Freitagabend in Berlin-Kreuzberg, rund um die Schlesische Straße, einem der Hauptvergnügungsareale der Stadt: Grüppchen junger Menschen ziehen giggelnd umher. In ihren Händen halten sie die Accessoires, die so typisch für adoleszente Städtetrip-Reisende sind: in der einen eine Bier- oder Club-Mate-Flasche, in der anderen ein Smartphone, für die Beweisbildproduktion: „I was here and had fun!“ Vielleicht haben sie lang auf ein Billigflugticket gespart, um sich mal ordentlich zu amüsieren. Das kreative Flair, der subkulturelle Underground überall: herrlich!
Exakt zur selben Zeit, ein paar hundert Meter weiter südöstlich, in einer unwirtlich beleuchteten Fabrikhalle, haben sich diejenigen versammelt, ohne die der Arm-aber sexy-Z
ber sexy-Zauber nicht funktionieren würde: echte Künstler. Sie existieren tatsächlich. Das Geschäftsmodell der kreativen Stadt – all die Tourismuswerbung, die Kulturberichterstattung, die „attraktiven Investitionsumfelder“ für Showrooms, Ketten-Hotels, Town Houses – wäre futsch, wenn sie sich verzögen. Viele von ihnen leben und arbeiten in prekären Verhältnissen. Manche malen oder bildhauern in früheren Gemüseläden, durch die Schaufenster kann man ihnen bei der Arbeit zusehen.„Wir wollen kein Streichelzoo sein, den man bestaunt!“ Gegen Viertel vor zehn, als die Touristen sich längst in Stimmung getrunken und die Künstler sich in Rage diskutiert haben, fällt in der alten Fabrik dieser Satz. Und er sagt fast alles, worum es an diesem Abend geht, draußen auf der Straße, drinnen in der Halle – und im Metropolenmarketing, das sich rund um den Globus auf ganz ähnliche Art vollzieht.Ohne Künstler kein MythosGut über hundert Menschen haben sich in den kargen Räumen des Vereins Flutgraben versammelt. Während andere tanzen und knutschen, sitzen sie auf unbequemen Klappstühlen, um einem Podiumsgespräch zum Thema „Kunst, Arbeit und Stadtpolitik“ zu lauschen. Eingeladen hat die Aktionsgruppe „Haben und Brauchen“, ein loser Verbund freischaffender Künstler. 2012 haben sie ein Manifest „gegen die Enteignung des Gemeinwesens“ veröffentlicht. Nun wollen sie überlegen, wie der Dialogprozess mit dem Kultursenat zu verbessern wäre. Vor allem für „eine neue Liegenschaftspolitik“ kämpfen sie: Landeseigene Grundstücke und Gebäude sollen nicht mehr so schnell an Privatinvestoren verscherbelt, sondern für soziale und kulturelle Projekte genutzt werden.Als Vorbilder oder Alliierte haben die Berliner vier Künstler und Aktivisten aus Hamburg geladen. „Ihr seid uns in Hamburg immer zwei Jahre voraus, man hört und sieht so viel von euch“, sagt die Moderatorin. Die jüngsten Hamburger Proteste gegen den Abriss der Esso-Häuser auf St. Pauli und gegen die angedrohte Räumung des autonomen Kulturzentrums Rote Flora haben es immerhin bis in die Tagesthemen geschafft. „Das ist die Hamburg-typische Verbindung von Pop, Politik und Journalismus“, sagt die Moderatorin. Die Hamburger Gäste ziehen erstaunt ihre Augenbrauen hoch. Und die Moderatorin fordert sie auf, von „konkreten Erfahrungen mit der Einmischung“ zu berichten.Es ist ja wirklich etwas merkwürdig, dass von der Berliner Anti-Gentrifizierungsbewegung außerhalb Berlins kaum etwas mitzubekommen ist. Gelegentlich flackert mal ein Stichwort wie Tacheles oder Tempelhofer Feld irgendwo auf. Man hört und liest bundesweit auch viel über brutal steigende Mieten. Dennoch überwiegt der Gute-Laune-Eindruck: Berlin scheint schon irgendwie klar zu kommen mit seiner kostbaren Sexyness.„Hamburg ist ganz scharf auf genau so ein Image“, sagt Christoph Twickel, Journalist, Buchautor und als Recht-auf-Stadt-Aktivist in Hamburg selbst oft auf Demos dabei. Als das Stadtmarketing 2008 begann, mit subkulturellen Einrichtungen wie dem Pudel Club zu werben, formierte sich sofort ein breites Protestbündnis. „Not in our name, Marke Hamburg“ hieß das Papier, das mehrere Hundert Kulturschaffende damals sofort unterzeichneten, darunter viele bekannte Namen, von Rocko Schamoni bis Daniel Richter. „Euer Prenzlauer Berg ist unser Schanzenviertel“, sagt Twickel. Nicht nur über Künstlernöte sprechen, sondern sich auch mit den Mietern verschimmelnder Sozialwohnungen zu unterhalten und über sie zu schreiben, auch Lampedusa-Flüchtlinge an die Open Mikes zu lassen: So funktioniere das an der Elbe.Die neueste Häuserkampfstrategie aus Hamburg: Genossenschaften gründen und gezielt Immobilien kaufen – „vom Markt nehmen und in Kollektivbesitz überführen“. So nennt es Christine Ebeling, eine der Urbesetzerinnen des Gängeviertels in der Hamburger Innenstadt. Inzwischen verhandeln die Gängeleute mit der Stadt über die Sanierung der Gebäude und eine dauerhafte Selbstverwaltung. Eine andere Variante der „Raumnahme“ erläutert Andreas Blechschmidt von der linksautonomen Roten Flora: „Keine Mieten mehr für soziokulturelle Orte zahlen, nur noch die Betriebskosten – den Kreislauf der Kapital-Akkumulation damit durchbrechen!“Selbstzerfleischung muss sein„Aber sind wir denn alle so antikapitalistisch drauf?“, fragt schüchtern ein junger Mann aus dem Publikum. Worauf sich eine berlinbekannte Theoretikerin über die „bürgerlichen Tendenzen“ auf dem Podium ereifert. Offenbar gehe es den Hamburger Aktivisten nur darum, sich hübsche Immobilien zu sichern, selten habe sie eine „so unpolitische Diskussion“ erlebt. Sie muss in den Minuten zuvor geistig abwesend gewesen sein.Es kommt dann so, wie es in rechtschaffen um Dissidenz bemühten Zirkeln meistens kommt: Die Stunde der Selbstzerfleischung bricht an. Beschuldigungen fliegen hin und her: Wer sich mit welcher Gentrifizierungskritik vom Kapitalismus mehr vereinnahmen lasse, das wird in der postfordistischen Fabrikhalle dann noch stundenlang diskutiert. Während draußen die große gemeine Party ganz ungehindert weiterbrummt.