Syrien und der Rest der Welt (10)

Chinas Diplomatie "Was macht eigentlich China?", könnte man, einer "Stern"-Serie über verschollene Prominente folgend, fragen, wenn man nach Spuren Beijings im Syrienkonflikt sucht

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Syrien und der Rest der Welt (10)

Foto: Lintao Zhang/Getty Images

China hat einen Sonderbeauftragten oder Sonderbotschafter für den Nahen Osten. Sein Name ist Wu Sike. Und wenn er auch bis heute nicht viel weithin Sichtbares für den örtlichen Weltfrieden ausgerichtet hat, so kann man immerhin behaupten, dass er sich vor seinem amerikanischen Kollegen George Mitchell nicht zu verstecken braucht.

Wus Lebenslauf ist recht repräsentativ für die Entwicklung der chinesischen Diplomatie an sich: letztere gibt es zwar schon seit 1949; auf der Bühne der Vereinten Nationen trat sie aber erst in den 1970er Jahren auf. Damals begann auch Wus Laufbahn als Diplomat.

Wu Sike, geboren 1946, hatte in der Mittelschule kein Englisch gelernt. Das für ihn auf die Mittelschulprüfung folgende Fremdsprachencollege sah darin ein zu großes Defizit für weitere Englischstudien und teilte ihn Mitte der 1960er Jahre für ein Arabischstudium ein, damit er „ganz von vorne“ anfangen könne, schrieb das Karrieremagazin „China-Talent“ in einem Portrait des chinesischen Nahostbeauftragten.

Sein Bildungsweg lief einstweilen aus dem Ruder, als die Kulturrevolution begann. Glück im Unglück habe der angehende Diplomat allerdings insofern gehabt, als China 1971 „seinen rechtmäßigen Platz in den Vereinten Nationen wieder einnahm“ und Staatsratschef Zhou Enlai auf ein intensiviertes Training der Diplomatie-Kader großen Wert legte. Von mehreren Dutzend dafür ausgewählten Studenten wurden fünf an die chinesische Botschaft in Baghdad abgeordnet, wo sie den Status von Studenten an der Baghdader Universität erhielten. 1973 kam Wu erstmals als Mitarbeiter an die chinesische Botschaft in Ägypten.

Von den „alten, revolutionären Botschaftern“ habe er viel gelernt, zitiert ihn „China Talent“. „Botschafter Yao Guang sagte uns immer: „Ihr arbeitet an der ägyptischen Botschaft, aber bei euren Analysen müsst ihr nicht nur Ägypten im Auge haben, sondern auch daran, wie andere Leute denken. Ihr müsst im Auge behalten, wie Amerika und die UdSSR denken.“

Die Übernahme des Botschafterpostens in Riyadh vor zehn Jahren sei eine große Umstellung gewesen: zum erstenmal habe er es mit einer – obendrein sehr religiösen – Monarchie zu tun gehabt. Besonders mit dem Innenminister und mit dem Kronprinzen habe er jedoch eine Freundschaft aufgebaut. Seine Arabischkenntnisse, aber auch Koranstudien seien ihm dabei sehr zugute gekommen, zitiert "China Talent" Wu Sike: man müsse verstehen, dass jedes Land auf bestimmte Dinge, die es ausmachten, besonders stolz sei.

Während seiner Botschafterzeit in Saudi-Arabien habe er aktiv die Zusammenarbeit in der Erdölförderung vorangetrieben, und mit einer fortschrittlichen chinesischen Fördertechnik habe er dabei gute Argumente auf seiner Seite gehabt, und saudische Unternehmen begannen, als Ko-Investoren in China aufzutreten.

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Auf allen Straßen in Syrien - chinesischer Kleinlaster

Aber auch Syrien war in den vergangenen Jahren ein wichtiger Absatzmarkt für chinesische Güter, von Haushaltswaren bis hin zu Nutzfahrzeugen. Über 50.000 Kraftfahrzeuge soll China 2006 nach Syrien exportiert haben. Das Straßenbild in syrischen Städten sieht in dieser Hinsicht ganz anders aus als das deutsche, auch wenn ein syrischer Autohändler einen Reporter der Online-Zeitung sina.com vor acht Jahren wissen ließ, chinesische Autos täten manchmal überraschende Dinge: „Dort drüben wurde eins ausgestellt – wenn du seine Vordertür zumachtest, ging die hinten auf, ganz automatisch.“

Vor seiner Ernennung zum Nahost-Beauftragten war Wu unter anderem Botschafter in Saudi-Arabien (2000 - 2003) gewesen, sowie Vertreter Chinas bei der Arabischen Liga (2003 - 2007).

Zu jeder diplomatischen Vertretung gehört die Wirtschaftsförderung im Interesse des eigenen Landes. In der chinesischen Berichterstattung tritt dieses Interesse in etwa gleichrangig mit politischen auf – auch wenn Foristen, die sich zu Reaktionen veranlasst sehen, überwiegend die Rolle von Armstuhl-Generälen spielen. Aber auch in der Diplomatie spielt die Politik nicht die zweite Geige nach der Wirtschaftsförderung: zum einen geht es Beijing um die „Ein-China-Politik“, also um die Anerkennung der „Tatsache“, dass Taiwan ein unverbrüchlicher Teil chinesischen Territoriums sei und zwischenstaatlich nicht formell anerkannt werden dürfe. Zum anderen aber sind Handelswege ein Politikum – die KP Chinas ist beunruhigt davon, bei der Sicherung der Handelswege weltweit nur am Rande mitzureden und mitzuwirken – vergleichsweise intensiv geschieht das zum Beispiel am Horn von Afrika. Und die seit zwölf Jahren in zunehmendem Tempo auftretenden arabischen Revolutionen – zivilgesellschaftlich oder islamistisch – stellen unter jedem dieser Aspekte ebenfalls eine Herausforderung für die Legitimität der Partei dar, und das nicht zuletzt nach innen, gegenüber dem chinesischen Volk.

In zwei dieser Punkte kann sich die chinesische Politik etwas zurücklehnen, beziehungsweise sich neu orientieren. Nach allem, was sich oberflächlich – in persönlichen Gesprächen mit Chinesen oder beim Lesen (zensierter) chinesischer Kommentarthreads wahrnehmen lässt, glauben viele oder auch die meisten Chinesen an eine unmittelbare Bedrohung Chinas durch den Westen, insbesondere Amerika und Japan. Hier befindet sich die Propaganda also auf einem vielversprechenden Weg, auch wenn die Zensur sich im Umgang mit dem Begriff „Jasmin“, der ja auch in der chinesischen Folklore eine Rolle spielt, zunächst offenbar schwer tat. Und Taiwan fällt mittlerweile als Handelspartner zwar technologisch durchaus noch ins Gewicht, spielt aber nicht (mehr) in Chinas Liga.

Was bleibt, ist die Teilnahme am unerklärten fernöstlichen Wettrüsten, und die Sicherung der chinesischen Handelsschifffahrt. Es waren und sind gerade westliche Aggressionen wie der Irak-Krieg 2003 oder der verdeckte Krieg des Westens gegen Syrien, die der chinesischen Propaganda beste Argumente zur Rechtfertigung dieser Militärprogramme liefern. „Eine starke Armee“ ist eins der drei in China am häufigsten zitierten Slogans des neuen Partei- und Militärchefs Xi Jinping.

Ein weiterer politischer Aspekt, der die chinesischen Beziehungen zu Arabien prägt, ist das nordwestchinesische Xinjiang-Territorium (auch bekannt als Ost-Turkestan). Die ursprüngliche Kultur dort ist islamisch, und wie alle anderen Religionen auch beansprucht die KP ein Primat über den Islam in China.

Diese Verbindung zwischen inländischer Religionspolitik und der Außenpolitik ist entsprechend auch ein Anliegen Wu Sikes: „Islamische Länder, von ihren Regierungen bis zu ihren Völkern, verstehen und unterstützen die Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Aufrechterhaltung der Stabilität“, erklärte Wu im August 2009 in Beijing, nach einer Reise, die ihn nach Katar, Algerien, Syrien und Iran geführt hatte. Der Kontext dazu waren Unruhen, die Anfang Juli in Xinjiangs regionaler Hauptstadt Ürumqi ausgebrochen waren.

Für die syrische Regierung traf Wus Einschätzung sicherlich weitgehend zu – wenn nicht gar eins zu eins. In umgekehrter Richtung allerdings machte eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums schon im Oktober 2011 Äußerungen, die sich als vorsichtige Kritik – oder wahlweise als Ermutigung – an die syrische Regierung lesen ließen: China hoffe, alle Seiten in Syrien würden größtes Gewicht auf die Interessen des Staates und des Volkes legen, Gewalt ablehnen, Zusammenstöße und Blutvergießen vermeiden, dass alle Seiten ihre Differenzen mit im Dialog und friedlichen Mitteln lösen würden, um so den Konflikt beizulegen, und dass die syrische Regierung aktiv die von ihr versprochenen Reformen umsetzen und auf die legitimen Forderungen des Volkes antworten solle.

Ebenfalls im Oktober 2011 besuchte Wu Sike erneut Syrien – unter deutlich schwierigeren Umständen als gut zwei Jahre zuvor. Noch im Januar des Jahres war die Rede von Beziehungen nicht nur zwischen den chinesischen und syrischen Regierungen, sondern auch zwischen den jeweils diktatorisch regierenden Parteien gewesen. Inzwischen führt das chinesische Außenministerium auch mit moderaten syrischen Oppositionellen – gleichwohl lobte die Medienberaterin Assads, Bouthaina Shaaban, am 15. August 2012 China für seine prinzipienfeste Position hinsichtlich der Syrienfrage, drückte allerdings auch die Hoffnung aus, China werde diese Position auch weiterhin vertreten. Das verstand sich für sie offenbar nicht von selbst. Und eine Interviewfrage danach, ob die syrische Armee „in einem kritischen Moment“ biologische oder chemische Waffen einsetzen werde, hatte sie ebenfalls zu beantworten.

Das Bild, das die chinesische Presse von Syrien zeichnet, ist das eines Landes, gegen das Unrecht verübt wird. Das bedeutet Sympathiepunkte für Damaskus, denn als ein Land, dem das in der Vergangenheit ähnlich ging, sieht sich auch China selbst – und das bezieht sich keineswegs nur auf die Geschichte des Landes bis zur „Reform und Öffnung“ seit 1978:

Berichten zufolge konnte China immer auf syrische Unterstützung zählen, wenn es in der internationalen Arena ungerecht behandelt wurde, schrieb die Parteizeitung „People’s Daily“ am 11. September. Die vergleichsweise nationalistische, ebenfalls staatseigene „Huanqiu Shibao“ allerdings ließ einen Akademiker auch differenzieren: China habe in Syrien keine große Interessen, so der Außenpolitikexperte Li Shaoxian.

Eine solche Linie allerdings, so Kerry Brown, Professor für chinesische Politik an der Universität Sydney, könne Beijing kaum mehr durchhalten:

Chinas wirtschaftlicher und diplomatischer Einfluss ist beträchtlich und kann nicht so leicht ignoriert werden. Es ist fast sicher, dass es in den Jahren, die vor uns liegen, gezwungen sein wird, eine Position zu Angelegenheiten einzunehmen, die es zuvor als außerhalb seiner Interessenssphäre abgelehnt und für seine Belange irrelevant erklärt hätte.

Beijing dürfte das anders sehen. Selbst diejenigen Chinesen, die vielleicht ganz gern eine wichtigere Rolle spielen würden, werden vermutlich von einem Politbüro kurzgehalten, das außenpolitischen Fragen – von strategischen einmal abgesehen – wenig Bedeutung beizumessen scheint.

Wu Sike beantwortete Browns Herausforderung im Grunde schon vor zwei Jahren.

Was verstehen Sie darunter, China solle sich bedeckt halten und seine Zeit abwarten*), wurde er in einem Interview gefragt.

Diese Bescheidenheit sei kein Provisorium, antwortete Wu:

China muss aktiv seine Verjüngung [eine stehende Redewendung für den Wiederaufstieg zu alter Größe] verwirklichen, für eine weitere lange Zeit Anstrengungen machen, und in diesem Prozess müssen wir stets bescheiden und vorsichtig sein, die Stärken anderer lernen, und während wir uns wirtschaftlich entwickeln, müssen wir unsere Entwicklungsmuster ändern, wissenschaftliche Entwicklung erreichen, und selbst wenn China sich stark entwickelt hat, müssen wir eine friedliche Politik aufrechterhalten. Das ist im grundlegenden Interesse des chinesischen Volkes und stimmt mit den Interessen der Völker der Welt überein.

Der Syrienkonflikt wird zuallererst von Prestigefragen bestimmt. Hier hat Moskau erheblich stärker investiert als Beijing, und von daher auch sehr viel mehr zu verlieren als die von Anfang an „gesichtsbewusstere“ chinesische Führung.

Chinas Diplomatie profitiert von einem erheblichen russischen Windschatten. Und dies ist ein Muster, dem Beijing immer wieder folgt; zuletzt im Frühjahr behielt es eine außerordentlich heiße Kartoffel – Edward Snowden – nur für wenige Tage in seiner indirekten Hongkonger Hand, bevor es den unbequemen Gast nach Moskau weiterreisen ließ.

Dort hält Snowden sich auch jetzt noch auf. China sucht indessen eine neue Form der Beziehung zwischen den Großmächten. Ob aus Beijinger Sicht auch Russland zu diesen Großmächten gehört, muss wohl offen bleiben: der Schlüssel zur globalen Zukunft seien die chinesisch-amerikanischen Beziehungen, ließ die englischsprachige „China Daily“ am Mittwoch ihre Leser wissen. Sie gab damit offenbar die Sicht einer Reihe ranghoher Politiker und Diplomaten wieder: amerikanische und chinesische.

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*) Eine nicht selten verwendete Übersetzung der Dengschen Devise ist die, China möge sein Licht unter den Scheffel stellen und den rechten Moment abwarten.

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Fortsetzung » hier.

In einer unregelmäßig fortgesetzten Serie tragen JR und Tai De zusammen, was sie über Syrien und die direkten und indirekten Konfliktparteien wissen oder in Erfahrung bringen können.

Voriger Teil: Syrien als Bündnisfall (nicht gekennzeichneter Teil 9 der Serie).

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Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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