Zwischen zwei Neujahrsfesten

China und Tibet. Am 31. Januar feierten Han-Chinesen den Beginn eines neuen Jahres. Morgen feiern die Tibeter.

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Für die Han-Chinesen ist das seit vier Wochen laufende Jahr das Jahr des Pferdes; gleiches gilt für das ab morgen für die Tibeter laufende neue Jahr. Die zeitliche Nähe der tibetischen, uighurischen, mongolischen und chinesischen Neujahrsfeiern zueinander könnte als ein verbindendes Element zwischen den Nationalitäten oder Nationen gesehen werden.

Verbindungen lassen sich allerdings nur dann würdigen, wenn die Staatsmacht nicht versucht, die Unterschiede oder Differenzen zwischen den Nationalitäten gewaltsam oder manipulativ zu nivellieren. Bemerkungen des 14. Dalai Lama auf einer Versammlung der Tibetischen Vereinigung Südkaliforniens am Donnerstag liefen vermutlich auf eine Kritik einer solchen Politik hinaus:

Wo immer wir sind sollten wir nicht vergessen, dass wir Tibeter sind. Etwa einhundertfünfzigtausend von uns sind im Exil, aber am wichtigsten ist, dass der Geist derjenigen in Tibet lebendig bleibt. Sie sind die Chefs [oder Meister]. Und um ihrer Hoffnungen willen, die sie in uns gesetzt haben, müssen wir unsere Sache am Leben erhalten.

Am Sonntag feiert der Dalai Lama in Minnesota mit dort ansässigen Tibetern das tibetische Neujahrsfest. Der mediale Höhepunkt seiner Amerikareise sind allerdings nicht seine Kulturarbeit, sondern ein protokollarisch tiefgehängtes Treffen mit Präsident Obama. Aber "low-key" oder nicht: auch Versicherungen des Weißen Hauses, man unterstütze keine tibetische Unabhängigkeit von China hielten die chinesische Zentralregierung nicht von den in solchen Fällen üblichen Protesten ab.

Nach innen wurden in China - zumindest teilweise - ruhigere Töne angeschlagen.

Erst wenn der Westen die Unvermeidlichkeit eines starken Chinas einsieht, und wenn er einsieht, dass es nur ein "schöner Traum" ist, Tibet und Xinjiang von China trennen zu können, und wenn er einsieht, dass es im Interesse des Westens ist, Beziehungen mit China zu sichern und zu entwickeln, mag das den Westen zu einer Änderung seines Denkens veranlassen,

schrieb Zhu Weiqun, Vorsitzender des Ausschusses für ethnische und religiöse Angelegenheiten der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, in einem zuerst am 19. Februar auf vtibet.com veröffentlichten Artikel.

Es gibt han-chinesische Dialogversuche mit der "Dalai-Clique" (halboffizielle chinesische Bezeichnung für die Exilregierung in Dharamsala, bzw. generell mit Exiltibetern. Diese Versuche werden allerdings aus Dissidentenkreisen unternommen, also praktisch vom Rand der Han-Gesellschaft.

Offiziele Verhandlungen zwischen Dharamsala und Beijing - wenn sie denn stattfinden - werden von beiden Seiten vermutlich nur zu dem Zweck (immer wieder) aufgenommen, nicht als diejenigen dazustehen, die sich einem "Dialog" verweigern.

Und so bleibt es beim Kampf um die Deutungshoheit über das, was tibetisch sei und was nicht - ein Kampf, in dem die Nicht-Tibeter die mächtigeren Beteiligten sind.

Darauf allerdings, einen möglichen 15. Dalai Lama besser kontrollieren zu können als den jetzigen 14., darf Beijing sich nicht verlassen. Als "Sohn Indiens" bezeichnete sich der Dalai Lama um die Jahreswende 2009/2010. Im September 2011 fügte er hinzu, er werde "nicht in Tibet wiedergeboren", so lange Tibet nicht frei sei. Im Alter von etwa 90 Jahren werde er "nach Konsultationen" Entscheidungen über die Institution des Dalai Lama treffen.

Hier gehen Religion und Politik direkt ineinander über. Auch amtlich-atheistische Parteifunktionäre werden zu Religionsexperten. Dass der Dalai Lama den Reinkarnationsprozess auf seine Weise bestimmen wolle sei "Blasphemie", beschied ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums auf einer Pressekonferenz am 26. September einen Reporter.

In den zentralen Entscheidungsfindungen hat - aus Beijinger Sicht - die Zentralregierung das letzte Wort, und für die religiöse Detailarbeit - Riten inklusive - eine State Administration for Religious Affairs (SARA).

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Update, 02.03.14, 20:40

Augenzeugenberichte Kunming via BBC. Auffallend ist die relativ leichte Bewaffnung der mutmaßlichen "Separatisten". Die nationalistische Zeitung "Huanqiu Shibao" schrieb am 2. Juli 2013 in einem Artikel über die staatlich propagierten fünf Furchtlosigkeiten,

die Ressourcen der Terroristen sind gering. Sie haben kaum Zugang zu militärischer Bewaffnung oder zu starken Sprengstoffen. Ihre hauptsächlichen Werkzeuge zum Begehen ihrer Verbrechen sind Hackmesser. Sie können die Fundamente der Stabilität in Xinjiang nicht erschüttern; die generelle Situation ist unter Kontrolle, die normale wirtschaftliche Entwicklung ist real, und die Chancen, erfolgreich Straftaten zu begehen bleiben im allgemeinen sehr gering. Diese Realität und diese Erscheinung in Xinjiang ist, mit weltweiten Maßstäben gemessen, "normal". Solche Dinge passieren in einer modernen und florierenden Gesellschaft.

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Mehr zum Thema

Kunming attack, 02.03.14
Lhakar Diaries, 18.12.13
Self-immolations, 21.05.13

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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