Wie viele Frauen und Männer erkranken an welcher Form von Krebs: Der aktuelle Bericht „Krebs in Deutschland“ gibt Aufschluss
Infografik: der Freitag, Material: fotolia
Das Zählen, schrieb die amerikanische Literatin Gertrude Stein vor 75 Jahren, sei die Religion ihrer Generation – es sei ihre Hoffnung und Erlösung. Und obwohl seit dieser Feststellung in Jedermanns Autobiografie viele Generationen einander abgelöst haben, scheint sich daran nicht viel geändert zu haben. Vor allem wenn es um die Bekämpfung einer sehr hässlichen Krankheit geht.
Ganze 40 Jahre nachdem Präsident Richard Nixon in den USA erstmals einen „War on Cancer“ ausrief und gut vier Jahre nach dem Beschluss eines Nationalen Krebsplans durch die Große Koalition soll der „Kampf gegen den Krebs“ auch in Deutschland jetzt – tatsächlich – beginnen. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zeigte sich vergangene
gte sich vergangene Woche glücklich, einen Gesetzesentwurf durch das Kabinett gebracht zu haben, der, sofern er verabschiedet wird, zweierlei voranbringen soll: die Früherkennung besonders häufiger Krebsarten als zentrale Säule des Nationalen Krebsplans. Und ein flächendeckendes Register, das klinische Daten über Therapien und Therapieverläufe von Krebspatienten sammelt.Vor allem der zweite Punkt, ein umfassendes Krebsregister, wirkt so einleuchtend wie vielversprechend: Wenn man wüsste, wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich an einer bestimmten Krebsart erkranken und wie sich Früherkennung und bestimmte Behandlungsoptionen auf die Lebenserwartung der Betroffenen auswirken, wäre das zwar nicht das Ende der Krankheit selbst. Es ermöglichte aber einen scheinbar rationaleren, systematischeren Umgang mit Krebs.http://img193.imageshack.us/img193/1702/frauen445.jpgZahlen aus dem aktuellen Bericht „Krebs in Deutschland“: Die Prozente geben den Anteil der jeweiligen Krebsart an den Neuerkrankungen an. Weitere Zahlen unter krebsdaten.de (alle Infografiken: der Freitag, Material: fotolia)Was simpel erscheint, und nun greifbar. Doch ganz so einfach ist die Sache mit „dem Register“ nicht. „Eines Tages können wir vielleicht einfach von einem Krebsregister sprechen“, sagt Klaus Kraywinkel, der das Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin leitet. „Derzeit gibt es aber noch zwei verschiedene Arten von Registern, mit unterschiedlichen Fragestellungen und Auswertungszielen.“ Internationaler Standard sind epidemiologische Krebsregister: Sie bestimmen wichtige Ziffern in Bezug auf die Bevölkerung und deren Wohnort. Wie viele Menschen erkranken jährlich an Krebs, wie lange überleben sie nach der Diagnose, in welchen Bundesländern sind welche Krebsarten wie häufig – wer stirbt in welchem Alter an der Krankheit?Solche Register gibt es auch in Deutschland schon lange, und zwar auf Landesebene. Das älteste ist das 1929 gegründete Hamburger Krebsregister als weltweit erstes Register seiner Art, als umfassendstes gilt das Gemeinsame Krebsregister von Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen, das sich auf das nationale Krebsregister der DDR stützt. Aus diesen Daten berechnet das Robert-Koch-Institut gemeinsam mit der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister e.V. im Zweijahrestakt die bundesweiten Erkrankungsraten und Krebstodesziffern (Krebs in Deutschland).http://img833.imageshack.us/img833/3480/maenner445.jpgSeit 1994 ist die Führung der Register bereits gesetzlich geregelt, erst vor drei Jahren wurde im Krebsregisterdatengesetz erneut die Vereinheitlichung und zentrale Zusammenführung aller Landesregister bestimmt. Unter anderem, um „die Wirkung der Früherkennung besser bewerten zu können“, wie die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt versprach. Oder gegebenenfalls auch, um regionale Häufungen von Krebserkrankungen zu prüfen – etwa in sozial schwachen Gebieten und in der Nähe von Kernkraftwerken, wie es jüngst auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gefordert hat.Zuerst Qualität sichernDie nun angekündigten flächendeckenden klinischen Register haben mit diesen Zielen nichts zu tun. Sie verfolgen eigene Absichten und gehen dabei auch einen eigenen Weg. Das ist schon daran ersichtlich, dass die Registerdaten nicht wohnort-, sondern klinikbezogen erhoben werden. Es gibt auch keine zentrale Sammelstelle, die die Daten auswertet. Und selbst wenn die klinischen Register auch jene Daten sammeln, die die epidemiologischen erheben – unter anderem Geschlecht, Alter, Wohnort, Zeitpunkt der Diagnose, Tumorstadium, Primärtherapie und Todeszeitpunkt – und ihnen daher das Potenzial für den stastistische Überblick innewohnt, werden sie weder der zentralen Übersicht noch der regionalen Überwachung dienen.Sie zielen auch nicht zuerst auf die Bewertung von Früherkennungsmaßnahmen, wie sie im neuen Gesetzesentwurf geplant sind, und genauso wenig auf die wissenschaftliche Analyse. „Es geht bei den klinischen Registern in erster Linie um Qualitätssicherung“, erklärt Kraywinkel. Werden die Leitlinien befolgt? Treten Metastasen auf? Welche Therapieoptionen zeigen Erfolg? So sehen die Fragen aus, und so sollen sie mit Bezug auf die behandelnde Einrichtung beantwortet werden. „Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe“, sagt Kraywinkel.Ob sie Erfolg hat, wird man nach Ansicht des Wissenschaftlers erst nach vielen Jahren wissen – manche Erwartungen könnten sich dann auch als überzogen erweisen, vor allem, wenn es um eine „beste Therapie“ geht. Ältere klinische Register haben zwar gezeigt, dass etwa die schmerzhafte Entfernung von Lymphknoten bei Patientinnen mit Brustkrebs nicht in jedem Fall zwingend ist. Das auch von Minister Bahr zitierte Beispiel ist bislang allerdings einsam – und bedeutet nicht, dass sich solche Erkenntnisse aus einem bundesweiten Register für alle therapeutischen Interventionen ergeben werden.Es hängt am GeldDie Tatsache, dass ein zweites bundesweites Register etabliert werden soll, ohne dass es den bestehenden Registern zuliefert, bringt auch praktische Probleme mit sich, etwa die Mehrfacherfassung von Patienten – über den Wohnort und über die behandelnden Kliniken. Da die Daten anonymisiert werden, lassen sich solche Effekte nachträglich nur schwer auseinanderdividieren. Und selbst für das Zentrum für Krebsregisterdaten am RKI könnte das neue Register Unruhe bringen. „Die epidemiologischen Register sollten nicht zugunsten der klinischen vernachlässigt werden.“ Man stehe in der bundesweiten Erfassung gerade erst „auf der Schwelle vom Schätzen zum wirklichen Zählen“. Es sei wichtig, diesen Erfolg nicht zu gefährden.Einleuchtender wäre ohnehin, die Erfassung von klinischen und epidemiologischen Daten nicht getrennt zu führen, sondern gemeinsam – wie es mit Einschränkungen schon im Gemeinsamen Krebsregister der neuen Bundesländer geschieht und theoretisch auch bundesweit möglich wäre. Doch entscheidend ist die Praxis der Finanzierung: Da epidemiologische Register öffentlichen und wissenschaftlichen Interessen dienen, sind die Bundesbehörden für sie verantwortlich. Klinische Register dagegen nutzen der Bewertung Therapien, sie sollen eng mit den behandelnden Kliniken kooperieren. Und das ist laut Gesetzesentwurf Sache der GKVen, die Bahr zufolge überhaupt massiv profitieren werden – sobald sie erst einmal in die klinischen Register investiert haben, gut 90 Euro pro Krebspatient. Dass die Versicherungen wenig Interesse an so einer vielversprechenden Geldanlage zeigen, spricht allerdings für sich.
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