Was steckt hinter dem Bio-Wein-Siegel?

Der Trinker Bio ist gleich Natur? Kann man so nicht sagen. Erlaubt sind auch bei Bioweinen fragwürdige Zusatz- und Behandlungsstoffe. Welche genau, erklärt unser Kolumnist
Was steckt hinter dem Bio-Wein-Siegel?

Illustration: der Freitag

Wenig scheint im Lebensmittelsektor so verkaufsträchtig wie der Hinweis „Bio“ auf dem Etikett. Die Bio-Nische ist deshalb längst zu einer gewichtigen Bio-Branche geworden.

In Deutschland, dem größten europäischen Absatzmarkt für Bio-Produkte, stiegen die Umsätze allein im vergangenen Jahr um neun Prozent, und die Verkaufserlöse der grünen Branche kletterten gar um 20 Prozent. Nicht ohne Grund sieht also die Zukunftsforschung in der Expansion des Bio-Segments einen großen gesellschaftlichen Entwicklungstrend. Qualität, Gesundheit und Nachhaltigkeit sind die Argumente, mit denen der zunehmend sensible Konsument überzeugt werden soll. Flankiert wird diese Entwicklung durch eine „Politik des Vertrauens“ seitens der EU-Kommission.

Diese hat in einer Verordnung vom 8. März 2012 erstmals Mindeststandards für biologisch hergestellten Wein festgeschrieben, welche die geltenden Bestimmungen für ökologischen Weinbau um Vorschriften für die Kellerwirtschaft ergänzen – und so einer umfassend verlässlichen Orientierung des Verbrauchers dienen sollen. Weine, deren Herstellung diesen Standards entspricht, gehen ab August 2012 mit dem grünen EU-Logo für ökologisch-biologische Produktion in den Verkauf. Derweil feiert das europäische Agrarkommissariat die Durchsetzung dieser Richtlinien als „Europas Hochzeit mit der Natur“.

Die Resultate der neuen Biowein-Verordnung zeugen allerdings mehr von marketing-strategisch bedingten Kompromissen als von naturverliebter Konsequenz. So hat beispielsweise das deutsche Landwirtschaftsministerium lange gegen eine spürbare Absenkung des Schwefeldioxid-Gehalts im Biowein getrommelt. Entsprechend hoch sind die neuen zulässigen Werte: Annähernd durchgegorene Rotweine dürfen immerhin 100 mg pro Liter, entsprechende Weißweine 150 mg Schwefeldioxid enthalten. Selbst Hersteller konventioneller Weine sind häufig weit davon entfernt, diesen Spielraum auszunutzen. Der Schwefelgehalt vieler italienischer Bio-Weine liegt schon lange unter der Hälfte der zugelassenen Menge.

Erlaubt bleiben fragwürdige, teils aufgrund ihres gentechnischen Potenzials auch als kritisch eingestufte Zusatz- oder Behandlungsstoffe wie Enzyme, Tannine, Säuren und Nährsalze, tierische Eiweiße, Gummi arabicum und Eichenholzchips. Mit ihnen werden Weine geschönt, Gär- und Stabilitätsmängel beseitigt, betriebsspezifische Probleme kompensiert oder modische Standards (etwa das Bedürfnis nach geschmeidigen Sweet-Spot-Weinen) bedient. Zugelassen sind so strittige Verfahren wie das Zentrifugieren, die Umkehrosmose und die Wärmebehandlung.

Unangetastet bleibt die Saccharose, ein Mittel zur Erhöhung des natürlichen Alkoholgehalts. Laut einer Analyse der zuständigen Bundesanstalt gilt das speziell für deutsche Öko-Winzer als ebenso unumgänglich wie der weiterhin erlaubte Zusatz von Reinzuchthefen, Bentonit, Milchsäurebakterien und chemischen Entsäuerungsmitteln.

Das Bio-Siegel ist also längst kein Garant. Einigen Verbänden gehen daher die Restriktionen der Verordnung nicht weit genug. Kritiker mutmaßen erneuten Etikettenschwindel. Der Journalist Pierre Paillard, Gründer des französischen Clubs Vin authentique, lässt jedenfalls die Gleichung „Bio ist gleich Natur“ nicht gelten. Er betont zwar, dass „nichts so verkaufsträchtig ist wie der Hinweis ,Bio‘ auf dem Etikett“, weist aber gleich darauf hin, dass „die Seriosität dieses Hinweises auf einem anderen Blatt steht“.

Und schlussendlich: Ob Biowein tatsächlich besser schmeckt als sein konventionell hergestellter Antipode, bleibt auch ab August eine offene, wenn nicht gar müßige Frage.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden