Finanzminister, bleibt in euren Hauptstädten!

Brüssel Der Umgang mit Zypern zeigt einmal mehr: Die Zukunft Europas muss den Regierungen endlich entrissen werden. Ein Hintergrundbeitrag von Jürgen Klute, MdEP und Hanna Penzer

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Finanzminister, bleibt in euren Hauptstädten!

Foto: Yiannis Kourtoglou/AFP/Getty Images

Im linken wie im rechten Lager, in den gebeutelten Krisenländern wie im stolzen Club der AAA-Länder: Die europäische Gemeinschaftswährung scheint rapide an politischer Unterstützung zu verlieren. Vom unilateralen Ausstieg aus dem Euro, über die parallele Wiedereinführung nationalstaatlicher Währungen bis zur Auflösung der Währungsunion: Die Debatte über die Zukunft des Euro ist längst enttabuisiert. Trotzdem greift die Debatte, die die Linke führt zu kurz, wenn sie sich allein auf ökonomische Aspekte stützt und die politischen Ziele der europäischen Integration außer Acht lässt.

Der Unterbau der europäischen Vereinigung

Über Jahrhunderte war der europäische Kontinent von Kriegen gezeichnet. Die im 19. Jahrhundert in Europa entstandene Ideologie des Nationalismus hat Millionen Europäer in zwei entsetzliche Weltkriege geführt. Europa hat der Welt für nicht möglich gehaltene menschliche Abgründe offenbart, einschließlich des durch die deutschen Nationalsozialisten zu verantwortenden Holocaust. Geprägt durch diese bitteren Erfahrungen, waren die Pioniere der europäischen Integration überzeugt von der Notwendigkeit, das System der Europäischen Nationalstaaten zu überwinden. Jenseits der Nationalstaaten wollten sie eine stabile Friedensordnung aufbauen und Europa zivilisieren.

Eine immer dichter werdende ökonomische Verflechtung und Integration - angefangen mit der kriegsrelevanten Montanindustrie - sollte zur Grundlage der angestrebten europäischen Friedensordnung werden. Wenn man der Einsicht folgt, dass eine Gesellschaft im Wesentlichen durch ihre Produktionsbedingungen geprägt wird, also durch die wirtschaftlichen Verhältnisse, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass jener Ansatz konsequent, effektiv und richtig war und ist.

Ohne Frage: Das Projekt einer europäischen Einigung hat kein Paradies hervorgebracht. Trotzdem hat es uns bis heute politische Stabilität gebracht und die Aushandlung von Interessenkonflikten zwischen den Nationalstaaten dauerhaft und in historisch einmaliger Weise zivilisiert. In der Welt der Postmoderne gibt es aber längst viele weitere gute Gründe für den europäischen Einigungsprozess. Die umweltpolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, die Notwendigkeit, die Versorgung mit Energie langfristig sicherzustellen und der zivile Umgang mit begrenzten Rohstoffvorräten - all diese Probleme erfordern ein Maß an Kooperation, zu denen Nationalstaaten kaum fähig sind. Es geht deshalb bei der Frage um die Zukunft der EU keineswegs um eine auf Emotionen gegründete Europabegeisterung, sondern um konkrete und ernsthafte Herausforderungen, die in der Logik nationalstaatlicher Abgrenzung nicht mehr zu bewältigen sind.

Die Finanzkrise ist in Europa erst angesichts des Versagens der klassischen auf nationalstaatliche Interessenswahrung zugeschnittenen Denk- und Politikmuster ausgeufert und eskaliert. Wir haben es im Kern eben nicht mit einer ökonomischen, sondern mit einer politisch-institutionellen Krise zu tun. Diese Krise geht auf das Konto der Politik des Rats der Europäischen Union geht, des Organs der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer. Dessen Agieren in der Krise war zu keinem Zeitpunkt angeleitet von der Suche nach Lösungen, die für alle Vorteile bringen. Der rote Faden dort war und ist bis heute die Frage: Was bringt meinem Land Vorteile gegenüber dem Nachbarn? Wie schütze ich Arbeitsplätze in meinem Land, wie rette ich „meine“ Industrie, „meine“ Banken?

Tonangebend und Träger der mit Abstand größten Verantwortung für die Krise waren dabei die wirtschaftlich starken Mitgliedsländer Nord- und Zentraleuropas, angeführt durch „unsere“ Bundesregierung. Längst scheint nicht mehr jede Führungspersönlichkeit, die dem „Jeder gegen Jeden“ eigentlich „qua Amt“ etwas entgegensetzen sollte, dieser Aufgabe gewachsen. Beispiel gefällig? In seinem ersten Austausch des mit den Mitgliedern des Finanzausschusses des Europäischen Parlaments am 7. Mai 2013 redete der frisch gekürte Sprecher der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem von und über die Mitglieder der Währungsunion. Der europäische Binnenmarkt dagegen schien in seiner Wort- und Gedankenwelt verloren gegangen.

Wer Recht mit Füßen tritt, erntet kein Vertrauen

Nur so lassen sich wohl Politik-Unfälle wie zur Rasenmäher-Enteignung zyprischer Bankkunden erklärbar machen. Den Organen der Staatschefs und ihrer Regierungsmitglieder scheint jeder Hauch einer europäischen Perspektive abhanden gekommen zu sein. Eine gemeinsame Verantwortung für die gesamte EU? Nein, den Regierungen geht es heute einzig und alleine um die Vorteile und Gewinne, die jeder für sich selbst verbuchen kann. Selbst in den neu geschaffenen Politikinstrumenten zur wirtschaftlichen Steuerung wird letztlich jedes EU-Land alleine für seine wirtschaftliche und finanzielle Situation verantwortlich und haftbar gemacht. Als gäbe es keine Wechselwirkungen zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedsländer. Als wirkte sich die Geldpolitik der EZB vor Ort nicht aus. Als schlügen Mondschein-Entscheidungen wie jene zur Enteignung zyprischer Bankkunden keine Wellen auf den Kontinent.

Der Umgang des Rats mit Zypern verdient eine genauere Beachtung. Hier zeigt sich, dass ein Lernen aus der Krise, ein Verständnis über Ansteckungsgefahren auch im fünften Jahr der Finanzkrise nicht stattgefunden hat. Um den zyprischen Finanzsektor zu retten, so beschlossen es die europäischen Finanzminister - einstimmig, obgleich es wenige Tage später keiner gefordert haben will - sollten alle auf der Mittelmeerinsel deponierten Konten und Sparanlagen herangezogen werden.

Ein Vorschlag gegen geltendes Gemeinschaftsrecht, denn eigentlich haben Kunden europäischer Banken einen rechtlichen Anspruch, dass selbst beim Zusammenbruch ihres Finanzinstituts bis zu 100.000 Euro geschützt bleiben. Als ob es noch eines endgültigen Beweises für die Überforderung des national dominierten Krisenregimes bedurfte, hielten die Regierungen für die Tage nach ihrer kolossalen Fehlentscheidung eine weitere Überraschung bereit: Während sich die Bundesregierung beeilte, der deutschen Öffentlichkeit mitteilen zu lassen, dass die Einlagen deutscher Sparer bei ihren Banken selbstverständlich sicher und durch geltende Einlagensicherungssysteme geschützt seien, meldete Dijsselbloem ebenso rasch, der für Zypern vorgesehene „Bail in"-Deal (Bail-in meint die Beteiligung der Einleger mit ihren Einlagen an einer Bankenrettung) habe selbstverständlich Modell-Charakter!

Sicher spricht nichts dagegen, die Aufräumkosten der Finanzkrise nicht alleine dem Steuerzahler aufzubürden. Aber: Wie sollen Bürger ein Krisenmanagement akzeptieren, das der überwiegenden Mehrheit der Menschen in den „Programm-Ländern“ Lebensentwürfe zerstört und weite Teile der Bevölkerung in Armut stößt - mit der Begründung, es gehe darum, das die Märkte wieder Vertrauen in die Krisenregionen der Eurozone fassen könnten? Und: Als es wirklich darum ging, den Finanzsektor an den Krisenkosten zu beteiligen, und eine europäische Finanztransaktionssteuer einzuführen - da heißt es Investoren, könnten durch die - obgleich kalkulierbare und extrem verkraftbare - Mehrbelastung abgeschreckt werden.

Der nachhaltige Vertrauensverlust bei internationalen Investoren wie bei kleinen Sparern und Anlegern, der seit dem Zypern-Beschluss auf den Banken der Mehrheit der EU-Staaten lastet, war nicht nur finanziell unnötig und wirtschaftlich gefährlich – er muss auch ein Schlag ins Gesicht all jener gewesen sein, die für die Folgen der Sparorgien bluten müssen! Ganz zu schweigen von jenen, die angesichts blinder „Bail-Ins“ um ihre private Altersvorsorge zittern.

Den Regierungen geht die Symbolik des Augenblicks vor Kohärenz und Verantwortung. Unter „Partnern“ der tonangebende zu sein zählt mehr als die Tragfähigkeit des gemeinsamen Projekts. Dass sie der gefährlichste Elefant im europäischen Porzelanladen ist, stellte die Kanzlerin auch im Umgang mit Zypern unter Beweis. Das Debakel um den „Spontan-Bail-In“ war noch nicht bewältigt, da beeilte sie sich, das zyprische Geschäftsmodell für beendet zu erklären.

Die Feststellung zielte einerseits auf die Größe des zyprischen Bankensektors, denn die Summe aller Bilanzen zyprischer Banken liegt um mehr als das Achtfache über dem zyprischen Bruttoinlandsprodukt. Gemeint war aber auch die ungenügende staatliche Aufsicht der zyprischen Behörden über die auf der Mittelmeerinsel ansässigen Finanzinstitute: Zwar hat die zyprische Regierung die Vorwürfe, Steuerhinterziehung und Geldwäsche im eigenen Land zuzulassen, stets abgestritten. Wahr ist allerdings auch, dass Zypern – nicht zuletzt während seiner Ratspräsidentschaft – wirksame Regeln gegen Steuervermeidung und Steuerbetrug ebenso wie die Einführung der Finanztransaktionssteuer torpediert hat.

Die Symbolik des Moments wird der ehrlichen Suche nach Lösungen vorgezogen

Die Transaktionssteuer wäre nicht nur ein faires, wirksames und kalkulierbares Instrument, um den Finanzsektor tatsächlich an der Bewältigung der Krise zu beteiligen. Die Steuer würde aus Sicht der Aufsichtsbehörden auch Licht in bisher unkontrollierte Geschäfte bringen: Die zuständigen Instanzen hätten einen wesentlich besseren und frühzeitigeren Einblick, sowohl in unrechtmäßige Geschäfte, als auch in Risikoherde, die sich zu systemischen Finanzkrisen entwickeln könnten. In den entscheidungsbefugten Gremien die EU-weite Einführung der Finanztransaktionssteuer durchzusetzen, hätte die Schattenseiten des zyprischen Geschäftsmodell tatsächlich beendet und gleichzeitig Vorteile für alle gebracht. Leider hat der amtierende Eurogruppen-Chef in der Diskussion mit EU-Abgeordneten bewiesen, dass er sich mehr über damit verbundene, mögliche Abstriche der niederländischen Pensionsfonds sorgt, als um die politische Akzeptanz des europäischen Projekts. Die weitaus gravierendere Gefährdung privater Rentenkassen durch die von ihm zu verantwortende Zypern-Rettung scheint in der Rechnung Dijsselbloems merkwürdigerweise nicht ins Gewicht zu fallen.

Während europäisches Recht oder europäischer Zusammenhalt für Europas Regierungen ohne Belang ist, verweisen die Chefs aus den Hauptstädten immer wieder auf ihre einzigartige demokratische Legitimierung, die sie den Wahlen und Parlamenten in ihren Herkunftsländern verdanken. Für eine Rechenschaftspflicht für ihre Politik gegenüber dem Europäischen Parlament sieht der Rat deshalb keine Notwendigkeit. Aber: Keine Regierung hat bisher die Interessen ihrer WählerInnen wirklich vertreten, indem sie ernsthaft und beharrlich auf alternative, sozialverträgliche und europäische Lösungen gedrängt hätten. Ihren Wählern hingegen erklären die Regierungen in aller Dreistigkeit immer wieder, sie seien durch "Brüssel" zur Umsetzung der Beschlüsse zur Sparpolitik verpflichtet worden. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben sich ein schwarzes Loch geschaffen, in dem ihre politische Verantwortung auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Über den Brüsseler Umweg setzen die Staats- und Regierungschefs eine soziale Kahlschlagspolitik durch während sie gleichzeitig die Wut der Wählerinnen und Wähler auf die Institutionen der Europäischen Union lenken. Längst fordern nicht nur Parlamentarier deutliche Korrekturen am Kahlschlagsansatz des Rates; auch aus der Kommission werden immer mehr kritische Stimmen laut. Nur um den Rat in seinem Amoklauf der Austeritätspolitik zu stoppen, fehlen ihnen die Kompetenzen. Es bleibt ihnen nicht weiteres übrig, als zuzuschauen, wie die Hauptstadt-Chefs die als Friedensprojekt gedachte europäische Einigung in den Abgrund stürzen. Vor diesem Hintergrund kann die Vorstellung, der Sozialstaat müsse auf nationaler Ebene gegen die EU verteidigt werden, nur als haarsträubend absurd erscheinen! Die Regierungen, die es sich politisch in ihrem Versteckspiel hinter Brüssel bequem machen, sehen den Sozialstaat als teures Hemmnis im europäischen wie globalen Standortwettbewerb.

Was käme nach der „Befreiung" von der Gemeinschaftswährung?

Nicht nur in Ungarn, nicht nur in den Krisenländern führt die Katastrophenpolitik der Regierungen zu einem gefährlichen Aufleben von Nationalismus und Rassismus in Europa. Die Atmosphäre zwischen den EU-Mitgliedsstaaten ist heute deutlich durch Ressentiments geprägt und weit stärker als man es sich vor der Krise hätte vorstellen können. Kein Wunder, setzt doch die EU-Politik der Regierungen einerseits auf nationale Egoismen und nimmt andererseits keinerlei Rücksicht auf die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.

Wer angesichts scheinbarer neoliberaler Verblendung der EU-Institutionen die Rückkehr zu nationalen Währung und Wirtschaftsstrategien fordert, muss sich jedoch auch über die wirklichen Verantwortlichkeiten für den aktuellen Krisenkurs in der EU im Klaren sein. Fakt ist: Alle Regierungen der EU haben bei den Gipfeln des EU-Rates den Krisen-Programmen zugestimmt. Die Europäische Kommission führt aus, was der Rat beschließt. Mit dem Präzedenzfall des Fiskalpakts haben die Regierungen bewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht – worüber die Kommission ja qua Verträgen wachen soll – für sie keinen Wert hat. Die Kommission und mit ihr die Troika agiert jedenfalls streng nach Vorgabe der Ratsbeschlüsse. Das Europäische Parlament hat weder eine Beratungs- geschweige denn eine Mitentscheidungskompetenz im Blick auf die vom EU-Rat verabschiedeten Krisenprogramme.

Welche Wirkungen könnte nun angesichts dieser politischen Gemengelage ein Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung mit sich führen? Die wirtschaftliche Integration als Erdung des europäischen Einigungsprozesses würde für gescheitert erklärt, das Friedensprojekt der EU aufgegeben, der Rückfall in Nationalstaatlichkeit und Nationalismus würde zum Selbstläufer. Und die parteipolitische und gesellschaftliche Linke? Die würde mit einem solchen Spiel ihre friedenspolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzten.

Zu fragen ist aber auch nach den ökonomischen Folgen eines Euro-Ausstiegs. Durch einen Euro-Ausstieg würden die politischen und ökonomischen Ungleichgewichte in Europa – sowohl zwischen als auch innerhalb der Mitgliedsstaaten – schließlich nicht aufgehoben! Auch ein System fester Wechselkurse würde gerade jene Bereitschaft zur Kooperation voraussetzen, deren Fehlen ja bereits zum Scheitern des Euro zu führen droht. Davon abgesehen gab es ein solches System mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) bereits in den 1980er Jahren. Es ist gescheitert: Durch gezielte Spekulationen gegen das britische Pfund, das sie für überbewertet hielten, haben George Soros und andere Spekulanten das EWS im September 1992 zum Zusammenbruch gebracht. Auch darauf ist der Euro eine Antwort. Der Euro ist also auch als Schutz gegen Währungsspekulationen gedacht gewesen – eine Rückkehr zu nationalen Währungen würde vor allem die kleineren Länder völlig schutzlos den Spekulanten ausliefern.

Die andere Alternative hingegen, ein System freier Wechselkurse, birgt stets die Gefahr von Abwertungswettläufen in sich. Man kann ohne Not davon ausgehen, dass Staaten, deren Wohlstand vom Export abhängt, sich nicht einfach mit Abwertungen anderer Mitgliedsstaaten abfinden werden, sondern Sie werden versuchen, ihre Absatzmärkte zu sichern.
Eines der wichtigsten ökonomischen Argumente für einen Euroausstieg ist, dass dadurch die Exportchancen wirtschaftlich schwächerer Länder steigen. Durch Abwertungen ihrer eigenen unabhängigen Währungen können sie sich Preisvorteile und damit bessere Wettbewerbschancen beim Export verschaffen. Für sich betrachtet ist das richtig. Richtig ist allerdings auch, dass sich ihre bestehenden Schulden in Euro ebenso stark erhöhen würden, wie ihre nationale Währung im Vergleich zum Euro abgewertet würde.

Nebeneinander statt Gegeneinander: Der Euro zwingt zur Kooperation und öffnet Türen

Dass sich bei einer Abwertung die Preise für die Abnehmer der Exportgüter verringern würden, ist zudem nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite, die man nicht unterschlagen darf, ist, dass die Preise für Importgüter bei einer Abwertung ebenso stark ansteigen würden. Für die Verbraucher des „Ausstieg-Landes" würden sich die Lebenshaltungskosten entsprechend verteuern. Wir wissen, dass ein Kernproblem der kleineren Länder Südeuropas darin liegt, dass sie mehr Güter einführen, als sie ins Ausland absetzen. Vor allem sind es höherwertige Güter – und im Falle Griechenlands und Portugals insbesondere Energie und hochwertige Technologie – die aus dem Ausland eingekauft werden müssen. Ein mindestens kurz- bis mittelfristiger unausweichlicher, deutlicher Anstieg der Lebenshaltungskosten würde nicht zuletzt die sozialen Ungleichgewichte in diesen Ländern weiter verschärfen. Es ist schlicht eine Illusion, der man nicht verfallen sollte, dass einseitige Abwertungen durch einen Euro-Ausstieg automatisch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen könnten.

Last but not least: Es stimmt zwar, dass insbesondere jene Großunternehmen, die von einer dominierenden Stellung in ihren „Heimatmärkten" in den Binnenmarkt starten konnten, die größten Gewinne und Zuwächse durch wegfallende Handelsschranken für sich verbuchen konnten. Doch erst durch die Währungsunion wurden grenzüberschreitende Geschäfte soweit vereinfacht – z.B. durch den Wegfall der Wechselkursschwankungen, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen – ebenso wie Verbraucher – die Chance bekommen, die Vorteile des EU-Binnenmarktes umfassend und unkompliziert nutzen zu können. Angesichts all jener politischen wie ökonomischen Nachteile und Gefahren wäre also mehr als gewagt, einen Euro-Ausstieg als ernsthafte oder gar linke Option in Betracht zu ziehen.

Die in Europa seit 2008 andauernde Krise ist in ihrem Kern eben nicht einfach eine ökonomische Krise. Ohne die dahinter liegende politische Krise hätte die EU die Auswirkungen der Finanzkrise längst in den Griff bekommen und den Zusammenbruch der Wohlstandsentwicklung in weiten Teilen der Union verhindern können.

Kleinstaaterei im 21. Jahrhundert: Ein neuer Quantensprung tut Not!

Um historische Krisen wie jene, mit der wir es zu tun haben, zu verstehen, kann ein Blick in die Geschichtsbücher hilfreich sein! Eine historische Analogie, die uns helfen kann die Krise der EU zu verstehen, drängt sich immer mehr auf: Es handelt sich um den Prozess der Überwindung der deutschen Kleinstaaterei im 19. Jahrhundert. Auch dieser Prozess begann mit der ökonomischen Integration, nämlich mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1833/34. Abgeschlossen wurde dieser Prozess mit der politischen Integration in Form der Gründung des deutschen Reiches 1871. Die sehr unterschiedlichen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zwischen damals und heute lassen nur einen bedingten Vergleich zu.

Immerhin hat sich in diesem Prozess aber gezeigt, dass ein Integrationsprozess sehr wohl auf ökonomischer Ebene starten kann, dass zum anderen aber eine ökonomische Integration, wenn sie einen bestimmten Punkt erreicht hat, eine entsprechende politische Integration erfordert, damit die ökonomische Integration auf Dauer funktionieren kann, denn dazu braucht es einen regulativen Rahmen, den nur die Politik setzen kann. Viel spricht dafür, dass wir heute mit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion an einem ähnlichen Punkt angelangt sind, an der wir die Wahl zwischen dem nächsten Schritt der politischen Integration haben oder zwischen einer Aufgabe der wirtschaftlichen Vereinigung.

Diesen Schluss legt auch eine Untersuchung des Ökonomen Hubert Gabrisch vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nahe. Gabrisch hat eine Reihe von Beispielen gescheiterter Währungsunionen untersucht. Er kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Ursache für das Scheitern in all diesen Fällen, so Gabrisch, liegt in dem Fehlen eines gemeinsamen Staates bzw. einer staatlichen Union mit einer zentralen Finanzbehörde, die gemeinsam mit der Zentralbank für die Währung und ihre Stabilität verantwortlich ist. "Die notwendige Bedingung für eine souveräne Währung ist ein Staat, der mit seiner Steuerkraft hinter dieser Währung steht", so die Schlussfolgerung, die Gabrisch zieht.

Aus dieser Perspektive bekommt die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen dem EU-Parlament und dem Rat um den neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014-2020 ein zusätzliches Gewicht. Eine der vier parlamentarischen Kernforderungen gegenüber dem Rat ist die nach einer vertragskonformen vollständigen Ausstattung des EU-Haushalts mit Eigenmitteln, d.h. eine Beendigung der an sich nur als Übergangslösung vorgesehenen Beitragszahlungen der Mitgliedsländer. Ohne einen vollständig aus Eigenmitteln finanzierten Haushalt kann die EU nicht zu einer Institution werden, die mit ihrer Steuerkraft die gemeinsame Währung, den Euro, deckt und stabilisiert. Allerdings bedürfte es zur Erreichung dieses Ziels zudem noch einer erheblichen Aufstockung des EU-Haushalts. Dieser Sachverhalt mag aber die Vehemenz erklären, mit der der Rat sich weigert, sich dieses Themas zu stellen. Schließlich geht es um das Teilen von Kompetenzen mit anderen Mitgliedsstaaten, also um das Verlagern von Kompetenzen auf die EU-Ebene!

Wie könnte eine institutionelle Weiterentwicklung aussehen?

Doch wo genau liegt die Überforderung der europäischen Institutionen? Sie liegt in jener Institution, die gleichzeitig die am wenigsten europäische ist! Der Europäische Rat, die Vertretung der nationalen Regierungen, ist nicht auf der Höhe seiner Macht. Die Regierungen, unfähig und zugleich ungewillt, europäisch zu denken und zu handeln, werden der Verantwortung, die sie für das Große und Ganze haben, nicht gerecht. Die Frage des Überlebens der EU ist deshalb verknüpft mit der Frage, ob es gelingen kann, das Machtübergewicht des Rates abzubauen und auf eine legitime Rolle als Länderkammer zurechtzustutzen.

Ein solches Szenario würde gleichzeitig die Tür öffen, um die EU-Kommission weiter zu demokratisieren und gleichzeitig derart aufzuwerten, dass sie die Rolle einer europäischen Regierung wahrnehmen kann. Der Vorsitz einer solchen Kommission und die Kommission selbst muss ausschließlich durch das Europäische Parlament bestimmt werden, und die Mitgliederzahl und Zusammensetzung der Kommissare muss nach fachlichen Aspekten anstatt nach Nationalproporzen zusammengestellt werden. Selbstverständlich muss dann auch das Europäische Parlament als die bisher einzig demokratisch legitimierte EU-Institution in allen Politikbereichen volle Mitentscheidungsrechte und das legislative Initiativrecht erhalten.

Eine institutionelle Reform muss selbstverständlich auch sicherstellen, dass am Ende nicht eine zentralistische übermächtige Union mit einem einzigen übermächtigen Brüsseler Kraftzentrum ensteht, sondern vielmehr eine EU der Regionen, in der es klar gestufte und dem Subsidiaritätsprinzip genügende Zuständigkeiten gibt. Nur was nicht sinnvoll auf einer politischen Handlungsebene entschieden werden kann, darf auf die nächsthöhere Ebene verschoben werden. Die Politikbereiche, für die die EU zuständig sein sollte, müssen um die zentralen Bereiche der Fiskal- und der Sozialpolitik ausgeweitet werden. Das Ziel eines solchen Umbaus der EU muss eine Ausgleichsunion sein. Was das bedeutet, haben Axel Troost und Lisa Paus 2011 in "Eine Europäische Ausgleichsunion – Die Währungsunion 2.0" beschrieben.

Mancher mag dem entgegenhalten, dass letztlich nicht die Institutionen das Ausschlaggebende in einer Gesellschaft sind, sondern die realen Besitzverhältnisse. Nur: Welchen Erkenntnisgewinn bringt eine solche Feststellung heute noch? Und sind Steuerpolitik, Sozialpolitik und Tarifpolitik nicht deutliche Eingriffe in die Besitzverhältnisse? Und werden sie nicht ausgehandelt und durchgesetzt durch politische Institutionen? Abschaffen lassen sich die heutigen Besitzverhältnisse damit natürlich nicht – zumindest nicht in absehbarer Zeit. In den Institutionen erfahren die Besitzverhältnisse allerdings eine zivilisierende und humanisierende Regulierung und Domestizierung. Inwieweit dies gelingt, hängt wiederum in nicht unerheblicher Weise von der Struktur und Funktionsfähigkeit politischer Institutionen ab.

Was uns der Fall „Zypern" noch lehrt...

Mit einer anderen Struktur der EU-Institutionen hätte eine alternative Krisenbewältigungsstrategie eine reale Chance gehabt. Welche Alternativen zur gescheiterten EU-Ratspolitik mit einer anderen, eben europäischen Perspektive denkbar und realistisch sind, lässt sich auch am Beispiel Zyperns aufzeigen. Die Kritik der Bundesregierung und einer Mehrheit des EU-Rates zielt auf das zyprische Wirtschaftsmodell, ausgerichtet auf seinen Finanzsektor. Wie bereits skizziert, übersteigt das Bilanzvolumen des zyprischen Bankensektors das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Zyperns um mehr als das achtfache. In der Tat liegt dieser Wert deutlich über dem Durchschnitt der EU-Mitgliedsländer, wenngleich auch der luxemburgische Bankensektor mehr als dreimal größer ist als der zyprische.

Doch andererseits ist Zypern auch Teil des EU-Binnenmarktes und des Euroraums. Muss es uns nicht wundern, mit welcher Berechtigung die Größe des zyprischen Bankensektors nur ins Verhältnis zum zyprischen BIP gesetzt wird? Mit ähnlicher Logik könnte man letztlich auch die Bilanzsumme der in Frankfurt/Main ansässigen Banken ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Bundeslandes Hessen stellen anstatt zur Wirtschaftsleistung der gesamten Bundesrepublik. Eine absurde Vorstellung, aber gleichzeitig in der Logik der Kleinstaaterei, nur eben auf einer niedrigeren Ebene.

Setzt man den zyprischen Finanzsektor ins Verhältnis zum BIP der Union, wird aus einem Problemen groß wie ein Elefant nichts mehr als ein Mäuschen. Dann wäre Zypern schlicht einer der Finanzstandorte neben anderen innerhalb des EU-Binnenmarktes. Nun gehört die Steuerpolitik zu jenen Politikfeldern, in denen die Finanzminister ihre Entscheidungshoheit weder mit Kommission noch mit dem Parlament teilen. Eines der kleinstes Mitgliedsländer für strukturelle Probleme der Union haftbar zu machen, führt ins Nichts. Das Europäische Parlament hat sich deshalb in seiner Resolution vom 21. Mai 2013 mit großer Mehrheit für eine konsequente Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ausgesprochen. Trotz vorhergehender großer Ankündigungen konnte sich der EU-Rat in seiner darauf folgenden Sitzung vom 23. Mai 2013 nicht dazu durchringen, sich auf echte Fortschritte im Kampf gegen Steuerbetrug zu verständigen.

Bankenunion oder Standortwettbewerb der nationalen Finanzsektoren?

Um den zyprischen Bankensektor voll und ganz als Teil des EU-Binnenmarktes zu definieren, wären weitere Regulierungsschritte auf EU-Ebene erforderlich. Nötig wäre, was derzeit unter dem Begriff Bankenunion verhandelt wird: Eine einheitliche EU-weite Bankenaufsicht, eine EU-weite einheitliche Einlagensicherung, eine EU-weite einheitliche Regelung für die Auflösung von Banken, EU-weite einheitliche Regelungen für Eigenkapital und den normalen Betrieb von Banken und des Finanzmarktes sowie eine Neustrukturierung des Bankensektors im EU-Binnenmarkt. Mit anderen Worten: Der bisherige Standortwettbewerb unter den EU-Mitgliedsstaaten im Banken- und Finanzsektor müsste einem einheitlichen Rahmen mit gleichen Regeln und gleichen Chancen für alle weichen („level playing field"). Die Logik des Standortwettbewerbs hat bislang eben auch eine sinnvolle binnenmarktweite einheitliche Regulierung des Finanzsektors verhindert.

Erste Ansätze einer EU-weiten Banken- und Finanzmarktregulierung gibt es bereits. Aufgeteilt auf die drei wichtigsten Finanzzentren der EU - London, Paris und Frankfurt - arbeiten seit 2011 die EU-Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte. Die aktuellen Gesetzespakete sollen u.a. durch verbesserte Transparenz eine wirksame Aufsicht über die Märkte schaffen. Dazu soll der Handel zurück auf zugelassene und regulierte Handelsplattformen geholt werden. Zusätzlich sollen Banken größere Reserven an Eigenkapital aufbauen, die Geschäftsmodelle sollen seriöser und sicherer werden. Mit einem eigenen Initiativbericht drängt das Parlament zu weitergehenden Umstrukturierungen, etwa durch die Auftrennung von Geschäfts- und Investmentbanken.

Doch leider wiederholt sich bei all diesen pragmatischen und überfälligen Regulierungsschritten stets dasselbe Spiel: Während Parlament und Kommission Lösungen suchen, die eine Re-Regulierung des Binnenmarktes herstellen, pocht die Vertretung der Finanzminister immer wieder auf Schlupflöcher. Ein kleiner Vorteil für Santander oder Allianz hier, ein kleines Schlupfloch für die City of London dort - die Finanzmarktlobby hat heute nicht in der EU-Kommission sondern im Ministerrat ihren wertvollsten Verbündeten!

Wem gehören die Steuern im gemeinsamen Markt?

Zurück zum Thema Zypern: Würde man die dortige Steueroase schließen ohne den Finanzsektor kaputtzumachen, würde sich natürlich sehr schnell die Frage stellen, wem der entsprechende Steuersegen zu Gute kommen sollte. Wenn Zypern in der skizzierten Form vom EU-Binnenmarkt profitiert, wäre es nicht konsequent, wenn alle daraus folgenden Steuereinnahmen alleine in den zyprischen Haushalt fließen würden. Ein Teil der Steuereinnahmen aus dem zyprischen Bankensektor sollte dann fairerweise in den Gemeinschaftshaushalt fließen.

Auch diese Frage stellt sich selbstverständlich nicht alleine mit Blick auf Zypern! Auch die Bundesrepublik als zentraler europäischer Industriestandort ist hier angesprochen, der derzeit reichlich und zu Lasten anderer Mitgliedsstaaten von seinen Standortvorteilen profitiert. Nötig ist letztlich eine echte europäische Fiskalpolitik. Diese hätte mehrere Vorteile: Zunächst einmal würde sie den gegenwärtigen desaströsen Steuerwettbewerb unter den EU-Mitgliedsländern beenden, der mitverantwortlich für die desolate Lage der öffentlichen Haushalte ist. Und eine hohe Qualität öffentlicher Dienste, von denen letztlich jeder und jede profitiert, erfordert die Durchsetzung effektiver Mindeststeuersätze innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Selbst der EU-Steuerkommissar hat sich mittlerweile dieser Einsicht geöffnet.

Ein unabdingbares Element einer gemeinschaftlichen Fiskalpolitik wäre die vertragsgemäße vollständige Deckung des EU-Haushalts aus Eigenmitteln. Gegenwärtig deckt die EU ihre Ausgaben nur zu etwa einem Viertel aus Eigenmitteln – der Rest ist Geschacher. Nur ein durch Eigenmittel planungssicherer und letztlich auch deutlich höher ausgestatteter Haushalt würde die EU in die Lage versetzen, ihre wirtschaftlich schwächeren Regionen angemessen zu fördern.

Eine sinnvolle Förderung darf sich selbstverständlich nicht alleine auf das bestenfalls abstrakte, schlechtestenfalls ideologisch bornierte Ziel der Wettbewerbsfähigkeit einschießen. Vielmehr sind real vorhandene ökonomische Probleme und Chancen zu bearbeiten. So gibt es in Ländern wie Portugal und Griechenland erhebliche Probleme mit zu kleinen Produktionseinheiten. Das heißt, die Mengen, die ein traditioneller Produzent von Olivenöl oder Wein pro Jahr herstellt, sind so gering, dass er sie nicht an größere Direktabnehmer verkaufen kann. Für kleine Produzenten besteht also eine kaum überwindbare strukturelle Zugangsschwelle zum EU-Binnenmarkt. Hier Wege zu entwickeln wäre ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder. Die Suche nach neuen Branchen und Produktionsmöglichkeiten könnte technologische Zusammenarbeit mit hoch entwickelten Industriestandorten der EU benötigen. Der Ausbau der Solarenergie etwa könnte auch nur dann funktionieren, wenn die Einspeisung in ein angemessen großes Netz garantiert wäre.

Energie ist ein Thema, bei dem wieder Zypern ins Spiel kommt: Vor der Küste der kleinen südlich der Türkei gelegenen Mittelmeerinsel lagern enorme Gasvorkommen, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden. Die Erschließung und der Abtransport des bislang noch nicht erschlossenen Gases erfordert beträchtliche Investitionen – kurzfristig eine Herkules-Aufgabe für das kleine Land, die sich erst auf mittlere Sicht auszahlen würde. Es ist nur schwer nachzuvollziehen, wieso die Regierungen der EU nicht bereit waren, mit der Christofias-Regierung über diese letztlich für die gesamte EU strategisch bedeutungsvolle Frage zu verhandeln!

Um sinnvolle Entwicklungsprojekte effektiv zu fördern, geht kein Weg an einem ausreichend ausgestatteten Gemeinschaftshaushalt vorbei. Die Blockade der Finanztransaktionssteuer durch die EU-Finanzminister ist auch in dieser Hinsicht eine politische Bankrotterklärung. Stattdessen führt der von der Bundesregierung durchgedrückte Fiskalpakt auch den EU-Haushalt in eine Sackgasse. Um die Regeln des Fiskalpakts einzuhalten, müssen fast alle Mitgliedsstaaten ihre Ausgaben drastisch senken. Da der EU-Haushalt gegenwärtig nur zu rund einem Viertel aus Eigenmitteln finanziert wird, muss der Rest durch außerordentliche Beitragszahlungen der Mitgliedsstaaten ausgeglichen werden. Weil sie den Forderungen des Fiskalpakts entsprechen wollen, werden die Mitgliedsländer ab 2014 erstmals weniger Zahlungen an die Gemeinschaft leisten als während des 2013 zu Ende gehenden Haushaltsrahmens.

Die Krise der EU ist eine politische – Will die Linke ein Teil der Lösung sein?

Man sieht: Ohne das Mauern der Regierungen könnte die Krise der EU bereits weitgehend überwunden sein. Doch die Neu-Regulierung des Finanzsektors ist bereits so weit verzögert, dass sie bestenfalls dazu dienen dürfte, kommende Krisen einzudämmen. Der Linken stünde es derzeit gut zu Gesicht, die ehrgeizige und demokratische Weiterentwicklung der europäischen Integration vorzudenken und politisch voranzutreiben sowie die Blockadepolitik des Rates sichtbar zu machen und die Regierungen öffentlich damit zu konfrontieren.

Die EU ist heute längst nicht mehr nur als Friedensprojekt und als Alternative zum gescheiterten Nationalstaatskonzept nötig. Die Herausforderungen unserer Zeit – vom Kampf gegen den Klimawandel, über die Sicherung unserer Energieversorgung, die Regulierung der Finanzmärkte, von der inzwischen auch die Altersvorsorge von Millionen ArbeitnehmerInnen abhängt – erfordern Kooperation anstatt bloßes Gegen- oder Nebeneinander! Die gegenwärtige Krise zeigt was die Linke eigentlich schon lange betont: Wettbewerb als Wettbewerb der Nationalstaaten, als Standortwettbewerb führt uns in den Abgrund. Märkte brauchen klare Regeln und Grenzen sowie einen politischen Rahmen, der diese Regeln und Grenzen definiert und durchsetzt. Das kann eine Politik nicht leisten, die im nationalstaatlichen Gegeneinander verharrt, sondern nur eine postnationale demokratische Struktur, die einer Logik der Kooperation folgt!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

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