Ein Wahlplakat dauert 90 Minuten

Fernsehduell Das Kanzlerduell ist nach elf Jahren seines Bestehens zu einem Medienritual geworden. Inhalte interessieren da weniger. Aber man kann danach sagen: Ich war dabei
Ausgabe 35/2013
Ein Wahlplakat dauert 90 Minuten

Foto: imago/bonn-sequenz

Die Meinung, dass man sich das am Sonntag bei vier Sendern ausgestrahlte Fernsehduell zwischen der Kanzlerin und ihrem Herausforderer sparen kann, ist verfassungsrechtlich zulässig. Es geht bei der Sendung darum, ob Steinbrücks Schuhe zum Gürtel passen, man kann also auch shoppen gehen. Andererseits lässt sich konstatieren, dass Cicero schon wusste, dass man seine Reden nicht in verwaschenen Togen schwingt. Man kann also relativierend festhalten, dass das Kanzlerduell nach elf Jahren seines Bestehens schlicht zum Medienritual geworden ist, und wie viele Rituale ist auch dieses saublöd und schon in Ordnung zugleich.

Saublöd ist es, weil es in einer repräsentativen Demokratie die Wähler, die die Kanzlerin gar nicht direkt wählen, zur Gesichtskontrolle verleitet: Fernsehduell bedeutet, dass ein Schweißtropfen auf des Herausforderers Stirn oder eine bislang nie gesehene Mundwinkelentgleisung der Regierungschefin politische Inhalte übertünchen können. Das Duell, im Jahr 2002 zwischen Kanzler Gerhard Schröder und Herausforderer Edmund Stoiber erstmals in Deutschland ausgerichtet, ist insofern Symptom der medialen Personalisierung; ein typischer Sieg von Bild, BamS und Glotze.

In den USA wird der Wahlsieg des sonnengebräunten John F. Kennedy gegen den seinerzeit frisch aus dem Krankenhaus entlassenen, mageren und blassen Richard Nixon den Eindrücken zugeschrieben, die beide beim TV-Duell hinterließen. Aber es ist denkbar, dass – und damit kommen wir zum Andererseits – der Sieg der Äußerlichkeiten über die Inhalte ein Mythos ist, der im immer wieder aufgerufenen (sic) Kennedy-Nixon-Beispiel nur ein plausibles Narrativ findet. Es hat bislang in Deutschland noch nie ein Schweißtropfen nachweislich eine Wahl entschieden, und Helmut Kohl wurde von den Leuten, die ihn nicht wählten, auch schon wegen Birnenförmigkeit verspottet beziehungsweise machte in den dem heutigen Duell vorausgegangen Elefantenrunden nicht unbedingt eine gute Figur. Insofern ist das Fernsehduell letztlich nichts anderes als die Ausdehnung des Wahlplakats auf 90 Minuten.

Wenn es aber nachweislich um Äußerlichkeiten geht, ist es auch nicht nebensächlich, ob, wie diesmal, Stefan Raab für ProSiebenSat.1 die Fragen stellt oder, wie bisher, Peter Limbourg. Interviewhandwerkstechnisch geht es so richtig highflyermäßig da ja ohnehin nicht ab, dafür sorgen schon die vielen Vorabsprachen. Nebensächlich ist auch nicht die Frage, welcher Moderator keine Krawatte trägt. Es ist vielmehr das Duell selbst, das in einer medial breit aufgestellten Gesellschaft nicht so hauptsächlich ist, wie das begleitende Brimborium glauben lässt.

Das soll nun auch wieder nicht heißen, dass man das Fernsehduell nicht einzuschalten braucht. Vielleicht, man kann es nicht ausschließen, reißt Peer Steinbrück das Ruder mit einem verwegenen Trick herum, oder Angela Merkel erzählt aus Versehen, was wirklich abgeht. Sinnvoll ist, in der Annahme einzuschalten, dass eh nichts passiert. Falls dann aber doch etwas passiert, kann man hinterher sagen: Ich war dabei. Fernsehduell ist alles in allem somit ein bisschen wie Wetten, dass..?.

Klaus Raab kauft sich noch drei Fernseher, um am Sonntag um 20.30 Uhr ARD, ProSieben, RTL und ZDF gleichzeitig einschalten zu können

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