HGB Leipzig: Kuratieren mit dem Cuttermesser

Meister-Ausstellung Kopfkompass ärgert sich. Über Respektlosigkeit und Lieblosigkeit. Gegenüber Kunst und Künstlern. An einer Kunsthochschule. In Leipzig.

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Ich gestehe: Mein Blick ist nicht unvoreingenommen. Diese Vergabe der Meisterschülerzeugnisse hätte meine sein können. Sie war es nicht, weil ich das Meisterschülerstudium geschmissen habe. Das Gefühl, nicht mehr an diese Hochschule zu gehören, war zu überwältigend.

Und dennoch glaube ich nicht, dass es nur mein starker persönlicher Filter war, der mich bei der Eröffnung der Meisterschülerausstellung heute Abend hat Dinge entdecken lassen, die mit bisschen Sekt im Kopf skurril, nüchtern betrachtet aber unerträglich sind.

Ich gestehe weiterhin: Ich konnte der Rede von Prof. Dr. Ana Dimke, Rektorin der Hochschule, über weite Teile nicht folgen. Das lag nicht an ihrer mäßigen Rhetorik und undeutlichen Aussprache – darüber hätte ich hinweg gesehen. Das lag auch nicht am fehlenden kunsttheoretischen Background, der für den Namedropping-Part durchaus hilfreich war. Das lag vielmehr daran, dass ich nicht erkennen konnte, was die historische Herleitung des Kapitalistischen Realismus um Richter, Polke und Co. mit dem heutigen Abend zu tun hatte. Und daran, dass ich im Gegensatz zu Dimke beim besten Willen nicht finden kann, dass eine hunderttausendfach gedruckte Ausgabe von Springers „Die Welt“ jemals ein künstlerisches Sammlerstück sein könnte. (Nein, auch dann nicht, wenn sie von Gerhard Richter gestaltet wurde.) Das lag vor allem aber daran, dass ich völlig ausgelastet damit war, mein Gelächter zu unterdrücken, nachdem Dimke den Künstlern für die „großartigen künstlerischen Arbeiten“ dankte, die die „international renommierte Kunstinstitution HGB“ weit über ihre Grenzen hinaus zum Strahlen brächte. Dem Umgang der Hochschule mit den Arbeiten ihrer Absolventen kann man diese Dankbarkeit leider kein bisschen anmerken.

Alle Vidoearbeiten der Ausstellung liefen mit Kopfhörern oder der Einfachheit halber ganz ohne Ton. Ich mach‘s kurz: Das geht nicht. Malerei kann man auch nicht im Dunkeln zeigen. Wir leben Jahr 2012. Videokunst ist kein bisschen experimentell mehr und hat verdammt nochmal den gleichen Respekt verdient, wie jede andere Kunstform auch. Wenn sie Ton hat, will ich den hören. Und auch wenn sie keinen Ton hat, will ich, dass ihr ein Raum gewährt wird, in dem hellgrau nicht die dunkelste Farbe der Projektion sein muss, weil leider, leider noch andere Kunstwerke zu beleuchten sind, die sich schon von rechts und links ins Gesichtsfeld schieben. Ich weiß von einer Künstlerin, die keine Gelegenheit bekam, das zu ihrer Arbeit gehörende Video überhaupt zu zeigen.

Wenn die Rektorin für die Abschlussarbeiten ihrer Absolventen so dankbar ist, weil sie ein Aushängeschild für die Hochschule sind, dann muss sie dafür sorgen, dass sie vollständig gezeigt werden. Dann kann sie nicht nur vier Bilder einer zehnteiligen Fotoarbeit zeigen lassen. Dann kann sie keine Installationen halbieren und keine Wand wegreißen lassen, die zu einer Videoinstallation nun mal gehörte.

Warum tut sie das aber? Weil der Platz nicht reicht? Komm schon! Ich sehe ein: Die HGB ist kein Museum. In ihr soll zu aller erst gelehrt und gearbeitet und nicht ausgestellt werden. Und trotzdem behaupte ich, dass sehr wohl genügend Platz gewesen wäre. Von der ersten Etage des Lichthofs war nur eine einzige Wand bespielt und die zweite Etage blieb komplett leer. Statt diesen Raum zu nutzen riskiert man, dass sich Besucher Arbeiten nur halb oder gar nicht erschließen können.

In ihrer Rede sprach Dimke davon, dass die Absolventen nun auf Augenhöhe mit ihr und den Dozenten der Hochschule stehen würden. Dass sie nicht mehr als Schüler zu ihnen aufblicken müssten, sondern ihnen nun als Kollegen ins Gesicht blicken könnten. Wäre das wirklich ihre Meinung, würde sie sicherstellen, dass die Absolventen als das behandeln würden, was sie sind: Junge Künstler, die die Szene im Idealfall in den nächsten Jahren beeinflussen und lenken. Kein Mensch käme jemals auf die Idee, deren Arbeiten aus Platzgründen in der Mitte abzuschneiden. Es trotzdem zu tun ist respektlos und lieblos. Den Arbeiten gegenüber, aber vor allem den Künstlern.

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Geschrieben von

kopfkompass

Wannabe alternative mainstream critic. Artist. Photographer. Videographer. Queer. Pre-Buddhist. Post-Genderist. Banker. Nerd. Dog-Daddy. Green. Vegan.

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