Plädoyer für einen Systemwechsel

Rentenreform Die deutsche Altersversorgung basiert auf der von Bismarck eingeführten Rente. Dem steht das "System Beveridge" gegenüber, das vor allem in Skandinavien angewendet wird

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Im Jahr 1889 wurde von Reichskanzler Otto von Bismarck eine gesetzliche Rentenversicherung für Arbeiter eingeführt. Wer 30 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hatte, erhielt ab einem Alter von 70 ein staatliches Ruhegeld. Dabei richtete sich die Höhe der Rente grundsätzlich nach den entrichteten Beiträgen.

Im Jahr 1942 forderte der britische Ökonom William Henry Beveridge eine staatliche Absicherung für alle finanziell bedürftigen Menschen, also eine Art Grundeinkommen. Für die Rentnergeneration bedeutete dieser Vorschlag einen Anspruch auf eine Basisrente in existenzsichernder Höhe - auch wenn zuvor keinerlei Beitragszahlungen erfolgten.

Diese beiden verschiedenen Ansätze haben dazu geführt, dass sich in Europa zwei unterschiedliche Rentenmodelle gegenüberstehen; der Kontinent ist seit Jahrzehnten in Sachen Alterssicherung gespalten. So präferieren Staaten wie zum Beispiel Schweden, Dänemark, Finnland oder die Niederlande das „System Beveridge“. Dabei wird die Basisrente prinzipiell um eine verpflichtende Betriebsrente als zweite Säule ergänzt, um den Lebensstandard zu erhalten. Staaten wie Deutschland, Frankreich, Belgien oder Spanien wiederum orientieren sich am „System Bismarck“, das auf einer einkommens- und beitragsabhängigen Rente basiert. Betriebsrenten haben in diesen Staaten eine geringere Bedeutung. Staatliche Zuschüsse für eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge hingegen sind systemunabhängig und können als dritte Säule bei beiden Ansätzen vorgefunden werden.

In einer Studie mit dem Titel „Beveridge statt Bismarck!“ hat Traute Meyer, Wissenschaftlerin an der University of Southampton, die beiden unterschiedlichen Modelle analysiert. Demnach haben sich die Beveridge-Staaten in den letzten Jahren als solider erwiesen. Dies gilt vor allem bei der Vermeidung von Altersarmut sowie für die Situation der Frauen. Gleichzeitig prophezeit Traute Meyer dem „System Beveridge“ eine bessere Zukunft in Sachen Finanzierbarkeit. Den Beveridge-Prinzipien folgend sollte auch in Deutschland eine Basisrente sowie eine verpflichtende Betriebsrente eingeführt werden. Eine kapitalgedeckte private Rente war nicht Gegenstand der Studie.

Die Überlegungen von Traute Meyer können durchaus als überzeugend angesehen werden. Denn ein „System Beveridge“ ist armutsfest und zukunftssicherer, weil sich alle Menschen solidarisch an der Finanzierung der Rente beteiligen. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, die durch eine zunehmende Alterung der deutschen Gesellschaft geprägt ist, wird die Finanzierbarkeit einer menschenwürdigen Rente zu einer zentralen Herausforderung.

Freilich wäre ein Systemwechsel in der Bundesrepublik nicht von heute auf morgen zu realisieren, sondern ein sehr langwieriger Prozess. Und in der Übergangszeit würden erhebliche Gelder benötigt. Denn die jetzigen Rentenzahlungen unterliegen der Eigentumsgarantie gem. Art. 14 Grundgesetz. Demgegenüber müsste eine Grundrente zügig eingeführt werden, um Altersarmut so schnell wie möglich zu vermeiden.

Was die aktuell von der Großen Koalition auf den Weg gebrachte Rentenreform betrifft, so sollte dieses Vorhaben gestoppt werden. Dies gilt vor allem für die von der CDU geforderte „Mütterrente“ sowie für die von der SPD gewünschte „Rente mit 63“. Man kann vermuten, dass es sich dabei um Klientelpolitik handelt: die CDU verwirklicht ihre familienpolitische Weltanschauung und die SPD will die Facharbeiter stärken.

Insgesamt werden die Kosten für die gesamte Rentenreform bis zum Jahr 2030 auf etwa 160 Mrd. Euro geschätzt. Diese Summe kann besser in einen grundlegenden Systemwechsel investiert werden, damit die Rente der Zukunft solider und humanitärer ausgestaltet sein wird.

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