Diskutiert! Dieses! Buch!

Bitterfotze Maria Svelands Roman „Bitterfotze“ ist vor einem Monat in Deutschland erschienen. Der Sturm aber bleibt aus. Warum hat die deutsche Leserschaft dazu nichts zu sagen?

Einen Monat ist es nun her, dass Maria Svelands Roman „Bitterfotze“ in Deutschland bei Kiepenheuer und Witsch erschien. Der Verlag hatte das Buch mit dem Satz angekündigt: „Ein Roman, der hier im Haus so heftige Diskussionen auslöste, dass ein (männlicher) Kollege beleidigt das Zimmer verließ“.

Ich warte nun seit Wochen auf einen Sturm. Doch es bleibt erstaunlich ruhig um dieses Buch. Zwar erschienen in der taz vor einem Monat gleich zwei Artikel dazu und auch andere Medien griffen es kurz auf, ebenso der Freitag, aber seien wir doch mal ehrlich: Die Diskussion darüber beschränkt sich auf einen sehr kleinen Leserkreis. Und überhaupt: Wen interessiert mitten in der Finanzkrise schon das Pamphlet einer frustrierten Mittdreißigerin aus Schweden? Sollten Männer und Frauen jetzt nicht viel besser zusammenhalten, anstatt sich in einen Streit zu begeben? – Nein! Denn dieses Buch ist es wert, diskutiert zu werden.

Scheinbar unauffällige Alltags-Situationen werden darin entlarvt: Es ist nicht das persönliche Problem einer Frau, wenn sie mit der Kinderbetreuung überfordert ist. Nein, es ist ein strukturelles Problem, ein gesellschaftlicher Irrglaube an Gleichberechtigung, der sich darin manifestiert, dass Frauen weiterhin von riesigen Schuldgefühlen geplagt werden, wenn sie sich die gleiche Freiheit herausnehmen, wie Männer es ohne mit der Wimper zu zucken machen. Die Schuld, die Last, die Verantwortung – zum Großteil geschultert von Frauen und immer noch zu wenig von Männern – zeigen sich an den Stellen, an denen Sveland vermeintlich kühle Statistiken zitiert. Männer sind innerhalb einer Ehe psychisch gesunder, als in einem Single-Leben, bei Frauen ist es genau umgekehrt. Zufall? Daran glaubt Sveland nicht, sie sieht eine Menge gesellschaftliche Strukturen und Normen, die zu solchen Double Standards führen. Während sie oft leidet und sich zwischen eigener Karriere und Mutterschaft zerrissen fühlt, betrachtet sie ihren so selbstverständlich zielstrebigen Mann oft mit Wut:

„Ich schaue Johan an und hasse ihn, weil er so zufrieden guckt.“

Doch es ist kein bloßes „macht kaputt, was euch kaputt macht!“, das in diesem Buch propagiert wird. In Bitterfotze wird auf den ersten Blick der Mann an sich an den Pranger gestellt (beleidigte KiWi-Mitarbeiter folgten). Geht man tiefer, fühlt man sich in die Protagonistin Sara ein und betrachtet die Welt mit ihren Augen, dann offenbart sich ein viel tiefer sitzendes Leid: Sehen, ohne gesehen zu werden. Lieben wollen, aber fürchten müssen, durch den Menschen, der geliebt werden soll, nicht so angenommen zu werden, wie man es braucht, um man selbst zu bleiben. Anders gesagt: Einen Mangel an Anerkennung. Anerkennung im hegelschen Sinn, wie auch Judith Butler sie in ihrem Werk „Kritik der ethischen Gewalt“ aufgreift, bedeutet: „Ich kann mich selbst nur durch den anderen anerkannt anerkennen.“ Ein dialektischer Vorgang. Ohne zu weit in die Tiefe gehen zu wollen, denn Butlers und erst Recht Hegels Philosophie sind sicherlich zu komplex, um sie eben kurz darzustellen: Einen anderen anerkennen, in ihm einen Menschen sehen zu können, ihn lieben zu können, ist an viele Voraussetzungen geknüpft. Butler nennt es diese Bedingungen Bezugsrahmen:

In unserer Gesellschaft zum Beispiel, ist es weiterhin unterschwellig selbstverständlich und normal, dass Frau in ihrer Mutterrolle aufgeht, während Mann ein Arbeitstier ist, das die Familie ernährt. Wenn die Frau aus diesem Rahmen fällt, kommt es häufig zum Kampf, der ab der Geburt des ersten Kindes immer noch viele Paare teilweise völlig unvorbereitet trifft. Ein Streiten um die Anerkennung der eigenen Lebensvorstellungen. Es ist ganz logisch: Man kann eine gemeinsame Beziehung nur dann mit allen Hochs und Tiefs überstehen, wenn letztendlich die Bereitschaft zur Anerkennung des jeweils anderen vorhanden ist.

Wer Svelands Buch als bloße Anklage an die Männer liest, der irrt: Was die Beziehung von Sara zu Johan angeht, so schreibt sie in ihren eigenen Worten in erster Linie ihren Glauben an eine Versetzung der Bezugsrahmen auf – wenn beide Partner dies denn wollen. Das ist alles andere als leicht. Hoffnungsvoll aber endet das Buch sehr wohl, wenn Sara beschließt, noch ein Kind mit Johan zu bekommen und sich selbst und dem Leser erklärt:

„Ich glaube, ich habe noch einmal die Kraft, zu streiten und mir die Seele aus dem Leib zu schreien.“

So viel von mir. Würde jetzt bitte jemand die Freundlichkeit besitzen, und mit mir darüber streiten?

Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines zweijährigen Jungen. Ab April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag schreibt sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Außerdem schreibt sie für den feministischen Blog

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