Es ist keine Erfindung des Schriftstellers Gottfried Keller, dass ein Schweizer seine Heimat verlassen muss, will er es da zu etwas bringen. Selbst Wilhelm Tell musste den Umweg über die Dramatik Friedrich Schillers nehmen, um als Nationalheld zurückzukehren. Dass Kellers Grüner Heinrich als Maler nach München zieht, entspricht den historischen Tatsachen: Bis ins 20. Jahrhundert gab es in der Schweiz keine institutionelle Künstlerausbildung; wer es zu etwas bringen wollte, der ging an die Akademien nach Frankreich, Italien, Deutschland. Nur wer andernorts reüssierte, der wurde auch von den Eidgenossen anerkannt – und irgendwann in den Stand des Nationalmalers erhoben.
Die Ausstellung Giacometti, Hodler, Klee. Höhepunkte der Schweiz aus sieben Jahrhunderten ist offenbar auf ähnlichen Umwegen unterwegs. Allein, die Suche nach der „Swissness“, dem typisch Schweizerischen, muss von Anfang an erfolglos bleiben: In der Münchner Hypokunsthalle ist kein Nationalmuseum zu Gast – so eines gibt es in der Schweiz nicht –, sondern das Kunstmuseum Bern, das vor allem die Werke lokaler Künstler sein eigen nennt. Was nicht zu unterschätzen ist, wie die Hinweise auf Giacometti, Hodler, Klee bereits bedeuten. Und so ist die Schau ein gelungener Parcours geworden, abwechselnd zwischen bislang nicht unbedingt der Schweiz zugeordneten, aber doch längst bekannten Malern und noch zu entdeckenden Künstlern geworden.
Empfangen wird man – was hoffentlich als ironisches Zitat der Nationaldefinitionslust gemeint ist – von einem Denkmal des Bildhauers Auguste de Niederhäusern, genannt Roda: Wilhelm Tell, die Flinte in der Linken, der dem Betrachter von seinem Sockel herab die Rechte als helfende Hand entgegenstreckt. Daneben wird die Zeit der Ausstellung durchmessen in Form einer Gegenüberstellung des Allerseelenaltars von 1505 und der Installation Eindrücke verdauen von Pipilotti Rist (1993); erst danach dürfen die Jahrhunderte eins nach dem anderen durchschritten werden: von der Porträt- und der Genremalerei der vormodernen Zeit über Symbolismus, Surrealismus, Expressionismus bis zu den Wirklichkeitszitaten von Franz Gertsch, Markus Raetz und Dieter Roth.
Das mag auf den ersten Blick als einfallsloses, da allzu brav chronologisches Vorgehen erscheinen, erweist sich aber als durchweg sinnvoll, denn so werden auch die Lücken kenntlich: Was der Bildersturm der Reformation die Schweizer Kunst gekostet hat, wird bewusst, eben weil dem genannten Altarbild am Eingang erst einmal keine weiteren religiösen Werke folgen. Der Gekreuzigte von Karl Stauffer-Bern – dessen melancholischen Realismus man hier entdecken darf – aus dem Jahr 1887 sieht nicht dem christlichen Jesus ähnlich, sondern einem Bub vom Lande.
Den größten Platz nimmt Ferdinand Hodler ein, von dem einige Großwerke, darunter die berühmten Der Tag und Die Nacht präsentiert werden – was außerhalb der Schweiz selten genug geschieht. Zudem sind in dem sichtlich mit Stolz bestückten Hodler-Raum eine Reihe von Landschaftsbildern sowie das Selbstbildnis, lächelnd zu sehen. Letzteres gäbe einen passenden Titel für die Schau ab: Zwar bleibt die Swissness unentdeckt, aber als sympathische Eigendarstellung taugt sie allemal.
Giacometti, Hodler, Klee. Höhepunkte der Schweiz aus sieben Jahrhunderten. Bis 9. Januar 2011, Kunsthalle der Hypokulturstiftung, München. Katalog 25
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