Rasenstück, später

Schrebergarten Die früher keine Demo ausließen, sprengen jetzt Blumenbeete.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Auf der Wiese hinter dem Nikischplatz werden im Januar Weihnachtsbäume gesammelt, im Sommer suchen Hunde nach irgendwas. Heute hat ein familiäres Patchworkensemble direkt am die Wiese zerschneidenden Abkürzungspfad Tisch und Stühle aufgebaut und Decken gelegt für die Kinder, die Wer-zuerst-am-Baum-ist spielen. Es gibt Essen und Getränke, die Sonne scheint, die Pollen fliegen, es ist schön.

Auf einem Rasenstück im Johanna-Park steuert ein junges Paar auf einvernehmlichen Sex zu. Eine Amsel hüpft vorbei, zwei Radfahrer schauen auf, es ist schön.

Es ist bald vorbei. In zwei Sommern vielleicht wird das Pärchen im Schrebergarten Zwiebeln stecken; das Patchwork-Ensemble trifft sich unterm selbstgepflanzten Pflaumenbaum. Nicht, weil Philipp Rösler links von der FDP nur noch Spießbürger sieht, sondern weil immer mehr junge Großstadtmenschen Gärten pachten. Keine winterfesten Datschen vor den Toren der Stadt, sondern Lauben vor der Haustür. Für ein eigenes Rasenstück, später.

Das geht schon eine Weile so. Bisher betraf es Unbekannte irgendwo in Berlin oder Hamburg, Trendsetter, die mit einer Flasche Club-Mate in der Hand „Landlust“ lesen. Doch jetzt sprechen Freunde, Kollegen, sogar Menschen aus der mehr oder weniger eigenen Familie vom eigenen Garten, von Wasseranschlüssen und Nutzbeeten, von meterhohen Hecken als Sichtschutz vor den Nachbarn. 20- bis 40-Jährige, die bei Partys immer zu den letzten Gästen zählten, mit denen man von wilden Wiesen in den Sonnenaufgang schaute oder zumindest in den Sonnenuntergang. Menschen, mit denen man Schmetterlinge fangen konnte.

Schon werden in Sachsens Städten die Schrebergärten knapp, in Leipzig soll jeder Fünfte einen haben. Hier gibt es wie auch in Jena oder Erfurt Wartelisten wie weiland für den Pkw Trabant. Nur in Halle haben sie es noch nicht bemerkt und wollen Kleingärten zu Parkplätzen machen, zu Gewerbegebieten oder „Freiflächen“. Doch auch dort schließen sich bereits Studierende zu Garten-WGs zusammen. Die früher keine Demo ausließen, sprengen nun Sträucher.

Was in aller Welt - beziehungsweise fern von ihr - suchen sie dort? Die Regeln der Vereinssatzung? Den Sinn des Jätens? Arbeit?

Ein schon gestandener Kleingärtner hat auf seine Terrasse eingeladen. In Ruhe und den Schatten eines Baumes. Warum eigentlich nicht.

(zuerst hier)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden