welt seitdem wohl noch nicht wieder gesehen.

Aber verglichen mit hiesigen öffentlich-rechtlichen Medien darf man den britischen Traditionssender durchaus als eine Quelle betrachten, die unterschiedliche Konfliktparteien zu Wort kommen lässt - und bei kritischen Fragen immer noch häufiger nachhakt als die meisten (oder alle?) deutschen Presseerzeugnisse, nicht zu reden von den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien.

Ebenfalls vergleichsweise empfehlenswert scheinen Blogs von Arabisten zu sein. Man mag ihnen anlasten, dass sie zu wenig Insider des Konflikts sind, oder sogar, dass sie es zu sehr sind; sie haben aber einen unschätzbaren Vorteil gegenüber den meisten anderen Quellen: sie haben einen kulturellen und sprachlichen Zugang sowohl zu Syrien als auch zu ihrem westlichen Publikum. Der amerikanische Arabist und Blogger Joshua Landis ist für mich in den letzten rund sieben Jahren zu einer Quelle über Syrien geworden, auf die ich als Leser ungern verzichten würde.

Und da liegen für mich letztlich auch die Grenzen meiner eigenen Möglichkeiten, die Konflikte in Syrien zu verstehen. Die Grenzen meiner Sprache definieren zwar nicht unmittelbar die Grenzen meiner Welt, aber sie beeinflussen ihren Verlauf vermutlich stärker als jeder andere Faktor.

Mit dieser Reihe über Syrien und den Rest der Welt versuchen JR und Tai De, sich einen besseren Überblick über den Konflikt und seine Einflussnehmer zu verschaffen.

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» Chinas Diplomatie, 20.09.13

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