Manifest: Wider die homosexuelle Impotenz

Queere Idenitäten Sind wir jetzt eigentlich angekommen, oder nicht? Die lange Reise in der Mitte der Gesellschaft, nach der sich viele gesehnt haben, ist zumindest zum Teil zu Ende

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Die Reisegruppe beginnt sich aufzulösen. Das „Wir“ gibt es nicht mehr. Die Bewegung ist am Ende. Homophobie scheint nur noch eine (von Zweidritteln der Gesellschaft vertretene) Randerscheinung zu sein, die man – mit Respekt für die große Toleranz – doch bitte auszuhalten hat.

Sollen „wir“ überhaupt ankommen wollen? Der Preis, den wir dafür zahlen, ist hoch.

Das politische Immunsystem, das radikale Potential, das wir durch das sexuelle Segeln jenseits der Normvereinbarungen der heteronormativen Praxen, eigentlich haben müssten, wird schwächer und schwächer je sicherer wir uns fühlen. Im glückseligen Hafen der Lebenspartnerschaft eingeschifft, werden wir immer müder, uns solidarisch zu zeigen. Weder miteinander, noch zu anderen Randgruppen. Stattdessen wird heftig ausgeteilt. Der Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg wird mit ausgefahrenen Ellbogen auf Kosten anderer angetreten (wie die Ablehnung des Zivilcourage-Preises des CSD durch Judith Butler 2010 zeigte.) Es gibt noch immer ein weitverbreitetes Unbehagen über das homosexuellen Begehren. Es zeigt sich nicht nur in offener Ablehnung („widernatürlich“), auf die man zumindest mit Wut reagieren könnte, sondern durch eine neue Taktik: die Anästhesierung unserer Radikalität. Jedes kleinbürgerliche Plappermaul hat gelernt: wir kommen nicht umhin, dass Sex funkioniert wie Lego-Steine (alles passt auf alles), aber wir können wenigstens versuchen sie zum Schweigen zu bringen. Seit doch bitte nicht so ostentativ schwul, lesbisch, effeminiert, butschig,…. es könnte unsere Kinder verdereben.

Die subversiven Taktikten, die dem heterofaschistischen Verhaltenscodex zeigten, wie eng er gestrickt ist, werden mehr und mehr erstickt. Die Verspieltheit der Motorik, Gestik und Ausdrucksweise wird mehr und mehr getilgt. So lange es aber Heterosexualität eine Norm ist, wird auch die Normierung der Homosexualität immer die Ausnahme bleiben. Die Regel, die als Ausnahme, die Regel bestätigt. Und Regeln können sich schnell wieder ändern.
Wir werden zu assimilierten, kolonisierten, politisch impotenten Sodomisten, denen man nie als Person, aber stets als Klischee begegnet. Egal wie süß, schön, gut angezogen und stilvoll wir sind: wir werden immer eins sein mit unserer sexuellen Orientierung, denn sie wird uns als identitäre Bürde auferlegt.

Um politisch wieder Potent zu werden, muss sich etwas in unserer Selbstwahrnehmung ändern. Das ästhetische, politische, soziale Potenzial unserer Art zu Ficken und zu Lieben darf nicht verkommen. Indem wir uns anpassen, biedern wir uns einer scheinheiligen Tolerierungstaktik an, die jederzeit dazu bereit ist, uns wieder aus dem Normkatalog zu streichen. Wir sind solange das Andere, wie es das Normale geben wird. Je normaler wir werden, desto weniger sehen wir, wann wir diskriminert werden, wann uns klischierte Kommentare eigentlich verletzen müssten – und wann wir ihnen mit Wut entgegentreten sollten.

Wir müssen uns weder anpassen, noch sind wir born this way. Wir wurden so sozialisiert, mussten uns gegen Normen durchsetzen und hätten eigentlich dabei lernen sollen, wie man sich gegen die gesamtgesellschaftliche Bevormundung individueller Lebensentwürfe wehrt.
Mit wem wir schlafen ist politisch, weil es Normen untergräbt, die wir so nicht gesetzt haben. Wenn wir uns selbst impotent machen, verschenken wir das radikale Potenzial, das uns die Ausschreibung aus der sexuellen Ordnung der Dinge in die Hände spielt.

Stattdessen lassen wir uns als potentieller Absatzmarkt, als Zielgruppe, als Lobby, als Stilberater und beste Freunde ausbeuten. Wir werden zu niedlichen kleinen derivaten Haustieren, die man gut vermarkten kann. Unsere subkulturellen Errungenschaften werden vom Mainstream aufgefressen, ohne das wir es wahrhaben wollen.

Als Randgruppe, Minderheit und Abweichung der Norm leben wir in einer Zone der Möglichkeiten, der Utopien und des kreativen Freiraums. Wir können Abenteuer mit-, durch- und ineinander Erleben. Anstatt am Rand der Gesellschaft zu stehen uns und selbst zu bemitleiden, sollten wir über den Tellerrand hinausblicken und unser politisches Potenzial entdecken. In Zeiten der Krise sollten wir uns nicht politisch kastrieren lassen, denn gegen heteronormative Gewalt sind wir derzeit nicht gewappnet. Es ist an der Zeit nicht nur körperlich, sondern auch intellektuell Muskeln aufzubauen.

Wir müssen wieder lernen, dass uns mehr verbindet, als die Möglichkeit miteinander zu schlafen. Wir teilen potentielle Erfahrungen, Meinungen und Ansichten. Anstatt uns durch konservatives Anbiedern einfach auszumerzen, müssen wir zurück zu einem Selbstbewusstsein, das die gesellschaftlich aufgedrückte Identität als Homosexuelle annimmt, übertreibt, ins Absurde führt und im besten Sinne „camp“ ist.

Da wir ohnehin jenseits der gesellschaftlich akzeptierten, medial repräsentierten und politisch tatsächlich gewünscht Normen leben, werden wir werden nie ankommen. Und wir wollen es auch nicht. Lasst uns widernatürliche Hedonisten sein, die das Individuum mit camper Eleganz befeiern! So funktioniert Selbstermächtigung im Kapitalismus. So werden wir von der Masse zur Gruppe. So werden wir solidarisch und potent.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kevin Junk

Freier Journalist und Blogger über alles zwischen Pop- und Subkultur.

Kevin Junk

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