Dissonanzen im Klang der Familie

Clubkultur Hype hin oder her, hoch oder runter: das Berghain hat sich verändert. Über Po-Löcher an der Wand und die Frage: Was macht der Mainstream mit (schwuler) Subkultur?

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Egal wie lange in Berlin, egal wie oft im Berghain gewesen, es spricht sich herum: die Klimax ist überschritten. „Berghain ist ja mal sowas von vorbei!“, kann jetzt jeder sagen, der den Weg zum Bürgeramt geschafft und Berlin im Pass stehen hat.
Egal ob die Partys noch immer gut sind, ob der Club noch zwanzig Jahre bestand haben wird und Ben Klock auch mit Sechzig noch 10 Stunden Sets gegen Betonwände krachen lässt, es hat sich etwas verändert im Sprechen, Schreiben und Denken über das Berghain.

Zunächst: es wird viel zu viel darüber gesprochen. Während man sich vor ein paar Jahren noch über Türpolitik, Musik oder die Länge der Party unterhalten hat (“Sogar Peaches kam letztens nicht rein.”), geht es jetzt meistens nur noch ums bloße Dazugehören oder eben nicht. Der Diskurs bläst sich immer weiter auf, Eitelkeiten und Distinktionsgebaren mischen sich immer mehr mit Clubpolitik und Ausgehverhalten.

Eine Aussage über das Berghain, das ist meistens mehr eine Aussage über sich selbst.

Keine Meinung über das Berghain haben? Das kann sich keiner mehr leisten. Die Angst, vielleicht selbst nicht reinzukommen hat sich umgedreht in eine Häme über die Anwesenheit der Anderen.
Bei all dem Gelaber, Gezeter und Gemotze wird der eigentliche Grund für die Veränderung aber weitgehend ignoriert.
Irgendwie ist es wie auf einer WG-Party, die plötzlich von Fremden gesprengt wird. Am Anfang kennen alle den Gastgeber, wenn nicht, stellt man sich höflich vor und freut sich über neue Bekanntschaften. Irgendwann artet es aus, es spricht sich zu sehr herum und ganz plötzlich sind Leute in deiner Bude, die du nicht kennst – und niemals kennenlernen wolltest. Und dann ziehen sie auch noch über deine Einrichtung her. Irks, du hast ja ein „Po-Loch“ (qype-Kommentar) an der Wand hängen.

Das Arschloch wurde von Wolfgang Tillmans fotografiert. Der hat noch ganz andere Sachen an weißeren Wänden hängen (und war einer der frühen visuellen Chronisten der Techno-Szene in Berlin). Der Gastgeber, das war die schwule Subkultur Berlins. So sehr wie das Berghain, wie das vorhergehende Ostgut, über Techno definiert werden kann, konnte man beides lange über die schwule Subkultur definieren. Sie war der Nährboden, die Crowd und der Motor. Alle anderen waren gerne gesehene Gäste.Es war ein Ort der Freiheit, egal ob mit Pülverchen oder ohne BH. Die Frage, was das jetzt für die Qualität der Parties bedeutet ist vielleicht weniger wichtig, als die Frage, was der Mainstream mit schwuler Subkultur macht. Was bleibt übrig, wenn die Massen die Errungenschaften von Minderheiten überrennen? Die Freiheit ist zur Farce verkommen.

Eben noch heterotoper Spielplatz, real gewordene Utopie, in der Normen anders ausgehandelt werden, teilweise erst gar nicht greifen müssen, jetzt schon verspießtes Identifikationsmoment.
Die subversive Luft ist raus. Die Gäste haben vergessen, wer ihr Gastgeber war. Nächstes Mal wird er vielleicht nur seinen engsten Freunden von der Party erzählen.

(Veröffentlicht im Januar 2013 auf wolf auf tausend plateaus)

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Geschrieben von

Kevin Junk

Freier Journalist und Blogger über alles zwischen Pop- und Subkultur.

Kevin Junk

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