Jetzt bloß nicht mut(t)ieren

Kinder Deutschland ist nun per Erlass kinderfreundlich. Warum stehen junge Eltern trotzdem unter dem Druck, von den Kinderlosen bloß nicht für spießig erklärt zu werden?

„Demografischer Wandel“, „wir brauchen mehr Kinder“, „Methusalem-Komplott“: Horrorszenarien über eine alte, kranke und pflegebedürftige, kurz teure Gesellschaft, sollen junge Menschen unter Druck setzen, Kinder zu bekommen.

Was die aber denken? Wir sind doch erst Ende zwanzig, haben gerade die Uni beendet, das zweite Praktikum aufgenommen, dem Partner nach einjähriger Beziehung aus Mangel an persönlicher Freiheit den Laufpass gegeben und fühlen uns einfach noch nicht reif für so eine große Aufgabe, für ein Kind und die ganze Verantwortung. Aber alle liegen uns in den Ohren: die Großeltern, Eltern, der Staat. Am schlimmsten: Gleichaltrige, die Eltern werden oder sind.

Es ist noch nicht lange her, da hatten Anti-Kinder-Pamphlete aus dieser Ecke große Konjunktur. Selbstbewusst wurde über zu militanten Nichtrauchern mutierte Eltern hergezogen, die ihre Kinder nicht im Griff hätten, Spaßbremsen geworden seien, die kein anderes Gesprächsthema neben „mein Kind“ mehr kennen würden. Angriff ist eben die beste Verteidigung. Heute traut sich niemand mehr, zu sagen, was er wirklich von Kindern, frischgebackenen Jungeltern und dem Gebärdruck hält. Denn Deutschland ist nun kinderfreundlich per Erlass, da gibt es keine Widerworte. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ausrufezeichen.

Familie vor Spaß? Kinderfreundlichkeit vor Rauchvergnügen überall? Nervös betrachten die Verfechter eines ewig jungen, nur sich selbst Rechenschaft schuldenden Lebensstils voller Partys, unnötiger Luxusartikel und qualmigen Bars diese Entwicklungen. Doch ihre Pamphlete sind noch nicht vergessen, sie haben Nachwirkungen. Zum Beispiel auf junge Eltern in diesem Land.

Bloß nicht seltsam werden, heißt die Parole. Nicht zu Spaßbremsen mutieren. Keinen hysterischen Anfall bekommen, wenn jemand in der Nähe des Kindes raucht. Denn solche militanten Nichtraucher sind spießig und kleinkariert. Wenn man sich mit Freunden trifft, dann besser ohne Kind (denn das schreit, muss gestillt, gewickelt und unterhalten werden, steht immer im Mittelpunkt, in dem doch der lange nicht besuchte Bekannte stehen sollte). Und bloß nicht über das Kind reden. Ein Beweisfoto muss genügen. Kinderlose Menschen fühlen sich sonst schnell mit dem Kinderthema überschüttet und reagieren passiv-aggressiv. Man sollte sich mindestens einmal im Monat ordentlich besaufen gehen (was besonders glaubwürdig wirkt, wenn man davon kotzen muss), sich nie, niemals beim Kaufen von Babyklamotten im Prenzlauer Berg erwischen lassen! Und schlussendlich: Immer wieder betonen, dass man natürlich nicht normal ist, weil man ja schon mit Mitte zwanzig seinen Nachwuchs in die Welt gesetzt hat.

Dass man dabei selbst in Passiv-Aggresivistan landet, ist nicht ausgeschlossen. Während sich die lieben Freunde und Bekannten in Sachen Anti-Kinder-Ideologien selbst zensieren, schluckt die junge Mutti auch so einige Gedanken missmutig herunter. Denn eigentlich nervt einen die verbreitete Einstellung Endlosjugendlicher: Sich bloß von Verbindlichkeit und Verantwortung schön fernhalten, wenn sie nicht beruflicher Art ist. Mit Kind muss man anfangen zu planen, sich zu organisieren und abzusprechen. Spontaneität ist toll, aber leider mit Kind am Hals nicht mehr ganz so leicht umzusetzen.

Und so geht es weiter wie gehabt, nur heimlich still und leise. Die Republik bleibt in die Lager getrennt, nur dass man sich heute gegenseitig eben zähneknirschend erträgt, anstatt aufeinander rumzuhacken. Eltern gegen Kinderlose: ein Streit von gestern, ein passiv-aggressives Showlaufen heute. Man versucht sich gegenseitig an Toleranz gegenüber der anderen Seite zu übertreffen. Sagt vordergründig: „Nein, nein – natürlich rauche ich in Gegenwart von Lucas nicht!“ und denkt sich leise hinterher, nicht mehr so oft zu Besuch zu kommen. Oder eben nur noch, wenn Lucas bei seinen Großeltern ist.

Katrin Rönicke, geboren 1982 in Wittenberg, studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften in Berlin und ist Mutter eines zweijährigen Jungen. Seit April ist sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für den Freitag schreibt sie in ihrer wöchentlichen Kolumne über Gender- und Bildungsthemen. Außerdem schreibt sie für den feministischen Blog maedchenmannschaft.net

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