Harte Schule

Frankreich Der „Fall Leonarda“ bewegt seit Tagen ganz Frankreich. Die Geschichte zeigt das Dilemma der französischen Linken, in Zeiten, wo der Wind von rechts weht
Harte Schule

Foto: ARMEND NIMANI / AFP / Getty Images

Zahlreiche französische Journalisten waren nach Mitrovica gereist, um live von den Reaktionen, besser noch Emotionen einer Jugendlichen zu berichten, die mittlerweile in ganz Frankreich bekannt ist. Am Samstag rang sich Präsident François Hollande endlich zu einem staatstragenden Statement aus dem Elysée-Palast zum „Fall Leonarda“ durch. Er kritisierte das unangebrachte Vorgehen der Polizei bei der Abschiebung des Mädchens und verkündete, Leonarda könne ihre schulische Ausbildung in Frankreich fortsetzen.

Daraufhin antwortet die Betroffene mit Tränen in den Augen live aus ihrer aufgezwungenen neuen Heimat: „Der Präsident hat kein Herz. Die Sache ist für mich gestorben, ich verlasse meine Familie nicht.“

Es war für die Schülerin wohl die einzig denkbare Antwort auf Hollandes Angebot, das symptomatisch für dessen katastrophales Krisenmanagement der letzten Tage war. Zähe Tage, in denen das Vorgehen bei der Abschiebung der Familie auf allen Kanälen debattiert wurde. Menschenrechtsvereine, Abgeordnete verschiedener politischer Couleur und auch Schüler erhoben ihre Stimme, um ihre Solidarität mit der Familie Dibrani auszudrücken. Bei einem Schulausflug am 9. Oktober war Leonarda von der Polizei abgeführt worden, um gemeinsam mit ihrer (seit über 4 Jahren in Frankreich lebenden Familie) in den Kosovo abgeschoben zu werden.

Linkes Lager, rechte Töne

Auch der sonst so schneidige Innenminister Manuel Valls hat die Dimension des Falls zu spät erkannt. Er war in den letzten Monaten zu Frankreichs beliebtesten Politiker aufgestiegen, er präsentiert sich gerne als das ganze Gegenteil vom zögerlichen Präsidenten, vom puddingweichen "Opi Hollande". Er verkörpert das "Zupacken", er ist ein Mann der Taten und vermittelt das Gefühl von Sicherheit in gefühlt unsicheren Zeiten.

Kein französischer Journalist, der nicht eine Parallele gezogen hätte zwischen Valls und dem einstigen Innenministerium und Ex-Präsidenten, Nicolas Sarkozy. Der spielte selbst gerne den obersten Gendarmen der Nation. Allerdings: Valls gehört dem linken politischen Lager an und umso pikanter ist sein hartes Vorgehen gegen Einwanderer, allen voran gegen rumänische und bulgarische Roma.

Doch wie es sich für einen Valls gehört, reagiert er auf Vorwürfe nicht wie sein Chef, der ein Mal mehr als ein Fähnchen im Wind wahrgenommen wird , der es allen recht machen will. Valls brach kurzfristig eine Reise ab und erließ die Order, von Polizeimaßnahmen im schulischen Rahmen zukünftig abzusehen. Die Schule, so unterstrich es auch Hollande, ist ein Symbol des republikanischen Wertesystems. Französische Schüler und Studenten standen in der Tat schon immer für eine ausgeprägte Protestkultur. On lâche rien ist ihr Soundtrack, „wir geben nicht nach!“

Gut gegen Böse?

Gut gegen böse, links gegen rechs, arm gegen reich – die Polarisierung war schon immer Teil dieser Protestkultur. Doch die Geschichte der Familie Dibrani scheidet die Geister, denn die vermeintlich Guten haben auch mit falschen Angaben gegenüber der Asylbehörde nachweislich gegen bestehende Gesetze verstoßen. Ihre Ausweisung ist daher zumindest auf dem Papier rechtmäßig. Ein Bericht der zuständigen Aufsichtsbehörde mahnt allerdings an, dass es der Polizei bei ihrer Aktion an „Augenmaß“ gefehlt habe.

Der sozialistischen Regierung fehlt es im Moment an sehr viel mehr als nur Augenmaß. Eine 15-Jährige Schülerin hält der Republik einen Spiegel vors Gesicht. Das Land wird von einer linken Regierung regiert, die den rechten Kräften Einhalt gebieten muss, weil die Front National von Marine Le Pen gerade schwindelerregend hohe Umfragewerte erreicht.

Dieser Spagat wird aktuell auf dem Rücken von Leonarda und hunderten anderen Einwandern ausgetragen: humane Asylpolitik versus harte Hand? Eine Zerreißprobe für Frankreichs Linke, die nun nicht mehr nur in Wirtschaftsfragen unter scharfen Beschuss von rechts steht. Die Einwanderungspolitik wird ein zentrales Thema im Vorfeld der Europawahlen sein.

Deswegen kann sich Marine Le Pen auch beruhigt zurücklehnen. Denn im Gegensatz zu Hollande ist sie auf dem Gebiet Einwanderung alles andere als wankelmütig ...

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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