Ein Skandal, der keiner ist

Amazon-Leiharbeiter Nach dem Anschauen des ARD-Beitrags "Ausgeliefert!-Leiharbeiter bei Amazon" bleibt man ratlos zurück. Wo ist denn jetzt der Skandal, fragt man sich.

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Ich habe mir gerade den Film über Amazon noch mal angeschaut und diverse Artikel über ihn gelesen und immer wieder frage ich mich: wo ist der Skandal? Das ist doch eine ganz normale Zustandsbeschreibung von Arbeit im Spätkapitalismus.

Arbeiter, die aus ganz Europa angekarrt werden, dann in Hotels, Motels und Ferienwohnungen untergebracht werden, für die sie teuer bezahlen müssen, um später dann in den Amazon-Lagern unter ständigem Druck schuften zu müssen, damit man sie nach dem Weihnachtsgeschäft feuert und direkt wieder nach Hause schickt. Da mag es zu anderen Leiharbeitern graduelle Unterschiede in der Ausbeutung geben, prinzipiell ist sie bei allen gleich und nur gut dotierte ARD-Journalisten, die auch vom Geld dieser Leiharbeiter bezahlt werden, können da ein Skandal sehen.

Dabei muss man einmal nicht nur die logistische Meisterleistung würdigen, die es bedeutet, jeden Dorftrottel jede Ware innerhalb eines Tages zukommen zu lassen, sondern auch die Meisterleistung, innerhalb von zwei drei Jahren ein Logistik-Zentrum auf der grünen Wiese aus dem Boden zu stampfen und für das kurfristige Weihnachtsgeschäft tausende Mitarbeiter aus ganz Europa herbeizuholen und dann nach einigenWochen wieder zu feuern, ohne dass die Hütte abfackeln.

Als ich in einem Callcenter gearbeitet habe, war ich von dieser mörderischen Effizienz geradezu begeistert: Wenn man die ganze kapitalistische Effizienz dazu einsetzen könnte, statt Leute auszubeuten und zu verarschen, bessere Lebensbedingungen für alle zu schaffen, würde dieses lächerliche Wirtschaftssystem in zwei Jahren der Vergangenheit angehören.

Aber ich schweife ab, also zurück zum Film. Den einzigen Unterschied zum ganz normalen Leiharbeitertum und den eigentlichen Skandal kann man in der Security-Firma sehen, die sich im wesentlichen aus Hooligans und Neonazis zusammensetzte und die die Leiharbeiter regelmäßig kontrollierte. Bei den Callcentern, in denen ich einesetzt war, fanden solchen Kontrollen auf technischem und elektronischen Wege statt. Aber weil Amazon auch für die Unterkunft der Leiharbeiter sorgen muss, ist das eben hier nicht möglich. Aber ich bin mir sicher, dass Amazon darauf flexibel reagieren wird und eine andere Security-Firma beauftragen wird, in der die Mitarbeiter in Habermasscher Diskursethik geschult sind.

Geradezu rührend in ihrer Doofheit fand ich die Gewerkschaftsfunktionäre und Seelsorger, die sich mit Amazon anlegten. An denen kann man sehen, welche Verheerungen der rheinische Kapitalismus angerichtet hat, in dem Ausbeutung ein Fehler im System ist und nicht zum System gehört. Dabei könnte man es aus 400 Jahren kapitalistischer Geschichte eigentlich besser wissen.

Der Seelsorger wollte einen Betriebsrat gründen, aber irgendwie wollten die Leiharbeiter wohl nicht mitmachen. Kein Wunder: bis der fiktive Betriebsrat Realität wird, sind die Leiharbeiter schon längst wieder entlassen. Und was für ein Druckmittel soll so ein Betriebsrat haben? Streik? Dann holt sich Amazon seine Leiharbeiter eben woanders. Der Gewerkschaftsfunktionär mahnte wiederum falsche Gehaltsabrechnungen zwischen Leiharbeitsfirmen und Amazon an und vermutete Steuer- und Sozialbetrug. Kann mans den Firmen verübeln, wenn sie die zahlreichen Schlupflöcher nutzen, die das deutsche Steuerrecht so bietet?

Nein, wenn es wirklich etwas Deprimierendes an diesem Film gab, dann war das, wie reibungslos diese ökonomische Selbstmordmaschine funktioniert und wie wir gezwungen sind, als kleine Rädchen im Getriebe gegen unseren Willen dabei mitzumachen. Der Busfahrer, der die Leiharbeiter wie Vieh durch die Gegend karren muss, weil er sonst seinen Job verliert; die Ferienwohnungenbesitzer, die Wohnungen an die Leiharbeiter vermieten müssen, damit sie ausgelastet sind.
Die Manager, Vorarbeiter usw., die ebenfalls um ihren Job fürchten. Die Landräte und Bürgrmeister, die Angst vor Entlassungen und neuen Arbeitslosen haben. Wahrscheinlich ist nicht einmal der Amazonchef ein schlechter Mensch, da er unter Konkurrenzdruck steht. Und zum Schluss die Leiharbeiter selber, die willig mitwirken in der Hoffung auf eine Festanstellung, die sich natürlich nie erfüllen wird.

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Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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