Soso, die neue Bescheidenheit ist zurück

Konsumismus Zuviel Konsum schadet der Gesellschaft, das ist Konsens über alle politischen Lager hinweg. Nur Verzicht führt zu wahrem Glück, heißt es. Aber verhalten wir uns danach?
Ausgabe 15/2014
Soso, die neue Bescheidenheit ist zurück

Illustration: Otto

Die ästhetischsten, beeindruckendsten Fotos, die ich in der vergangenen Woche sah – im Internet, wo sonst? – zeigen Müll. Berge von verrosteten Autos; Mauern aus gepresstem Altpapier; ganze Landschaften aus böse funkelndem „E-Waste“, aus ausrangierten Mobiltelefonen, Platinen und Ladegeräten. So wie der amerikanische Fotograf Chris Jordan den Schrott ins Bild setzt, wirkt er wie abstrakte Kunst. Intolerable Beauty: Portraits of American Mass Consumption heißt seine Langzeit-Fotoserie, die online etwa beihuffingtonpost.comzu sehen ist und im Netz gerade viel verlinkt wird.

Ja, die Wachstumskritik springt einen dieser Tage aus allen Ecken an. Und sie ist gekoppelt an das gute alte Gebet von der „neuen Bescheidenheit“. Wer sich an die Lehman-Krise von 2008 noch erinnert, an die aufgeregten Wochen, in denen der Kapitalismus – hoppla! – zusammenzubrechen schien, dürfte jenes Gebet noch in den Ohren haben. Weltweit hatten Hedgefonds-Manager kurz mal den Überblick über ihre Casino-Spiele verloren. Worauf man auch den weniger anlagestarken Bürgern einschärfte, „wir alle“ müssten unsere Gürtel enger schnallen. „Wir alle“ hätten „über unsere Verhältnisse“ gelebt.

„Konsumverzicht. Weniger haben, glücklicher leben“, titelte neulich nun der Spiegel. Derweil feiert die Journalistin Greta Taubert gerade einen tollen Verkaufs-, haha, Erfolg mit ihrem Sachbuch Apokalypse jetzt!, Untertitel: Wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite. Auf 285 Seiten schildert sie, wie sie ein Jahr lang aufs Geldausgeben verzichtete, stattdessen Pilze und Blätter aß, Kleidung und andere Gebrauchsgüter tauschte. Ohnehin ist das Containern, die Selbstbedienung an den Abfällen anderer, zum Mainstreamthema geworden, frühstücksfernsehtauglich.

Kuscheliger Konsens

Tatsächlich ist die Idee der freiwilligen Einkaufsbeschränkung recht alt. Schon in den Fünfzigern schlugen „Kommerzkritiker“ Alarm. Und: Es waren Konservative! Sie befürchteten, dass die Menschen über der neuen, bunten Warenwelt ihre staatsbürgerlichen Tugenden und Pflichten vergessen könnten. Im Kern zielte die Kritik gegen die aufkeimenden Individualisierungstendenzen der Gesellschaft. Und schon damals gab es Geschäftemacher in diesem Feld: So behauptete der US-Autor Vance Packard 1957 in seinem Buch Die geheimen Verführer, Kinozuschauer würden mit sublim eingeblendeten Werbebotschaften manipuliert. Später stellte sich heraus, dass seine steilen Thesen frei erfunden waren. In den sechziger und siebziger Jahren kam die Konsumkritik dann von stramm links: Die falschen Glücksversprechen der Konsumgüterindustrie seien nur dazu da, die Menschen von der Revolution abzuhalten.

Unsere heutige Konsumkritik ist dagegen eine kuschelige Konsenssache: Links und rechts sind in ihr vereint, die Öko-Bewegung geht mit der katholischen Kirche und deren Bescheidenheitspapst d’accord, die urbane Veganer-Szene ist mit CSU-wählenden Landwirten einig. Alle wissen: „Die neue Bescheidenheit“ ist überlebenswichtig. Halleluja! Ich finde: Das klingt alles ganz famos, sozusagen sehr, sehr geil.

Bisschen lustig ist bloß: Je lauter wir beten, desto doller springt die Shoppingdynamik wieder an. Seit 2007, dem Jahr vor Lehman, sei die „Anschaffungsneigung“ der Deutschen nicht so ausgeprägt gewesen wie in diesem Frühjahr, meldete die Gesellschaft für Konsumforschung. Das „Siebenjahreshoch“ ergebe sich daraus, dass sich die Einkommenssituation verbessert habe und sich Sparen kaum lohne. So wird das Geld rausgehauen wie lange nicht – für Möbel, Reisen, Elektronik. Auffällig ist, dass parallel dazu der Konsum des ADHS-Medikaments Ritalin sinkt. Liegt’s am Beten? Oder am Shoppen? Wir forschen weiter.

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

Katja Kullmann

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